Otto Zwierlein: Petrus in Rom. Die literarischen Zeugnisse. Mit einer kritischen Edition der Martyrien des Petrus und Paulus auf neuer handschriftlicher Grundlage (= Bd. 96), Berlin: De Gruyter 2009, XIII + 476 S., 4 Tafeln, ISBN 978-3-11-020808-5, EUR 98,00
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Als "Prodromos" einer Abhandlung über den so genannten "Hegesippus" mit einem Abschnitt über einen in Rom ausgetragenen Wettkampf zwischen Petrus und Simon Magus überprüft Zwierlein die gesamte Überlieferung zum Romaufenthalt des Apostels (4-335). Daran schließt sich eine Neu-Edition der Martyrien des Petrus und des Paulus an, für die Zwierlein eine noch nicht berücksichtigte Handschrift (Ochrid. bibl. mund. 44) heranzieht. Diese enthält neu eine Paulus-Rede mit einem Selbstporträt des Apostels. Der Ausgabe ist eine Übersetzung beigegeben (339-449). Stellen- sowie ein Wort-, Namen und Sachregister erschließen "das eigentliche Petrusbuch" (457-474).
Zwierlein wendet sich gegen den nach heftigen Debatten seit etwa einem halben Jahrhundert bestehenden (konfessionsübergreifenden) Konsens, dass die Martyrien von Petrus und Paulus in Rom als hinreichend gesichert gelten dürfen. Dabei vertritt er Datierungen und Interpretationen neutestamentlicher und anderer frühchristlicher Schriften, die oft von den üblichen Ansätzen abweichen. Methodisch stützt er sich vor allem auf "literarische Filiationen", d.h. auf Beobachtungen zum Sprachgebrauch, die in oft schwer nachvollziehbarer Weise Aussagen über Abhängigkeiten belegen sollen. Aktuelle Forschung wird nur punktuell berücksichtigt, und die Literaturauswahl erscheint gelegentlich höchst befremdlich: Hauptreferenz für die Datierung der Evangelien etwa ist eine 1982 erschienene Tonbandmitschrift eines Symposions des sonderbaren "Instituts für wissenschaftliche Grundlagenforschung".
Im Rahmen der Diskussion der in der Forschung genannten "Schlüsselbeweise" für den Aufenthalt des Apostels Petrus in Rom (4-35) wirft Zwierlein nur einen kurzen Blick auf den archäologischen Befund und konstatiert, dass selbst für die "gerne als Petrus-"Memoria"" apostrophierte Aedicula aus den Jahren 160-180 "offenbar ... kein Beweis" erbracht werden könne, "dass sie durch Christen errichtet wurde" (4-7). Leider fehlt hier eine Auseinandersetzung mit den eindringlichen Überlegungen von Lampe zu den wahrscheinlich erheblich älteren christlichen Traditionen dieser Stätte. [1] Als "literarische Schlüsselstellen" bespricht Zwierlein dann 1 Petr 5,13, 1 Clem 5-6 und Ign. Röm 4,3 sowie AscIs 4,2-3 mit dem Ergebnis, dass die beiden erstgenannten Briefe nicht als Belege taugten, dass es sich bei der "Ascensio Jesaiae" um eine "trübe Quelle" handle und dass der so genannte Römerbrief des Ignatius als Teil eines fiktiven Briefromans aus dem späten 2. Jahrhundert keinerlei Zeugniswert beanspruchen dürfe (7-35), Letzteres im Vorgriff auf ein späteres umfangreiches Teilkapitel (183-238). Die dort vertretene radikale Neuinterpretation aber kann nicht überzeugen, weil es weder gelingt zu erklären, wie ein späteres fiktives Briefcorpus die ehemals vorhandenen originalen Briefe spurlos verdrängen konnte, noch plausibel zu machen, warum diese angeblich späten Texte beim zentralen Thema des Martyriums terminologisch konsequent und ausschließlich einem älteren Sprachgebrauch folgen. Das hätte einem Fälscher aus verschiedenen Gründen kaum gelingen können. Man darf also weiterhin den Römerbrief des Ignatius für echt und für ein Zeugnis aus dem frühen 2. Jahrhundert halten, wonach Petrus eng mit dem stadtrömischen Christentum verbunden ist. Dafür spricht auch nach wie vor die Formulierung in 1 Petr 5,13: "Petrus" grüßt hier im Namen der Auserwählten "in Babylon". Diese müssen von den Gegrüßten unterschieden werden. Deswegen kann "Babylon" eben nicht eine Umschreibung für die Diaspora sein. Vielmehr wird man an der verbreiteten Deutung festhalten, dass "Babylon" für Rom steht. Zwierlein hält das für einen ausschließlich apokalyptischen, der Epistolographie fremden Sprachgebrauch und übersieht, dass es hier keine festen Genusgrenzen gibt, enthält doch gerade die Offenbarung des Johannes ausdrücklich so genannte Sendschreiben, also Briefe. Aber auch 1 Clem 5-6 bleibt ein Indiz dafür, dass man früh im 2. Jahrhundert Petrus und Rom miteinander verbunden hat: Dort fordert die Kirche in Rom die in Korinth auf: λάβωμεν πρὸ ὀφθαλμῶν ἡμῶν τοὺς ἀγαθοὺς ἀποστόλους = "Stellen wir uns unsere guten Apostel vor Augen." Hier dürfte sich trotz der ungewöhnlichen Stellung das Possessivpronomen "unsere" auf die Apostel, nicht auf die Augen beziehen. "Unsere" Apostel, nämlich die im Folgenden genannten Petrus und Paulus, sind auch nicht allgemein die aller Christen, denn davon gibt es mehr, sondern solche, die für Römer und Korinther in spezifischer Weise "unsere" sind.
Zwierleins Datierung des Clemensbriefes in frühhadrianische Zeit ist nicht überzeugend: Er ignoriert neuere Argumente für einen zeitlichen Ansatz um ca. 100 [2] und geht mit dem Hinweis auf die gerade unter Hadrian naheliegende Loyalität der Christen zum Reich in doppelter Weise fehl: (1) Das Gebet in 1 Clem 59-61 hat gar nicht Kaiser und Reich, sondern kirchliches Führungspersonal im Blick, taugt also nicht als Beleg für Reichsloyalität. [3] (2) Für eine christenfreundliche Politik des Kaisers fehlt jedes Zeugnis, da das Fundanus-Reskript, wie Nesselhauf gezeigt hat [4], eine christliche Fälschung ist. Umgekehrt spiegelt auch das im Clemensbrief erstmals unter Christen verwendete Motiv des Phoenix keine Anbiederung an Vorlieben Hadrians (318-320), sondern dient der - sorgfältig verpackten - Kritik an Ewigkeitsansprüchen des Reiches. [5]
Unter der Überschrift "Das Wirken Petri in Rom" beschäftigt sich Zwierlein ausführlich mit der Entwicklung der Legende über Petrus in Rom (36-127). Dabei stellt er beiläufig fest, dass diesem die Bildung gefehlt habe, um im römisch-hellenistischen Milieu als Missionar etwas ausrichten zu können. In einer Anmerkung (43 Anm. 23) wird diese Ansicht mit Hinweis auf Joh 12,21ff untermauert. Dort heißt es, dass an Jesus interessierte Hellenen sich gerade nicht an Petrus, sondern an Apostel mit griechischen Namen wie Philippus und Andreas gewandt hätten. Nun ist aber Andreas niemand anders als Petrus' Bruder - ein Beleg dafür, dass der Hellenismus diese Familie erreicht hatte, und damit ein wichtiges Indiz gegen Zwierleins Auffassung. Mehr Aufmerksamkeit hätte auch das Zeugnis über Petrus' Tod in Joh 21, 18-19 verdient. Zwierlein hält die erstmals bei Tertullian belegte Interpretation, es handle sich um eine Anspielung auf den Kreuzestod des Apostels, für ein "geistreiches Wortspiel" unter dem Eindruck der apokryphen Petruslegenden (119-124). Immerhin setzt der Evangelientext aber beim Publikum Kenntnisse vom "ruhmvollen" Tod des Apostels voraus. Dazu gehört, dass er die Hände ausstreckte, dann (nicht nur an den Händen) gefesselt und "getragen" oder "geführt" wurde (οἴσει), wohin er nicht wolle. Das ist mehr als "abführen" und passt gut zur Aufrichtung eines Kreuzes.
Wenn die These von Petrus' Martyrium in Rom also wohl nicht erschüttert wird, kann Zwierlein doch plausibel darlegen, wie die Erfindung eines dort ausgetragenen Wettstreits mit Simon Magus auf die Fehlinterpretation einer Inschrift zurückgeht (128-133). Auch der Interpretation von Irenäus' Rede von der "potentior principalitas" der Kirche in Rom (haer. 3,3,2) als Hinweis auf deren "bedeutenden Ursprung" wird man gerne folgen (140-156).
Anmerkungen:
[1] P. Lampe: Die stadtrömischen Christen in den beiden ersten Jahrhunderten, Tübingen 21987, 82-94.
[2] T. Schmitt: Paroikie und Oikoumene. Sozial- und mentalitätsgeschichtliche Untersuchungen zum 1. Clemensbrief, Berlin 2001, 78 mit Anm. 70, 117-122.
[3] ebd, 40-60.
[4] H. Nesselhauf: Hadrians Reskript an Minicius Fundanus, Hermes 104, 1976, 348-361.
[5] T. Schmitt: (wie Anm. 2) 106-108.
Tassilo Schmitt