Rezension über:

Thomas Dittelbach: Geschichte Siziliens. Von der Antike bis heute (= C.H. Beck Wissen; 2490), München: C.H.Beck 2010, 128 S., ISBN 978-3-406-58790-0, EUR 8,95
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Rezension von:
Alexander Franke
Historisches Seminar, Universität Bonn
Redaktionelle Betreuung:
Andreas Fahrmeir
Empfohlene Zitierweise:
Alexander Franke: Rezension von: Thomas Dittelbach: Geschichte Siziliens. Von der Antike bis heute, München: C.H.Beck 2010, in: sehepunkte 11 (2011), Nr. 6 [15.06.2011], URL: https://www.sehepunkte.de
/2011/06/17593.html


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Thomas Dittelbach: Geschichte Siziliens

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"Mit der Geschichte Siziliens haben sich in den vergangenen zweihundert Jahren nicht nur Historiker beschäftigt. Vielmehr waren es Puppenspieler und fahrende Sänger, die Cantastorie, die Geschichten aus der Geschichte dieses uralten Kulturlandes in Episoden kleideten und immer wieder erzählten" (7). Mit diesen Worten beginnt Thomas Dittelbach seine mitunter im klassischen Sinne dramatische Darstellung der Geschichte Siziliens. Von den mythischen Anfängen der Antike bis zu den mafiosen Machenschaften der Gegenwart behandelt er in chronologischer Folge und 22 Kapiteln Helden und Antihelden Siziliens und zeigt dabei, dass allen historischen Wechselfällen zum Trotz vieles immer gleich geblieben ist.

Das 128 Seiten umfassende Buch ist in der populären Reihe "C. H. Beck Wissen" erschienen und richtet sich in erster Linie nicht an ein wissenschaftliches Publikum, sondern an eine breite, geschichtlich interessierte Leserschaft. Bemerkenswert ist freilich, dass es sich um die erste in deutscher Sprache verfasste Gesamtdarstellung der Geschichte Siziliens handelt. [1]

Wenngleich Dittelbachs Publikation ihrem Format entsprechend keinen wissenschaftlichen Anmerkungsapparat enthält, ist sie doch auf zweierlei Weise bestens fundiert. Zum einen nennt der Verfasser zahlreiche Belege aus Quellen zur sizilischen Geschichte, so z.B. in den Kapiteln 1 und 2 aus dem "Peloponnesischen Krieg" des Thukydides. Zum andern nimmt sich der ausgewiesene Kunsthistoriker immer wieder kunstgeschichtlich oder architektonisch bedeutsame Gegenstände vor und erzählt anhand ihrer Beschreibung und Interpretation ein Stück der Geschichte Siziliens, z.B. in Kapitel 14 die Geschichte der "Heiligen Inquisition" anhand eines Reliquiars des 16. Jahrhunderts. Mit dieser Verknüpfung zwischen konkreten Artefakten und abstrakter Erzählung macht der Autor die Geschichte Siziliens im wahrsten Sinne des Wortes "begreifbar".

Zugleich versteht es Dittelbach, dem Leser die großen Linien der Geschichte zu zeigen, die über die Grenzen der jeweiligen Zeitalter hinausweisen, und ihm die Aktualität der Vergangenheit vor Augen zu führen - etwa wenn er über Ciceros Prozess gegen Verres berichtet und feststellt, "Ciceros Anklageschrift könnte heute wörtlich auf führende Politiker und Mitglieder der Cosa Nostra in Sizilien angewendet werden" (24). Und wenn der Autor einerseits das Augenmerk des Lesers auf besonders wichtige Gegenstände und Bereiche der sizilischen Geschichte lenkt, weitet er andererseits auch seinen Blick, zeigt weltgeschichtliche Zusammenhänge wie das fatimidische Schisma (32ff.) oder den Einfluss der amerikanischen Supermacht (95-106) und erklärt die Geschichte Siziliens in ihrem Rahmen.

Von Kapitel 6 an rückt Palermo mit seiner politischen, wirtschaftlichen und baulichen Entwicklung über weite Strecken in den Mittelpunkt. Besonders eindrücklich beschreibt Dittelbach in Kapitel 10 die normannische Stadt als neue Residenz des Königs: "seit Beginn des 12. Jahrhundert eine der größten Baustellen Europas, die mehr als 80 Jahre bestand" (39). Ergänzt wird seine Beschreibung durch einen auf der hinteren Umschlaginnenseite abgedruckten Grundriss des Normannenpalastes.

In dessen stufenartiger Anlage sieht Dittelbach, expressis verbis der Forschung widersprechend, das Selbstverständnis der normannisch-sizilischen Könige repräsentiert, das er als "ein neues Standesbewusstsein" charakterisiert, "das seine Begründung in einem urzeitlichen, alttestamentarischen Königtum Salomos suchte und den Gottkönig selbst als Lehnsherrn und oberste moralische Instanz an die Spitze des an sich ahnenlosen normannischen Staatengebildes stellte" (39). In diesem Sinne interpretiert er die Ausstattung der Kirchen Cefalù und Monreale, Belege zeitgenössischer Texte bietet er nicht. Den normannischen König von Sizilien als "Gottkönig" zu bezeichnen, scheint freilich - bei allem baulichen Prunk und aller politisch-administrativen Ausrichtung des regnum auf den Monarchen - zu ideologisch. Regierungshandeln und Verwaltungsmaßnahmen der normannisch-sizilischen Könige zeigen vielmehr, dass sie in der Regel pragmatisch vorgingen, was Dittelbach im Blick auf ihre Toleranzpolitik auch konzediert (52).

Seine ideologische Deutung des Königtums veranlasst den Autor, den Fall des normannisch-sizilischen Königreichs nicht zuletzt einem Realitätsverlust seiner Herrscher zuzuschreiben: "Als 1189 der letzte legitime Normannenkönig Wilhelm II. kinderlos starb, trat die Fehleinschätzung des normannischen 'gottgleichen' Herrschertums gegenüber der Realität offen zu Tage" (46). Die Forschung [2] sieht das Verhalten Wilhelms II. - insbesondere sein Arrangement der Eheverbindung 1184/86 zwischen Konstanze von Sizilien und Heinrich VI. - jedoch eher situativ und von pragmatischen Grundsätzen geleitet: Vor dem Feldzug gegen Byzanz galt es, eine Regelung für den Eventualerbfall zu treffen; dass Wilhelm II. 1189 bereits mit 36 Jahren kinderlos sterben sollte, war eher ein biologischer Zufall.

Wenngleich Dittelbach in seiner "Geschichte Siziliens" viele Kontinuitäten beobachtet, stellt er für das Ende des 17. Jahrhunderts, als Sizilien Objekt spanisch-französischer Auseinandersetzungen war, doch eine grundlegende Veränderung fest: "Zum ersten Mal in der Geschichte seit normannischer Zeit gab es nun Anzeichen für den Machtverlust der Barone" (68). Als dessen gesellschaftliche Folge erkennt er, im Einklang mit der Forschung, eine Polarisierung von Adel und Proletariat, die beide zentrale und nationale Interessen ablehnten und damit anfällig für mafiose politische Instrumentalisierung waren.

Die Charakteristika der sozialen Entwicklung Siziliens und die Rolle der immer mächtigeren sizilischen Mafia durchziehen die letzten Kapitel der "Geschichte Siziliens" gleich einem roten Faden. Der Verfasser beschreibt die Entstehung einer neuen Form des Klientelwesens im 19. Jahrhundert, die der Mafia einen fruchtbaren Boden bereitete: "Das Ergebnis war ein aufgeblähter Staatsapparat mit einem Heer von Amtsdienern, Kustoden und Klienten" (82). Dittelbachs Auseinandersetzung mit der Cosa Nostra, ihren Organisationsstrukturen und ihrem Wirken in Staat und Gesellschaft wird auf den letzten 25 Seiten des Buchs bemerkenswert konkret und trägt ganz erheblich dazu bei, dem Leser nicht nur die jüngste Geschichte, sondern auch die Kultur Siziliens und die Mentalität(en) der Sizilianer verständlich zu machen, denn: "Die Mafia ist ein kulturgeschichtliches Phänomen" (117).

Alles in allem ist Dittelbachs "Geschichte Siziliens" eine umfassende und gehaltvolle Darstellung, die historische Einzelheiten und Zusammenhänge "begreifbar" macht und auf unterhaltsame, aber keineswegs unangemessene Weise "dramatisiert". Gespickt mit literarischen und filmischen Verweisen sowie ausgestattet mit einer Zeittafel und einem Register bietet sie einen anregenden ersten Zugang zu Geschichte und Kultur Siziliens und lädt mit gut ausgewählten Literaturhinweisen zur Vertiefung ein.


Anmerkungen:

[1] Als Übersetzung ins Deutsche erschien 1989 in erster Auflage eine englische Gesamtdarstellung der Geschichte Siziliens: Moses I. Finley / Denis Mack Smith / Christopher Duggan: Geschichte Siziliens und der Sizilianer (= Beck'sche Reihe, 1256), München 32006.

[2] Siehe etwa Theo Kölzer: Sizilien und das Reich im ausgehenden 12. Jahrhundert, in: Historisches Jahrbuch 110 (1990), 3-22; Christoph Reisinger: Tankred von Lecce. Normannischer König von Sizilien 1190-1194 (= Kölner Historische Abhandlungen, 38), Köln / Weimar / Wien 1992; Annkristin Schlichte: Der "gute" König. Wilhelm II. von Sizilien (1166-1189) (= Bibliothek des Deutschen Historischen Instituts in Rom, 110), Tübingen 2005.

Alexander Franke