Rezension über:

Edda Binder-Iijima / Heinz-Dietrich Löwe / Gerhard Volkmer (Hgg.): Die Hohenzollern in Rumänien 1866-1947. Eine monarchische Herrschaftsordnung im europäischen Kontext (= Studia Transylvanica; Bd. 41), Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2010, 196 S., ISBN 978-3-412-20540-9, EUR 29,90
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Rezension von:
Peter Ulrich Weiß
Potsdam
Empfohlene Zitierweise:
Peter Ulrich Weiß: Rezension von: Edda Binder-Iijima / Heinz-Dietrich Löwe / Gerhard Volkmer (Hgg.): Die Hohenzollern in Rumänien 1866-1947. Eine monarchische Herrschaftsordnung im europäischen Kontext, Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2010, in: sehepunkte 11 (2011), Nr. 9 [15.09.2011], URL: https://www.sehepunkte.de
/2011/09/19124.html


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Edda Binder-Iijima / Heinz-Dietrich Löwe / Gerhard Volkmer (Hgg.): Die Hohenzollern in Rumänien 1866-1947

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Am 10. Mai 2011 überraschte der 89-jährige Ex-König Mihai I. die rumänische Öffentlichkeit mit der Nachricht, ab sofort alle Titel seines Hauses Hohenzollern-Sigmaringen niederlegen und sich nur noch König "von Rumänien" nennen zu wollen. Dies würde den unabhängigen und nationalen Charakter des Königshauses bekräftigen, zugleich entspräche er damit einem 90 Jahre zuvor geäußerten Wunsch seines Großvaters Ferdinand I., ließ der frühere Regent verlauten. (Siebenbürger Zeitung vom 29.5.2011) Das, was bei den meisten Beobachtern entweder für Kopfschütteln, spöttisches Gelächter oder Achselzucken sorgte - immerhin hatte Mihai I. knapp 64 Jahre zuvor abgedankt und niemand erwägt nach dem EU-Eintritt des Landes ernsthaft die Wiedereinführung der Monarchie in Rumänien -, dürfte dagegen bei den Herausgebern und Autoren des hier zu besprechenden Sammelbandes für Aufmerksamkeit und gewisses Erstaunen gesorgt haben. Denn die nominelle Trennung von der dynastischen Herkunftslinie kommt zumindest symbolisch der Kappung einer mit Deutschland bzw. Westeuropa verbundenen Tradition gleich, die dieses Adelsgeschlecht einst für die Übernahme der rumänischen Königswürde prädestinierte. Gerade "Hohenzollern-Sigmaringen" stand, so der autorenübergreifende Konsens, für die historisch eingegangene, grundsätzliche Westbindung des Landes, die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zunächst nur mit Hilfe der Institution Monarchie und den ihr eigenen transnationalen Kommunikationslinien zu etablieren war. Insofern scheint der jüngste Entschluss Mihai I. einen Legitimationswechsel zu intendieren.

Der vorliegende dreisprachige Band (dt., engl., frz.) versammelt zwölf Beiträge ausgewiesener Rumänienspezialisten, die sich auf umfangreiche eigene Forschungen stützen können. Die Arbeiten gehen zurück auf ein internationales Symposium, das im Jahre 2006, also 140 Jahre nach Gründung der rumänischen Monarchie, in Heidelberg unter ähnlichem Titel stattfand. Der Schwerpunkt der Diskussion lag hier allerdings auf den deutsch-rumänischen Beziehungen, was auch die Überzahl deutscher Rumänienspezialisten im Band erklärt. Ziel war es, erstens die Bedeutung der rumänischen Monarchie geschichtswissenschaftlich zu analysieren, zweitens den monarchischen Strang innerhalb der deutsch-rumänischen Beziehungsgeschichte offenzulegen und drittens die integrative Funktion der Monarchie für die Anbindung Rumäniens an das westliche Europa zu beschreiben. Den Ausgangspunkt bildete die Feststellung, dass die (westliche) Historikerzunft bislang nur wenig Interesse an der Geschichte der Balkanmonarchien im Allgemeinen und des rumänischen Königshauses im Speziellen zeigte.

Das Themenspektrum der Texte ist breit gefächert und verhandelt sowohl politik- und kultur- als auch biographiegeschichtliche Fragestellungen: Es geht um das Verhältnis zwischen der Monarchie und den politischen und militärischen Eliten sowie der deutschen Minderheit, um den monarchischen Beitrag zur Modernisierung Rumäniens, um die Herrschaftsleistungen und -defizite der vier Könige sowie um Ansehen, Selbstpräsentation und Stellung des Königshauses im In- und Ausland. Viele Beiträge enthalten Grundlagenwissen, gleichwohl stellt dieser Band weniger ein Einführungs- als vielmehr ein Vertiefungswerk zur vorgegebenen Problematik dar. Dazu variieren die gewählten Forschungsansätze und Fragestellungen zu stark zwischen der Darstellung größerer Entwicklungslinien und der Fokussierung auf Detailaspekte. Während sich beispielsweise Gerald Volkmer mit "außenpolitischen Orientierungsmustern" Rumäniens im Zeitraum 1866-1918 und Günter Klein mit dem Verhältnis Militär-Monarchie zwischen 1866-1947 auseinandersetzen, beschäftigen sich die Beiträge von Ilina Gregori und Klaus Heitmann mit der gestörten Beziehung des Dichters Mihai Eminescu zu Carol I. bzw. mit Tagebuchaufzeichnungen Carol II. aus seiner Exilzeit.

Einen Schulterschluss zu aktuellen kulturgeschichtlichen Forschungen über europäische Hofkultur unternimmt Edda Binder-Iijima. In ihrer sehr gelungenen Studie arbeitet sie anhand der praktizierten Hofkultur in Rumänien die realpolitischen und symbolischen Bindungs- und Legitimationskräfte heraus, die durch monarchische Präsenz und Repräsentation entfaltet wurden. Jene galten als augenscheinlichste kulturelle Ausdrucksform der Westbindung, die durch die Dynastie gefestigt wurde. Nicht nur, dass Rumänien nun zum Schauplatz hochadliger westeuropäischer Selbstdarstellung bzw. zur anerkannten "Besucherstation" kaiser- und königlicher Amtsträger aus ganz Europa wurde, es bestand plötzlich auch die Möglichkeit, den jungen Staat mit Hilfe des weit verzweigten dynastischen Netzes im Ausland exponieren zu können. So wurde beispielsweise der Hof von Sigmaringen zu einer "Drehscheibe rumänischer Politik in Deutschland" (106), bei der vor allem Carols Vater (Fürst Karl Anton) als Türöffner und Lobbyist für rumänische Politiker agierte. Die damit verbundene spürbare Aufwertung von Land und Eliten "auf der internationalen Bühne" zog innerhalb Rumäniens eine schnelle Akzeptanz des fremdländischen Throninhabers nach sich. Diese durch den europäischen Bezugsrahmen der monarchischen Repräsentation entfaltete Strahlkraft hielt bis zum europaweiten Zerfall vieler Monarchien nach Ende des Ersten Weltkriegs an.

Eine ganze Reihe von Autoren beschäftigt sich entweder ganz oder partiell mit der Person Carol I., der in der dynastischen Herrscherreihe als monarchischer "Übervater" gilt und mit seiner von preußischer Pflichterfüllung bestimmten Persönlichkeit und seiner langen Amtszeit von 1866-1914 wesentlich das positive Image der Monarchie prägte. Seine Charakterisierungen reichten auch unter den Heidelberger Symposiumsteilnehmern von 'Idealmonarch' über 'professioneller König' bis zu 'Nestor der Balkansouveräne'. (9) Zweifellos lässt sich mit seiner Person am eindeutigsten die Monarchie als Katalysator gesellschaftlicher Modernisierung und als erfolgreiche West-Ost-Synthese (aus europäischer Integration und gleichzeitiger Stärkung der Nationalidentität) beschreiben. Gerald Volkmer hebt den starken Einfluss des Königs auf die Gestaltung der Außen-, Sicherheits- und Militärpolitik und seine Erfolge bei der Etablierung des jungen rumänischen Staates in der europäischen Staatenwelt hervor. Elena Siupiur arbeitet in vergleichender Perspektive die Vorbildwirkung der rumänischen Monarchie unter Carol I. als "modèle politique" für andere südosteuropäische Monarchien heraus. Auch Lothar Maier erkennt einen "begrenzten Beitrag zur Modernisierung" an und verweist explizit auf Carols Beitrag zur Stärkung der inneren Stabilität und äußeren Sicherheit Rumäniens.

In seinem gleichermaßen anregenden wie ausgewogenen Beitrag fragt dagegen Hans-Christian Maner nach den politisch-intellektuellen Ambitionen und Qualitäten des viel kritisierten Carol II. Dabei führt Maner eine ganze Reihe von Belegen an, die den dritten der vier Herrscher durchaus als luziden politischen Analysten und sich seiner besonderen staatspolitischen Verantwortung bewussten König zeigen. Erstaunlich klar diagnostizierte der polyglotte Carol strukturelle Defizite auf dem Feld des rudimentären Parlamentarismus, der ineffizienten Landwirtschaft oder des lediglich urbanen Kulturaufkommens. Die fortwährende Zerstrittenheit und Selbstfixiertheit der politischen Parteien/Eliten in den 1930er Jahren widerten ihn jedoch zunehmend an. So weist Maner zu Recht darauf hin, dass Carols Tendenz zum "dynastischen Autokratismus" in sehr engem Zusammenhang mit den innenpolitischen Strukturen, aber auch der sich verändernden außenpolitischen Lage betrachtet werden muss. (159) Damit relativiert der Autor, ohne jene Faktoren zu negieren, die in Forschung und Publizistik oftmals übersteigerte Rolle von Kamarilla und Ehefrauen bzw. Geliebten für sein amtspolitisches Handeln.

Der Aufbau des Bandes ist thematisch-chronologisch angelegt und folgt damit einer inneren Logik. Mehrere Autoren beließen ihre Beiträge in der Vortragsform. Dies lässt zwar deren Thesen ausdrücklicher hervortreten, bildet jedoch im Publikationszusammenhang einen Kontrast zur wissenschaftlichen Elaboriertheit anderer Artikel.

Die meisten Autoren gehen über eine bloße historische Einordnung hinaus und nehmen eine Bewertung des monarchischen Handelns vor. Dabei hätte man sich gewünscht, dass die Frage nach den (abseits von nationalstaatlich-geopolitischen, auf Gebietsgewinne oder -verluste fixierten) Bewertungsmaßstäben und -kriterien noch stärker reflektiert worden wäre. Die Herausgeber orientieren die Urteilsfindung immerhin anhand der Frage, "ob und wie [die ausländische Dynastie] die Probleme des Landes bewältigen konnte". (9) Dabei galt zunächst mit Amtsantritt Carols I., "die Bildung stabiler politischer Rahmenbedingungen [als] wichtigste Aufgabe der Institution der Monarchie". (ebd.) In diesem Zusammenhang erschließt sich dem Leser aus dem Band heraus nicht immer eindeutig die jeweilige realpolitische Machtposition im rumänischen System der konstitutionellen Monarchie sowie die tatsächlichen und potentiellen Handlungsspielräume des Königshauses innerhalb der sich wandelnden politischen Kräfteverhältnisse. Über dessen Herrschaftsinstrumente ist bis auf Kronrat und Offizierskorps verhältnismäßig wenig zu erfahren. Insofern muss die in der Einleitung referierte (8f.) und im Symposium offenbar kontrovers geführte Diskussion über den Charakter der rumänischen Monarchie - mitteleuropäisch-preußischer Typus (König als Entscheidungsträger) oder Zwischenform zwischen preußischem und westeuropäischem Modell (Parteien/Regierung als Entscheidungsträger) - auch nach der Lektüre als offene Frage belassen werden.

Stellenweise sind Identifikationsmomente des Autors mit seinem Untersuchungsgegenstand nicht zu übersehen. Hier und da hat man den Eindruck, eine nachträgliche Verärgerung über die "Frauengeschichten" Carol II. oder ein leises Bedauern über die erzwungene Abdankung Mihai I. im Jahr 1947 herauszulesen. Dagegen wird die Frage nach einer möglichen gesellschaftspolitischen Überholtheit dieser Institution - immerhin rollte bereits knapp 30 Jahre zuvor eine Welle von Königs- und Kaiserabdankungen durch Europa - abseits realpolitischen Drucks nach der Besetzung des Landes durch die Rote Armee 1944 nur ansatzweise erörtert. Zwar gilt das Jahr 1930 mit dem Amtsantritt von Carol II. aus der historischen Binnenperspektive der Monarchie als Ende der "goldenen Ära". Legt man jedoch das Bewertungskriterium "Bewältigung der landeseigenen Probleme" zugrunde, so traten spätestens seit Ferdinand I. die Kapazitäts- und Kompetenzgrenzen monarchischen Handelns in dem wirtschaftlich rückständigen Agrarstaat unverkennbar zu Tage. Der institutionelle Bedeutungsverlust der Monarchie beruhte nicht allein nur auf einer Selbstdemontage im Sinne "falschen" Handelns einzelner Herrscherfiguren, sondern auch auf weitläufigen, teilweise gesamteuropäischen Entwicklungen in Bereichen wie Wirtschaft, Kultur oder Bildungs- und Sozialwesen, die in Eliten und weiten Kreisen der Bevölkerung ein Wahrnehmungswandel verursachten bzw. die Monarchie nicht mehr als zeitgemäße Antwort oder Lösung dringender gesellschaftlicher Probleme erscheinen ließ.

Der Sammelband regt neben der Präsentation konkreter Forschungsergebnisse die fachliche Diskussion an. Damit leisten die Herausgeber einen wichtigen Beitrag zur Neuentdeckung eines interessanten, in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts fast vergessenen Forschungsgegenstandes. Gerade für die Analyse der historischen Wechselbeziehungen zwischen den politischen und kulturellen Zentren und Peripherien Europas erweisen sich solche Buchprojekte als nützlich bzw. richten den Blick auf Forschungsdesiderata. In diesem Zusammenhang machen Binder-Iijima/Löwe/Volkmer in ihrer Einleitung ganz zu Recht aufmerksam auf die widersprüchlichen Entwicklungstendenzen in der universitären Bildungslandschaft zwischen der Forderung nach Internationalität, Mehrsprachigkeit und interkulturelle Kompetenz einerseits und gleichzeitigem Abbau vermeintlicher "Orchideenfächer" andererseits, eine Entwicklung, von der auch die deutsche Rumänistik massiv betroffen ist.

Peter Ulrich Weiß