Rezension über:

Marc Cioc: The Game of Conservation. International Treaties to Protect the World's Migratory Animals (= Series in Ecology and History), Athens, OH: Ohio University Press 2009, XI + 267 S., ISBN 978-0-8214-1866-6, 36,84
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Rezension von:
Anna-Katharina Wöbse
Bremen
Redaktionelle Betreuung:
Nils Freytag
Empfohlene Zitierweise:
Anna-Katharina Wöbse: Rezension von: Marc Cioc: The Game of Conservation. International Treaties to Protect the World's Migratory Animals, Athens, OH: Ohio University Press 2009, in: sehepunkte 10 (2010), Nr. 9 [15.09.2010], URL: https://www.sehepunkte.de
/2010/09/15874.html


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Marc Cioc: The Game of Conservation

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Reisen Sie nie spontan mit einem europäischen Aal im Gepäck ins Ausland, weder mit einem lebenden noch mit einem toten oder mit Teilen eines Aales oder mit Erzeugnissen daraus. Sie liefen Gefahr, beim Zoll aufgehalten und nach der CITES-Bescheinigung für den mitreisenden Fisch gefragt zu werden. Denn er genießt seit dem 13.03.2009 den Schutzstatus des Washingtoner Artenschutzabkommens, der Convention on International Trade in Endangered Species.

Der Schutz gefährdeter Arten als international anerkanntes politisches Ziel hat im Laufe des 20. Jahrhunderts ein dichtes Netz an Regulierungen und Überwachungsmechanismen hervorgebracht. Aber nicht nur der Handel machte eine Internationalisierung der Schutzparameter und -methoden notwendig, sondern auch der bei manchen Arten ausgeprägte Hang zum grenzüberschreitenden Wandern. Wem gehörte beispielsweise der Grauwal, der jährlich etwa 10.000 Kilometer zurücklegt und zwischen der freien See und diversen Hoheitsgewässern wechselt? Handel und Migration erzwangen Verhandlungen und Interessensabwägung zwischen den betroffenen Nationen.

Der amerikanische Umwelthistoriker Mark Cioc hat ein Buch vorgelegt, das sich den Ursprüngen dieser heute weltweit wirksamen Umweltregime widmet. Er analysierte drei internationale Artenschutzabkommen der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Die These seiner Darstellung stellt Cioc dem Buch unmissverständlich voran. Nach seiner Interpretation waren diese Konventionen ursprünglich keine Naturschutz- sondern vielmehr Jagdabkommen. Die Macher hinter den Regelwerken hatten weniger den Schutz von Habitaten im Fokus, sondern interessierten sich für jagdbares Wild. Dabei stellt er eine für die Naturschutzgeschichte entscheidende Frage: Von wem wird welche Natur weshalb und für wen geschützt? Im Gegensatz zur juristischen Fachliteratur, die heute regalmeterweise den Stand der internationalen Verhandlungen analysiert, rückt hier die historische Genese und damit eine oft vernachlässigte Erkundung von politischer Macht und Einflussnahme in den Vordergrund. Angesichts des sich nach wie vor beschleunigenden Artensterbens scheut sich Cioc nicht zu hinterfragen, ob der Pfad, der mit diesen frühen Abkommen eingeschlagen wurde, vielleicht eine falsche Richtung vorgab.

Seine Fallbeispiele bilden die Grundlage für heute weltweit wirksame Regelwerke, obwohl sie ganz unterschiedliche politische, ökologische und ökonomische Gemengelagen abbilden. Die Initiative zum Schutz der afrikanischen Großtierwelt war ein koloniales Projekt, das Ende des 19. Jahrhunderts in Deutsch-Ostafrika angestoßen und 1933 durch die multilaterale Kooperation der Kolonialmächte in eine Konvention gegossen wurde, die den Handel mit Produkten wie Elfenbein beschränkte, die Jagd regulierte und die Einrichtung von Schutzgebieten förderte. Die Lobbyisten, die hinter diesem internationalen Abkommen standen, entstammten dem politischen Establishment und waren oft selbst Großwildjäger, die vor allem die wandernden Trophäenstücke auf Dauer erhalten wollten. Ihre Schutzbestrebungen brachten eine Entmündigung der ansässigen Bevölkerung mit sich, machten die Bewohner der vermeintlichen afrikanischen Wildnis zu Wilderern und verbannten sie aus den neu projektierten Nationalparken - eine Ausschlusspolitik, die bis zum heutigen Tage wirksam und konfliktbeladen ist.

Ciocs zweites Fallbeispiel nimmt seinen Ausgang in den USA und zielte zunächst auf den Schutz der 'heimischen' Vogelwelt. Entlang deren vier großen Zugrouten postierten sich um die Jahrhundertwende hochgerüstete Trupps, die im großen Stil Geflügel jeder Art vom Himmel holten. Dass die vermeintliche Unerschöpflichkeit ein Mythos war, bewies die komplette Ausrottung der Wandertaube, einst ein Massenvogel, deren letztes Exemplar 1914 im Zoo von Cincinnati verstarb. Die Mobilität der Vögel zwang die US-amerikanische Legislative, über Grenzen hinaus zu denken. Daraus folgten wegweisende Abkommen mit Kanada 1916 als auch mit Mexiko 1936, um den Vögeln auf ihren Migrationsrouten einen Mindestschutz zukommen zu lassen. Das Abkommen von 1916 regulierte in erster Linie die Jagdsaison, um sicherzustellen, dass das Brutgeschäft bestimmter Vogelarten nicht beeinträchtigt wurde und legte Abschusskontingente fest.

Das dritte Beispiel rückt die Wale der Weltmeere in den Fokus. Die industrielle Nutzung der Tiere war seit Beginn des modernen Walfangs gegen Ende des 19. Jahrhunderts zunächst von Großbritannien und Norwegen dominiert. Im Laufe der 1920er Jahre bewahrheiteten sich die düsteren Voraussagen einiger weniger Kritiker, dass sich eine rasante Ausbeutung dieser faunistischen Fettreserven abzeichnete. Es war absehbar, dass auch neue Mitspieler wie Deutschland und Japan am Abbau des antarktischen Walöls teilzuhaben gedachten. Eine bilaterale Absprache zwischen den beiden Giganten des Geschäfts hätte nicht mehr ausgereicht. 1931 legte der Völkerbund ein Abkommen vor, das einen minimalen Schutz der Walkühe und -kälber einzelner Arten, Dokumentation der Fänge und die Fangsaison festlegte. Diese Konvention sollte folgenlos bleiben. Erst nach dem Krieg begann eine kleinschrittige Weiterentwicklung, die schließlich in das Moratorium von 1986 mündete.

So unterschiedlich die Beispiele auch gelagert sind, so weisen sie doch deutliche Schnittmengen auf. In allen drei Fällen wandte sich die diplomatische Aufmerksamkeit ökonomisch bedeutsamen Arten zu. Bei allen drei internationalen Abkommen gab es einen nationalstaatlichen Ursprung, der angesichts der Wanderbewegungen der Tiere grenzübergreifende Bedeutung bekam. Cioc arbeitet deutlich heraus, welchen hegemonialen Eigeninteressen die Initiativen für die Schutzprojekte dienten und wie ganz bestimmte Lesarten über Natur und Naturnutzung mit diesen Abkommen expandierten. Unter anderem fördert er dabei zutage, dass die starke anglo-amerikanische Prägung der internationalen Artenschutzdiplomatie zwar die Instrumente wie Nationalparke, Schonzeiten und Lizenzsysteme förderte, der ihr eigene Wirtschaftsliberalismus und die politische Dezentralisierung aber gleichzeitig die Durchsetzung der Abkommen konterkarierte.

Diese Doppelgesichtigkeit ist symptomatisch für die frühe Artenschutzdiplomatie. Und so wägt Cioc immer wieder Pro und Kontra der Abkommen ab. Er findet bei jeder Konvention starke Defizite, besonders was die Durchsetzung, gesellschaftliche Teilhabe und Effizienz angeht. Die Walkonvention verhinderte nicht, dass bis in die 1950er Jahre trotz besseren Wissens die Blauwalbestände radikal geplündert wurden; in den Nationalparks Afrikas bildete sich eine Naturschutzapartheid aus; und die panamerikanischen Abkommen ignorierten zunächst die zunehmenden Biotopverluste bedingt durch Landwirtschaft und Infrastrukturplanung. Gleichzeitig zollt er der Tatsache Tribut, dass sie überhaupt zustande kamen. Ihre Mängel sind eklatant - aber gleichzeitig bildeten sie die Basis für transnationale Diskurse und Normbildungen. In der Rückschau zeigt sich, wie stark die Abkommen in den vergangenen Jahrzehnten um Faktoren wie Habitatschutz und Vernetzung erweitert wurden und sich von ihren Ursprungsentwürfen emanzipiert haben.

Cioc konnte auf eine fundierte Forschung bezüglich der einzelnen Abkommen zurückgreifen. In der Zusammenschau jedoch eröffnen sich neue Dimensionen. Umweltdiplomatie bietet angesichts der kleinschrittigen Änderungen und langatmigen Diskurse genug Fallgruben der Langeweile. Aber Cioc hat diese Verläufe pointiert und macht deutlich, welche entscheidende Rolle einzelne Protagonisten in dem oft anonymen Prozess spielen, welche Folgen die technisch-industrielle Aufrüstung der Naturnutzung in Form von Elefantenbüchse, Waltran-Fabrikschiffen und Fleischvermarktung hatten und wie die wachsende ökologische Forschung die Abkommen beeinflusste. Sehr erfreulich ist, dass er immer wieder dem Objekt der Jagd- und Naturschutzbegierde wie Zebra, Buckelwal und Trauertaube Platz einräumt. Das Buch ist eine hervorragende Einführung in die Historiografie der Umweltdiplomatie.

Anna-Katharina Wöbse