Björn Slenczka: Das Schisma der Augsburger Konfessionsverwandten von 1557. Protestantische Konfessionspolitik und Theologie im Zusammenhang des zweiten Wormser Religionsgesprächs (= Beiträge zur historischen Theologie; 155), Tübingen: Mohr Siebeck 2010, XVIII + 545 S., ISBN 978-3-16-150100-5, EUR 109,00
Inhaltsverzeichnis dieses Buches
Buch im KVK suchen
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Das 2. Wormser Religionsgespräch war der letzte Versuch, auf Reichsebene zur Vergleichung der strittigen Religionsfrage zu kommen. Wichtige Gesprächspartner auf römisch-katholischer Seite waren Pflug, Helding und Canisius und auf evangelischer Seite Brenz, Schnepf und Melanchthon. Die besondere Bedeutung dieses Gespräches lag darin, dass nach dem Augsburger Religionsfrieden 1555 die Konfessionalisierung in breiter Front voranschritt. So sah sich die römisch-katholische Seite dem 1545 begonnenen Trienter Konzil verpflichtet, während sich die evangelische Seite nach den Erfahrungen des Schmalkaldischen Krieges 1547 und der Auseinandersetzung mit dem Interim von 1548 um eine gemeinsame Konfessionspolitik bemühte, deren Grundlagen die Confessio Augustana von 1530, deren Apologie von 1531 und die Schmalkaldischen Artikel Luthers von 1537 bildeten. Dabei wurden zugleich innerprotestantische Differenzen sichtbar wie der Streit um die Abendmahlslehre mit Zwingli, der Osiandrismus, der Adiaphorismus, der Majorismus, die Täuferfrage und andere reformatorische Radikalisierungen.
Während das Scheitern des Wormser Religionsgespräches zwischen der römisch-katholischen und der evangelischen Seite u.a. von Benno von Bundschuh [1] anhand der offiziellen Gesprächsakten analysiert und dargestellt ist, gilt dies weniger von dem innerprotestantischen Ringen um eine einheitlich konfessionelle Linie, dessen Spannungen 1557 zu einem innerprotestantischen Schisma führten, das den Abbruch des Wormser Religionsgespräches von 1557 mit verursachte. Die materialreiche Dissertation von B. Slenczka widmet sich gerade diesem Ringen der Augsburger Konfessionsverwandten um eine konfessionelle Einheit. "Der Regensburger Reichstag (von 1556/57) mit Reichsabschied und Nebenabschied auf der einen und das Wormser Schisma auf der anderen Seite markieren daher Ausgangs- und Zielpunkt der vorliegenden Untersuchung. Die Endphase des Wormser Religionsgesprächs nach dem Bruch zwischen den Augsburger Konfessionsverwandten wird in Form eines Ausblicks berücksichtigt." (5) Entsprechend nimmt die Arbeit zunächst die Ergebnisse der Religionsverhandlungen und Ansätze zu einer gemeinsamen evangelischen Konfessionspolitik während des Reichstags in Regensburg 1556/57 in den Blick (II, 1). Dann untersucht sie die evangelischen Vorbereitungen auf das Wormser Religionsgespräch von 1557 und deren Vorgaben und ständische Instruktionen (II, 2). Danach fragt sie nach der Bewährungsprobe der informellen Vorbereitungen für die Einigkeit der Augsburger Konfessionsverwandten in Worms (II, 3) und zeigt die Grenzen jener Bemühungen in Worms auf (II, 4). "Den Abschluss der Darstellung bildet die Analyse der sich immer weiter zuspitzenden Auseinandersetzungen zwischen den Augsburger Konfessionsverwandten nach der Eröffnung des Reichsreligionsgesprächs, die trotz zwischenzeitlich erreichter maximaler Annäherung schließlich zum öffentlichen Bruch führten (II, 5). Auf die Darstellung folgen schließlich Auswertung und Ausblicke unter verschiedenen zentralen kirchen- und theologiegeschichtlichen Aspekten (III)" (5). Damit liefert die Arbeit einen zentralen "Beitrag zur Erforschung der konfessionsinternen Pluralisierung im Bereich der Augsburger Konfessionsverwandten unter den Bedingungen des Religionsfriedens von 1555" (a.a.O).
Diese Pluralisierung in Worms war zentral bestimmt von der Haltung einer weitgehend gnesiolutherischen Position der Deputierten des ernestinischen Sachsens um E. Schnepf, die auf der Basis eines in Regensburg 1556/57 neben dem Reichsabschied erzielten Nebenabschieds auf eine Übereinstimmung der Augsburger Konfessionsverwandten und auf eine Kondemnation innerprotestantischer, der CA, der Apologie und den Schmalkaldischen Artikeln widersprechenden Irrlehren (Zwinglianismus, Osiandrismus, Majorismus, Adiaphorismus u.a. ) zielte und der oberdeutschen Konfessionspolitik Württembergs und der Kurpfalz widersprach. Diese beiden Reichsstände zielten zwar ebenfalls auf eine einheitliche Linie der Augsburger Konfessionsverwandten, wollten aber die Überwindung innerprotestantischer Differenzen einer Synode nach dem bevorstehenden Religionsgespräch überlassen. Das albertinische Kursachsen räumte im Blick auf die überragende Autorität Melanchthons den Verhandlungen größere Spielräume ein, die Melanchthon in der Tat mit der Bereitschaft, zu innerprotestantischer Einheit zu gelangen, nutzte, ohne jedoch die ernestinischen gnesiolutherischen Theologen für sich gewinnen zu können. Namentlich der ernestinische Jurist Basilius Monner sammelte diese Theologen um sich und vertrat deren verschärfte konfessionalistische Position, die sowohl bei den Pfälzern wie den Württembergern auf Ablehnung stieß. Die daraus resultierende Spannung und Polarisierung zeigte sich sowohl auf der Ebene der Theologen wie auf der diese und die politischen Räte durch Instruktionen bestimmenden Fürsten. Die Polarisierung spitzte sich u. a. am 9. September 1557 zu einer Auseinandersetzung zwischen den gnesiolutherisch orientierten Theologen und den Württembergern Brenz und Andreae um die Verwerfung des Osiandrismus zu. Dennoch gab es auch Bewegung zwischen den innerevangelischen Fronten. Der kursächsische Theologe V. Strigel und auch der pommersche Superintendent Runge und die hinter ihm stehende Gruppe "Weißer Schwan" bemühten sich um einen Kompromiss, der jedoch an Brenz scheiterte, da dieser strikt gegen eine Vorverurteilung Osianders war.
Als schließlich am 11. September 1557 das Reichsreligionsgespräch eröffnet wurde, war die evangelische Seite uneinig und gespalten. Die gnesiolutherischen Theologen nahmen dennoch am Gespräch vorbehaltlich dessen teil, dass "der Fall der Not" nicht eintreten werde, d.h. dass die römisch-katholische Seite auf eine Aufhebung der innerevangelischen Abgrenzungen bestehen würde. Als dann doch die römisch-katholische Seite die innerevangelischen Divergenzen zur Sprache brachte, kam es für die gnesiolutherischen Theologen zum "status confessionis". Auch als Melanchthon noch die Möglichkeit eines gruppenweisen Protestes in Gestalt einer "forma protestationis" ins Spiel brachte, waren die gnesiolutherischen Theologen nicht zufriedenzustellen. Die auf die Einigkeit der evangelischen Seite bedachten evangelischen Räte schlossen schließlich am 22. September 1557 die gnesiolutherischen Theologen von den Verhandlungen aus und zielten darauf, sie durch andere zu ersetzen. Als auf allen Ebenen versuchte Schadensbegrenzungen nicht fruchteten, beschlossen die gnesiolutherischen Theologen "um des Gewissens willen" das Wormser Religionsgespräch zu verlassen und verstanden ihren Abzug rechtlich als Sezession. "Am 2. Oktober verließen sie Worms - das Schisma der Augsburger Konfessionsverwandten war manifest." (479)
Der in der Forschung immer wieder betonte Einfluss des Flacius auf die gnesiolutherischen Deputierten in Worms von Jena aus war nur indirekter Natur. Diese handelten von Anfang an eigenständig und waren fest entschlossen, ihre Teilnahme an dem Religionsgespräch von der Verwerfung bestimmter innerprotestantischer Irrlehren abhängig zu machen. Das Schisma der Augsburgischen Konfessionverwandten nahm die römisch-katholische Seite schließlich zum Anlass, den Abbruch des Wormser Religionsgespräches zu betreiben. Doch es vergingen noch zwei Monate, bis die Evangelischen Anfang Dezember 1557 das Religionsgespräch verließen.
Vergleicht man das Reichsreligionsgespräch von Worms 1557 mit den vorangegangenen Reichsreligionsgesprächen von Hagenau, Worms und Regensburg 1540/41 sowie Regensburg 1546, so wird deutlich, dass diese noch mehr einem offenen interkonfessionellen Dialog - auf evangelischer Seite unter Führung Melanchthons - verpflichtet waren, während nach dem Interim von 1548 und dem Augsburger Religionsfrieden von 1555 und der Eröffnung des Trienter Konzils 1545 die Konfessionalisierung deutlich voranging, so dass die Chance, auf einem Reichsreligionsgespräch doch noch eine Lösung der strittigen Religionsfrage zu erreichen, nicht mehr gegeben war. Dass das insbesondere auch für die zerstrittenen Augsburger Konfessionsverwandten 1557 der Fall war, hat die Arbeit von B. Slenczka auf der Basis einer sorgfältigen und umfassenden Quellenanalyse eindrücklich gezeigt.
Anmerkung:
[1] Benno von Bundschuh: Das Wormser Religionsgespräch von 1557 unter besonderer Berücksichtigung der kaiserlichen Religionspolitik, Münster 1988.
Karl-Heinz zur Mühlen