Guntram Schulze-Wegener: Illustrierte deutsche Kriegsgeschichte. Von den Anfängen bis heute, Graz: Ares 2010, 344 S., ISBN 978-3-902475-72-5, EUR 39,90
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Seit etwa 30 Jahren erfreut sich die Militärgeschichtsschreibung in Deutschland eines wachsenden Interesses. Die historische Teildisziplin hat sich methodisch erweitert, die Lehrveranstaltungen sind bei den Studierenden gefragt, akademische und Publikumsverlage nehmen einschlägige Titel in ihr Programm auf und die Fachwissenschaftler werden zunehmend von den Medien als Experten angefragt. Diese erfreuliche Entwicklung wirft die Frage auf, inwieweit das fachliche Selbstverständnis und die Erträge der neueren Forschung inzwischen auch Eingang gefunden haben in den großen, heterogenen Markt der Militaria-Literatur. Hier rangieren die Themen und Positionen von der heereskundlichen Detailforschung über positivistische Vielschreiberei bis zur politischen Tendenzpublizistik. Der vorliegende Band eignet sich zu dieser Überprüfung in besonderem Maße, weil der Autor einerseits promovierter Historiker ist, andererseits als Chefredakteur der Zeitschrift "Militär und Geschichte" für einen Verlag tätig ist, dessen bekanntestes Produkt, die Landser-Hefte, sprichwörtlich für den Militaria-Markt steht. Fachwissenschaftliches Handwerkszeug in Kombination mit einer populären Schreibe sind sicher die wichtigsten Voraussetzungen für das hier vorgelegte Buchprojekt, eine von der Antike bis in die Gegenwart reichende Überblicksdarstellung.
Die Stoffverteilung weist allerdings einen klaren zeitgeschichtlichen Schwerpunkt aus, mehr als die Hälfte des Buchs behandelt das 20. Jahrhundert. Schulze-Wegener bietet dem Leser keine Einführung, aus der erkenntnisleitende Interessen oder Thesen ersichtlich werden. Auch einen Schlussteil, in dem er noch einmal die großen Linien der militärgeschichtlichen Entwicklung zeichnet, sucht man vergebens. Leider verzichtet der Autor auch darauf, darzulegen, was er überhaupt unter Deutschland, den Deutschen bzw. dem deutschen Kulturraum versteht. Die Frage, ab wann sich von einer deutschen Kriegsgeschichte sprechen lässt, beantwortet er allenfalls indirekt durch die erste Überschrift "Germanen". Methodisch handelt es sich um eine mit nationalem Fokus angelegte, konventionelle Kriegsgeschichte, die die Dimensionen jenseits des Waffenkrieges kaum behandelt. Einleitend geschickt begründet, wäre das noch nicht zu kritisieren. Allerdings geht Schulze-Wegeners Intention sehr viel weiter. Letztlich versucht er, eine nationalkonservative Meistererzählung deutscher Waffentaten zu schreiben. Auch das wäre unter Umständen noch lesenswert, wenn sich der Autor denn auf eine pointierte Thesenbildung einließe. Tatsächlich erschöpft sich das Buch aber in der Kompilation von Handbuchwissen und einem penetranten Nebensatz-Revisionismus. Namentlich in den Kapiteln zum Zeitalter der Weltkriege werden selektive Schilderung, Relativierung und die ungleiche Gewichtung vergleichbarer historischer Sachverhalte als publizistische Winkelzüge einer auf die Exkulpation deutscher Politik und Kriegspraxis abzielenden Darstellung eingesetzt.
So wertet er den Krieg in Deutsch-Südwestafrika 1904 bis 1908 als einen von Großbritannien initiierten Aufstand, dessen Opferzahlen heute in der Forschung stark übertrieben würden und der erst sein Ende gefunden habe, als das deutsche Expeditionskorps "dem Bandenwesen [...] energisch entgegentrat" (141). Bei der Schilderung der von der Forschung längst dekonstruierten "Augustbegeisterung" von 1914 bleibt es offen, ob der Autor zeitgenössisches Empfinden oder seine Interpretation wiedergibt, wenn er schreibt, dass es sich um einen "Kampf um das geistige Erbe Deutschlands gegen eine Welt von Feinden" (147) gehandelt habe. Bei der Darstellung der völkerrechtswidrigen Kriegspraxis von 1914 bis 1918 scheitert er an der militär- wie rechtshistorischen Analyse und verzichtet auf die Einordnung in den Gesamtzusammenhang des Krieges. Stattdessen werden gegnerische Handlungen teilweise scharf kritisiert, eigene dagegen nur am Rand erwähnt oder gerechtfertigt. So werden die Massenexekutionen und extralegalen Tötungen durch deutsche Truppen im Zuge des Einmarsches in Belgien und Nordfrankreich 1914 en passant erwähnt: Bei der Eroberung von Lüttich seien "auch erstmals Zivilisten erschossen" worden (150). Diese Einlassung liefert ihm dann aber nur den Anlass, über die Meinungsmache bei den Alliierten zu lamentieren, sodass der Eindruck entsteht, moralisch verwerflicher als die Kriegsverbrechen selbst sei die Greuelberichterstattung darüber gewesen.
Ein beliebtes Stereotyp linker wie rechter Antiamerikanisten kolportiert er bei der Schilderung des Kriegsbeitritts der USA 1917. Den Amerikanern sei es vornehmlich um den Kampf gegen die Monarchien gegangen: "Finanzspekulationen und massives Rüstungsinteresse sind dabei als zusätzliche Motivationsgrößen nicht auszuschließen. Dafür schickte die US-Regierung ihre Söhne ins Feuer" (184f.). Die Gewaltpraxis der Freikorps sei aus der Rückschau "durchaus verständlich" (199), den Versailler Vertrag qualifiziert er als ein "brutales Instrumentarium zur Niederhaltung, Ausbeutung, Plünderung und dauerhaften Beleidigung Deutschlands" (203). Die Remilitarisierung des Rheinlandes zeuge von Hitlers "bemerkenswertem Draufgängertum und Gespür für den günstigen politischen Augenblicks [sic]". Danach erstaunt es nicht mehr, dass Schulze-Wegener den Spanischen Bürgerkrieg als einen von der deutschen Öffentlichkeit als "zutiefst legitim empfundene[n] Abwehrkampf" (228f.) gegen den Kirchen schändenden internationalen Kommunismus bewertet.
Der Autor ist klug genug, die Verbrechen der Wehrmacht von 1939 bis 1945 nicht gänzlich auszublenden. Doch auch hier arbeitet er tendenziös. So zeigt das Foto auf Seite 236 angeblich die "Erschießung polnischer Zivilisten". Die dazugehörige Bildunterschrift suggeriert dann aber einen Zusammenhang mit dem Bromberger Blutsonntag, bei dem kurz zuvor Volksdeutsche "auf bestialische Weise" von den Polen ermordet worden seien. (Zu ergänzen ist, dass das Motiv tatsächlich die Leichen ermordeter Kriegsgefangener, und zwar am 8. September 1939 bei Ciepielów, zeigt). Auch im Zusammenhang mit dem Überfall auf die Sowjetunion 1941 erwähnt er zwar die verbrecherische Weisungslage der Wehrmacht (264), argumentiert dann aber, die als kriegsbedingte Härte oder Übergriffe relativierten Verbrechen seien Reaktionen auf "Greueltaten von Rotarmisten" gewesen (269). Die deutschen Soldaten erscheinen bei Schulze-Wegener von Hitler missbraucht. Sie spielen noch an Weihnachten 1942 im Kessel von Stalingrad Violine (283), werden von sowjetischen Partisanen "gemeuchelt" (270) und als Kriegsgefangene mit den Händen auf den Rücken bajonettiert (270). Lieber als von Verbrechen schreibt Schulze-Wegener ohnehin vom stillen Heldentum.
Die Verinnerlichung des antiquierten Sprachduktus' der vom Autor verwendeten Literatur ergibt eine über weite Strecken ermüdende Lektüre. Die Metaphorik ist bisweilen unfreiwillig komisch. Auch finden sich einige ziemlich erratische Argumentationsketten, so zur etymologischen Herleitung des Wochentags Donnerstag: "Wenn die Schlacht im Teutoburger Wald auch in manchen Geschichtsdarstellungen in ihrer Bedeutung heruntergespielt wird, so ist dennoch unbestritten, daß sich Germanien durch diesen Sieg von der römischen Herrschaft befreite. Nicht anders ist zu erklären, warum der Donnerstag nach dem germanischen Gott Donar benannt wurde und nicht wie im Französischen nach dem römischen Gott Jupiter" (16). Rätselhaft bleibt auch der Zusammenhang zwischen den Technikhaltungen im preußisch-deutschen Offizierkorps 1871 bis 1914 und der Kolonialgeschichte: "Häufig sind nur diejenigen Generale und Admirale zu höchsten Ehren gelangt, die neben ihrer Gabe einer charismatischen Führer- und militärischen Führungskunst einen sicheren Instinkt für die waffentechnischen Möglichkeiten ihrer Zeit [...] bewiesen haben. Zu diesen Persönlichkeiten zählt der spätere Großadmiral Alfred v. Tirpitz, der 1897 (in diesem Jahr wurde Kiautschou deutsche Kolonie) zum Staatssekretär des Reichsmarineamtes ernannt wurde - obwohl er letztlich gescheitert ist" (138f.). Stilblüten bietet auch die Schilderung des Grabenkrieges von 1914 bis 1918: "Kronzeugen dieser Art 'Maulwurfkrieg' mit Bajonett, Spaten, Hacke und primitiven, aber äußerst wirksamen Sprengmitteln wie Minen waren die Argonnenkämpfe im Januar und Februar 1915" (169f.). Oder, an anderer Stelle: "Als Kontrapunkt gewann der Grabenkrieg nun an Eigendynamik und gebar den systematischen Einsatz von ihre Pflicht mit Hingabe erfüllenden Spezialisten und Einzelkämpfern, in erster Linie Scharfschützen [...] und Stoßtrupps, die wegen ihrer lautlosen Fortbewegungsart für Nervosität sorgten" (171).
Damit die kontrapunktische Eigendynamik der Lektüre keine gesundheitlichen Folgen beim Leser und beim Rezensenten gebiert, soll an dieser Stelle abgebrochen werden. Der Autor scheitert fachwissenschaftlich und schriftstellerisch an seinem Stoff. Das Buch ist politisch tendenziös. Ziel eines populären Sachbuches sollte es sein, den Leser anzuregen. Der vorliegende Text regt seine Leser nicht an, er bedient sie allenfalls - er bedient sie mit nationalkonservativen Geschichtsbildern des ausgehenden 19. Jahrhunderts und mit geschichtspolitischen Codes der 'Neuen Rechten'.
Markus Pöhlmann