Caroline Schuster Cordone: Le crépuscule du corps. Images de la vieillesse féminine (= Collection Testimonia), Gollion: Éditions InFolio 2009, 304 S., ISBN 978-2-88474-156-9, EUR 25,00
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In ihrem Buch über die altersbedingte "Dämmerung des Körpers" widmet sich Caroline Schuster Cordone einem Thema, das in den letzten Jahren vermehrt wissenschaftliche Aufmerksamkeit gefunden hat. Mit Alter, Altern und Alt-Sein ist ein komplexes Geflecht von Diskursen und sozialen Praktiken umrissen, das interdisziplinäre Analyseperspektiven regelrecht einfordert. Geht es um die Bildlichkeit des Alter(n)s, stand und steht der Körper im Fokus. Denn das Körperbild ist das privilegierte Medium für historisch divergente und geschlechterspezifische Einschreibungen des Alter(n)s und dessen Verankerung im Sozialen. Die kunstgeschichtliche Forschung kann hier einen wesentlichen Beitrag leisten und scheint doch erst am Anfang bzw. noch am Rande der Diskussion zu stehen. [1] Die Arbeit von Schuster Cordone, die "weibliche Altersbilder" im 16. und 17. Jahrhundert vor allem in Italien untersucht, ist insofern schon aus forschungsstrategischen Gründen zu begrüßen. Eine ertragreiche Lektüre bietet sie allemal.
Die Studie hat drei große, annähernd gleich dimensionierte Teile. Der erste gilt der Sozialisation der alten Frau in der Frühen Neuzeit. Schuster Cordone untersucht hier, unter Berücksichtigung gesellschafts- und kunsthistorischer Befunde, einschlägige Rollenbilder (Großmutter, Amme, Witwe, spirituelle Instanz) und deren sich wandelnde Ikonografien. Sie kann nachweisen, dass erst ab der Mitte des 16. Jahrhunderts signifikante Darstellungen auch der weiblichen Lebensalter entstehen, das Thema "alte Frau" also in dieser Zeit aufkommt, im Bildlichen wie im Sozialen. Während nordalpin bis zu zehn männliche bzw. weibliche Lebensalter unterschieden werden, gibt es in Italien für die Frauen ein Drei-Phasen-Modell (12, 25 und 40 Jahre), das wiederum mit gesellschaftlich verankerten, auch rechtsverbindlichen Altersgrenzen und damit einhergehenden Rollenzuweisungen korrespondiert und bis weit in das 17. Jahrhundert hinein Gültigkeit besitzt. Latent unterbelichtet bleiben - nicht nur in diesem ersten Teil von Schuster Cordones Buch - Fragen nach dem Verhältnis von Bildlichkeit, Diskurs und sozialer Praxis. Welche Bedeutung kommt den Bildern bei der Verfestigung und Veränderung von Alter(n)snormen und deren geschlechtergeschichtlichen Implikationen zu? Welche Funktions- oder Wirkzusammenhänge sind vorstellbar für historische "Bilder des weiblichen Alters", auch angesichts ihrer je spezifischen medialen Qualität?
Im zweiten und interessantesten Teil ihrer Untersuchung ("Un lent déclin") erörtert Schuster Cordone das im 16. Jahrhundert in Wort und Bild vehement formulierte Interesse am (eigenen) Körper, an seinen alterungsbedingten Veränderungen und Verformungen. Die Reflexion des am Körper sich abzeichnenden bzw. den Körper kennzeichnenden Alterungsprozesses ist auch eine über seine prinzipielle Formbarkeit. Sie findet Eingang in die frühe Theoriebildung zur Porträtkunst und wirft grundsätzliche Fragen für die Ästhetik von Zeit und Zeitlichkeit auf. Offensichtlich gibt der mit dem Altern verknüpfte und individuell erfahrene körperliche Verfall verbreitet Anlass zur Sorge, die im 16. Jahrhundert allerdings vornehmlich von Männern geäußert oder zumindest vorrangig von ihnen auch schriftlich fixiert wird.
Demgegenüber steht das vielbeschworene Schönheitsideal des jungen weiblichen Körpers, dessen Vergänglichkeit der Subtext all seiner emphatischen Darstellungen des 16. und 17. Jahrhunderts ist. Schuster Cordone erörtert hier u.a., und ausgehend von Tizians "Venus mit dem Spiegel" in Washington (um 1555, NGA), das süd- und nordalpin variationsreich eingesetzte Spiegelmotiv als eine Strategie der Veranschaulichung von Alterungsprozessen. Über das Spiegelbild werde der Blick in eine andere Zeit, auf einen zukünftigen, gewandelten Körper eröffnet.
Das Spiegelmoment thematisiert Schuster Cordone auch in ihrer Analyse von Giorgiones Gemälde "La Vecchia" (1505-1510, Venedig, Gallerie dell'Accademia), das vermutlich der Ausgangspunkt für diese an der Universität Fribourg abgeschlossene Dissertation war. Schuster Cordone umkreist das Rätsel der zwischen Allegorie und Porträt oszillierenden Darstellung einer alten Frau, deren Haltung, Gestik, Mimik und Blick den Betrachter in ein intensives Zwiegespräch verwickeln. In "La Vecchia" scheinen sich der Blick der Alten auf ihr eigenes Spiegelbild und der des Betrachters zu überlagern und gegenseitig zu verstärken, sodass der Körper der Frau eine enorme physische Präsenz erlangt. In Anlehnung an Jean Améry erkennt Schuster Cordone in Giorgiones Gemälde ein Zeugnis vom Altern als "process de matérialisation et de substantialisation". [2] "La Vecchia" präsentiere sich somit durchaus - und für die Zeit typisch - als eine allegorische Darstellung des Alter(n)s, mache aber zugleich mittels dieser starken physischen Präsenz eine höchst individuelle Körperlichkeit und Wahrnehmung von Alt-Sein kenntlich (157f.). Die besondere Qualität des Gemäldes bestände demnach darin, Alter(n) als anthropologische Konstante, soziale Konstruktion und individuelle Erfahrung gleichermaßen zu sehen zu geben.
In dem "Transgressions" betitelten dritten Teil ihrer Studie analysiert Schuster Cordone Bilder weiblichen Alters, die gesellschaftlich akzeptierte Rollenentwürfe überschreiten und insofern auch emanzipatorisches Potential besitzen. Hierzu zählen vor allem Bilder von sexuell aktiven oder aber als Mittlerinnen bei Liebeshändeln tätigen Greisinnen, von späten Müttern und kinderfressenden Hexen. Besonders in diesen Kapiteln wird deutlich, dass Bilder des weiblichen Alters häufig Bilder 'des Anderen' bannen und insofern eine Alterität ganz eigener Art und Wirksamkeit hervorbringen. Dass Bilder alter Frauen nach wie vor für Irritationen sorgen können, zeigt Schuster Cordone in ihrem abschließenden Ausblick auf einschlägige Arbeiten der Gegenwartskunst (u.a. von Gilles Barbier, Bill Viola, Lucian Freud).
Mit "Le crépuscule du corps" liegt nun eine historisch und kulturlandschaftlich fokussierte Untersuchung vor, deren Materialreichtum und kluge Argumentation das Forschungsfeld Alter(n) substantiell bereichert. Es ist zu wünschen und zu hoffen, dass das Buch von Caroline Schuster Cordone weitere einschlägige Studien anregt.
Anmerkungen:
[1] Mehrere, in den letzten Jahren erschienene wissenschaftliche Sammelbände enthalten auch kunsthistorische Beiträge; vgl. Heike Hartung (Hg.): Alter und Geschlecht. Repräsentationen, Geschichte und Theorien des Alter(n)s, Bielefeld 2005; Andrea von Hülsen-Esch / Hiltrud Westermann-Angerhausen (Hgg.): Zum Sterben schön! Alter, Totentanz und Sterbekunst von 1500 bis heute, Regensburg 2006, 2 Bde.; Andrea von Hülsen-Esch et al. (Hgg.): Alterskulturen und Potentiale des Alter(n)s, Berlin 2007; Colette H. Winn / Cathy Yandell (éds.): Vieillir à la Renaissance, Paris 2009; Sabine Mehlmann / Sigrid Ruby (Hgg.): "Für Dein Alter siehst Du gut aus!" Von der Un/Sichtbarkeit des alternden Körpers im Horizont des demographischen Wandels, Bielefeld 2010; Das Kunsthistorische Institut in Florenz ist sein einiger Zeit mit einschlägigen Forschungsprojekten im "Max Planck International Research Network on Aging" (http://www.maxnetaging.mpg.de) vertreten.
[2] Vgl. Jean Améry: Du vieillissement. Révolte et résignation, Paris 1991.
Sigrid Ruby