Hans Scheurer / Ralf Spiller (Hgg.): Kultur 2.0. Neue Web-Strategien für das Kulturmanagement im Zeitalter von Social Media (= Schriften zum Kultur- und Museumsmanagement), Bielefeld: transcript 2010, 316 S., ISBN 978-3-8376-1352-0, EUR 32,80
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Es wird inzwischen nicht mehr viele Kulturinstitutionen im Allgemeinen und Museen im Besonderen geben, die keine Internet-Präsenz aufweisen können. Kaum ein anderes Instrument erlaubt es, mit so wenig Aufwand und Kosten eine effektive und weitreichende Informationspolitik zu betreiben. Das fängt bei dem Hinweis auf die gültigen Öffnungszeiten an und hört mit hochauflösenden Reproduktionen der am Ort zu sehenden Kunstwerke noch lange nicht auf.
Das WWW aber lässt sich nicht nur als Verkündigungsmedium nutzen, sondern erlaubt den Museen auch einen weitreichenden, in seinen Potentialen noch bei Weitem nicht hinreichend erschlossenen Austausch mit dem Besucher. Denn es ist im Gegensatz zu klassischen Massenmedien wie dem Fernsehen kein Einwegemedium, sondern bietet Rückkanäle an. Damit scheint die Utopie Bertolt Brechts von einem demokratischen Massenmedium Wirklichkeit geworden zu sein.
Auf Brechts Hoffnung beziehen sich auch die Autoren des vorliegenden Bandes immer wieder einmal, und dies mit großer Emphase, verstehen sie sich doch durch die Bank als begeisterte Propagatoren des neuen Webs, das man Web 2.0 zu nennen pflegt. Nichts ist zu spüren von den dystopischen Visionen, die sich mit Blick auf das Internet zuletzt immer mehr Bahn gebrochen haben. Alles dreht sich um die Chancen, die das Web 2.0 den Kulturinstitutionen zum Aufbau und zur Pflege einer treuen Besucherschaft bietet. Die einzigen Missklänge stellen sich dort ein, wo immer wieder einmal die Zurückhaltung der Protagonisten des Kulturbetriebes beklagt wird, deren Technik- und Zukunftsskepsis eine offensivere Auseinandersetzung mit dem Medium verhindere.
Eingeteilt ist der Sammelband, der auf einen 2009 in Duisburg abgehaltenen Kongress zurückgeht, in drei Kapitel. Das erste widmet sich der Theorie, das zweite der Praxis und das dritte den "case studies". In der Theorie steht die "user-generated culture" im Vordergrund (Techno-Sprech wird in dem Buch zwar allgemein gepflegt, aber doch vergleichsweise zurückhaltend), und es wird auf zentrale Ansätze der neueren Kulturtheorie verwiesen, die das Rhizomatische, das Plurale und das Alineare einer zeitgemäßen kulturellen Praxis betonen - alles Faktoren, die der Mehrkanaligkeit des interaktiven Netzes entgegenkommen.
Von besonderem Interesse für Praktiker dürfte das zweite Kapitel sein, beschreibt es doch in den Grundzügen die Elemente des Web 2.0, also insbesondere Weblogs, Podcasts, Twitter, Bookmarking-Systeme, Social Tagging (Letzteres weniger), Social Networks etc. pp. Zu Recht wird dort die Notwendigkeit betont, sich erst einmal eine kohärente Strategie zurechtzulegen, anstatt etwa irgendeinen begeisterten Museumsangestellten anzuweisen, wild drauflos zu twittern. Dass z.B. ein Blog nicht dafür da ist, Pressemitteilungen ex cathedra zu verbreiten, sondern dass er viel eher für Persönliches und Erlebtes genutzt werden sollte, dürfte hoffentlich auch gerade diejenigen interessieren, die zurzeit - wenn überhaupt - das Gegenteil praktizieren. Insgesamt ist aus der Lektüre mitzunehmen, dass nicht nur Überlegungen wichtig sind, wenn man sich als Kulturinstitution auf das Feld begeben will, sondern dass derartige Aktivitäten auch Zeit kosten und nicht nebenher betrieben werden sollten.
A propos: Im Gegensatz zur angelsächsischen Welt hinken deutsche Museen bei der Einführung des Web 2.0 tatsächlich noch deutlich hinterher. Eine Initiative wie die englische, mit der der gesamte öffentliche Kunstbesitz im Netz gezeigt und von der Öffentlichkeit auch inhaltlich annotiert werden soll (http://www.bbc.co.uk/arts/yourpaintings/), dürfte hier auch in absehbarer Zukunft nicht zu erwarten sein - sofern man die Deutsche Digitale Bibliothek nicht für etwas Entsprechendes hält. Indirekt verweist auch der dritte Teil des Buches, in dem es um Beispiele geht, auf die bestehenden Defizite: Mit dem Frankfurter Städel und der Dresdener Gemäldegalerie sind nur zwei Institutionen aus der Museumswelt vertreten, wenn auch gewichtige. Dabei scheint Dresden besonders avanciert. Hier nämlich hat man das ganze Museum - übrigens lange vor Google, das mit einem ähnlichen Versuch (http://www.googleartproject.com/) große Aufmerksamkeit erregt hat - in Second Life (http://www.secondlife-neu-entdecken.de/projekte/kultur/dresden/) nachgebaut und dem virtuellen Besucher sogar das Gespräch mit einem anderen Besucher erlaubt, der (bzw. dessen Avatar) sich vor dem gleichen Bild aufhält. Es bleibt zu hoffen, dass solche hochtechnologischen Versuche nicht irgendwann einmal dazu führen, dass sich die NutzerInnen über die Existenz des dahinterstehenden wirklichen Museums gar nicht mehr im Klaren sind. Das Dresdener Experiment ist typischerweise vom sächsischen Wirtschaftministerium angeregt worden. Ob es bei den Museumsleuten wohl auf große Resonanz gestoßen ist? Ich wage das zu bezweifeln.
Damit sind wir zuletzt bei einem zentralen Punkt, der Akzeptanzfähigkeit des "Mitmachnetzes" bei den Entscheidern in den Museen. Man wird sich klar machen müssen, dass die Einbindung von Web 2.0-Strategien nicht einfach nur ein modernes Marketing-Bewusstsein voraussetzt. Viel wichtiger ist, dass das Museum aufhört, sich als autoritativen Wissens-Gral zu verstehen, dass es andersherum den Besucher nicht nur als zu Unterweisenden, sondern auch als Produzenten ernst nimmt. Hier wird es noch einiger Überzeugungsarbeit bedürfen. Selbst wenn bei dem zu besprechenden Band vielleicht zu beklagen ist, dass die VerfasserInnen fast alle nicht aus den Kulturinstitutionen selber kommen, sondern als WissenschaftlerInnen und BeraterInnen tätig sind, liefert er doch einige wichtige Bausteine für ein besseres Verständnis von Chancen und Anforderungen des Web 2.0 für den Kulturbetrieb.
Hubertus Kohle