Friedrich Scheele / Annette Kanzenbach (Hgg.): Ludolf Backhuysen. Emden 1630 - Amsterdam 1708. Begleitband zur Ausstellung im Ostfriesischen Landesmuseum, 30. November 2008 - 01. März 2009 (= Veröffentlichungen des Ostfriesischen Landesmuseums Emden; Heft 27), München / Berlin: Deutscher Kunstverlag 2008, 182 S., zahlr. farb. Abb., ISBN 978-3-422-06875-9, EUR 34,90
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Die europäische Marinemalerei hat heute möglicherweise stärker um öffentliche Anerkennung und kunsthistorische Aufmerksamkeit zu ringen als andere Kunstgattungen. Selbst die unübertroffene niederländische Schiffs-, See- und Küstendarstellung des 17. Jahrhunderts läuft mancherorts Gefahr, gleich dem Jagdbild, in die Spezialistenkategorie abgeschoben zu werden. Vielleicht ist sie ein Opfer ihrer eigenen Vielseitigkeit und Bedeutungsfülle in der Ära global aufstrebender See- und Handelsmächte und wird so zwischen den Gattungen der Historien-, Votiv- und Landschaftsmalerei, denen sie wahlweise beigeordnet wird, aufgerieben. Vielleicht hat aber auch ein seit dem späten 19. Jahrhundert gewandeltes Verhältnis zur See ihre unmittelbare Relevanz für Kultur und Kunst verschleiert. Dabei faszinierten Seebilder Marinemaler und ihre Auftraggeber im 17. Jahrhundert europaweit unter ästhetischen und narrativen Gesichtspunkten. Gleichzeitig schufen Künstler in ihnen historische Zeugnisse "einer Kultur des Gedenkens [...] und der Propaganda." (43) Jedoch ist es selbst im Falle der holländischen Marinemalerei des Goldenen Zeitalters, bei aller offensichtlichen Bedeutung des Meeres für den politischen und ökonomischen Erfolg der jungen Republik, vielleicht der Mangel an romantisch überhöhten Malerpersönlichkeiten, der das Fehlen eines breiteren Interesses erklärt. Jacob van Ruisdael mag als eine Ausnahme gelten, er begegnet uns letztlich in Ausstellungen und in der Literatur aber doch stets als Landschaftsmaler. Jan Porcellis, Jan van de Cappelle und Hendrik Dubbels sowie Vater und Sohn Willem van de Velde gehören zu den bekannteren Vertretern der Marinemalerei. Und "nach dem Wegzug der beiden Willem van de Velde 1672/73 nach England ist Backhuysen der führende Marinemaler Hollands." (18)
Ausstellungen und Publikationen unternehmen in größeren zeitlichen Abständen immer wieder einmal den Versuch, die niederländische Marinemalerei, die sich in Museen und Sammlungen in ganz Europa finden lässt, vorzustellen und ihr zu größerer Wertschätzung zu verhelfen. Die vorliegende Veröffentlichung des Ostfriesischen Landesmuseums erschien ausstellungsbegleitend im Deutschen Kunstverlag anlässlich des dreihundertsten Todestages Ludolf Backhuysens im Jahre 1708. Den Sohn der Stadt Emden, der in Amsterdam in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts Karriere machte und sich europaweite Anerkennung verdiente, als Künstlerpersönlichkeit greifbar werden zu lassen, war offensichtlich ein Anliegen der Herausgeber. Obwohl mit Gerlinde de Beers Backhuysen Monografie (2002) bereits ein kaum zu übertreffendes Standardwerk existiert, ist es dem Projekt als Leistung anzurechnen, den virtuosen Künstler anlässlich des Jubiläums in dieser Weise zu ehren und ihn darüber hinaus in der Auswahl der häufig sammlungseigenen Objekte auch als Kalligrafen wie als Porträtisten und Genremaler zu Wort kommen zu lassen. Während allerdings eine Ausstellung wie Herren der Meere. Meister der Kunst (1994) die Vielfalt der niederländischen Marinemalerei präsentierte und mit ihrem Ausstellungskatalog ein langlebiges Nachschlagewerk hinterließ, muss sich der von Friedrich Scheele und Annette Katzenbach herausgegebene Band die Frage gefallen lassen, welchen kunsthistorischen Stellenwert er künftig besitzen wird.
Klassisch und benutzerfreundlich gegliedert in Biografie, Essay- und Katalogteil ist die Publikation zwar eindeutig über dem Niveau des Ausstellungssouvenirs angesiedelt. Doch verwundert es, dass der wissenschaftliche Anspruch, vielleicht dem museumsüblichen Zeitdruck geschuldet, gleich zu Beginn in einem Benutzerhinweis eingeschränkt und auf die jüngste und "besonders relevante" Literatur verwiesen wird (4).
Mit Blick auf den Katalogteil ist jedoch positiv hervorzuheben, dass die ausgewählten Werke auch ohne den Ausstellungszusammenhang einer klaren Dramaturgie folgen. Ausgehend von den Emdener Museumsbeständen und angereichert durch Leihgaben, stellen die 34 Katalognummern in grob chronologischer Reihenfolge Backhuysens Werdegang vom Schönschreiber und Kontoristen zum Maler von Seestücken verschiedener narrativer und stimmungshafter Ausprägung dar - etwa von sogenannten Paradebildern, Strandansichten und Sturmszenen. Backhuysen erscheint ebenfalls als Maler von Porträts und später von biblischen Historien- und Genrebildern sowie als Schöpfer der Radierungsfolge D'Y Stroom en Zeegezichten (Kat. Nr. 34), für die der Künstler 1701 das Druckprivileg erhielt. Die Grafiken ermöglichen es, die Bandbreite von Backhuysens Seestück-Repertoire noch einmal im Überblick zu greifen und seinen Ruhm als Marinemaler zu erklären, wo man sich vielleicht noch mehr Hauptwerke gewünscht hätte. Die Genrebilder im Spätwerk des Künstlers illustrieren hingegen einen Wandel in der Marktlage nach dem Niedergang der heimischen Flotte (154).
Die diversen Selbstbildnisse ebenso wie etwa das Porträt der Alida Greffet, Backhuysens dritter Gattin (Kat. Nr. 6), unterstreichen den biografischen Schwerpunkt der Objektauswahl. Umfangreiche Landschafts- und Figurenstudien verdeutlichen die Arbeitsweise des Künstlers. Beispiele von Backhuysens sogenannter Federmalerei, wie die Schiffe auf der Reede vor Vlissingen (Kat. Nr. 3), zeigen seine Virtuosität und den hohen Anspruch, mit dem der Künstler die Amsterdamer Szene betritt. Der Katalogbeitrag impliziert, dass er damit kostengünstige Schwarzweißbilder geschaffen habe, die den Zeichner zum Maler werden ließen. Vielmehr jedoch misst sich Backhuysen hier in seiner Präzision und gleichzeitigen Stimmungshaftigkeit mit dem großen Konkurrenten Willem van de Velde dem Älteren, der noch in den Niederlanden weilte, bevor er gemeinsam mit seinem Sohn von Charles II 1672 nach England abgeworben wurde.
Solche Einbettung in das künstlerische Umfeld der Maler van de Velde, Hendrick Dubbels und nicht zuletzt Simon de Vlieger sowie die Anbindung von Backhuysens Werk an die Tradition der Seestücke älterer Künstler wie Hendrik Vroom oder Jan Procellis bleibt im wesentlichen allerdings dem Essay Peter Sigmonds überlassen und ist leider kaum durch Vergleichsabbildungen nachzuvollziehen. Auch die internationale Bedeutung des Werkes Backhuysens kann dem Essay entnommen werden, etwa anhand der dort besprochenen und heute im Louvre befindlichen Schiffe auf der Reede vor Amsterdam von 1665. Das Gemälde war als diplomatisches Geschenk der Amsterdamer Stadtverwaltung an den französischen Außenminister Hugues de Lionne in Auftrag gegebenen worden.
Sigmonds Beitrag Ludolf Backhuysen und die Marinehistorie in den Niederlanden (22-45) fasst die Entwicklung und historische Bedeutung der niederländischen Marinemalerei anhand der bisherigen Forschung überzeugend zusammen und ermöglicht auch dem mit dem Material Unvertrauten einen Einstieg in die Materie. Er problematisiert überdies die Interpretationshoheit der Auftraggeber und den Anspruch auf "künstlerische Qualität" prestigeträchtiger maritimer Historienszenen während des Aufstiegs der Niederlande zur globalen Seemacht.
Eine Behandlung der stilistischen Entwicklung der Gattung im Allgemeinen und Backhuysens Werk im Besonderen findet sowohl in Sigmonds als auch in den folgenden Essays nicht statt. Ebenso fehlt der Raum für eine Untersuchung der Naturdarstellung des Künstlers, etwa in seinen Strandbildern, und möglicher theologischer Bedeutungen von Bildern des Schiffbruchs und des Sturms, die zum Repertoire beinahe jeden Marinemalers in den Niederlanden gehörten. Dafür erhält der Leser in Annette Katzenbachs Beitrag Audienz bei Direktor Ludolf Backhuysen. Das repräsentative Selbstbildnis von 1699 in der Amsterdamer Kunstkammer (47-61) Einblick in das humanistische und künstlerische Selbstverständnis des Malers. Überdies legt die Autorin dar, inwiefern sein Selbstporträt als "ein Programmbild für die Amsterdamer Kunstkammer als akademisch motivierter Institution" (56) verstanden werden kann. Anhand des Bilds macht sie Rangeleien innerhalb der Lukasgilde nachvollziehbar, in der im 17. Jahrhundert auch die Glas- und Wandmaler organisiert waren.
Abschließend ist Karl Arndts Artikel Ludolf Backhuysen im literarischen Portrait des Kollegen Arnold Houbraken (63-86) als ein hilfreicher Beitrag zum Verständnis des Malers hervorzuheben. Erstmals ist hier die Lebensbeschreibung des Künstlers vollständig in deutscher Übersetzung zu finden, gefolgt von einer kompakten Einführung in Houbrakens De Groote Schouburgh der Nederlantsche Konstschilders ein Schilderessen.
Die vorliegende Publikation hat - wie die Marinemalerei und letztlich auch Backhuysens weites Œuvre - mit einer überwältigenden Vielseitigkeit an Themen, Motiven und Bedeutungen zu kämpfen und kann notwendigerweise nicht allen gerecht werden. Doch zeichnet sie ein lebendiges Bild von der Person Ludolf Backhuysens und beinhaltet eine erfolgreiche Annäherung an sein Leben und Werk auch über die technikversessene Spezialistenliebe zu Takelage und Geschützstärke hinaus.
Jenny Gaschke