Jan Timmer: Altersgrenzen politischer Partizipation in antiken Gesellschaften (= Studien zur Alten Geschichte; Bd. 8), Berlin: Verlag Antike 2008, 367 S., ISBN 978-3-938032-19-0, EUR 64,90
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Jan Timmer fragt in seiner 2008 erschienen Dissertation nach den Altersgrenzen politischer Partizipation in antiken Gesellschaften; erschienen ist der Titel in der Reihe Studien zur Alten Geschichte im Verlag Antike. Trotz des Anklangs an aktuelle gesellschaftspolitische Debatten, folgt Timmer mit seinem Thema nicht einfach einer Mode der Forschung. Auf etwa 360 Seiten verfolgt er ein breit angelegtes methodisches Konzept und wirft damit Fragen auf, die in der Alten Geschichte so bislang nicht umfassend untersucht worden sind; auch wenn die Altersgrenzen und -konzepte verschiedener antiker Gesellschaften bereits seit dem 19. Jahrhundert und auch in jüngerer Zeit immer wieder das Interesse der Forschung auf sich gezogen haben. Timmer geht es in dieser Arbeit weniger um eine neuerliche Bestimmung der konkreten und weitgehend bekannten Zahlenwerte, sondern um die gesellschaftlichen Zusammenhänge, die hinter den beobachtbaren Prozessen altersbedingter politischer In- und Exklusion stehen.
Im ersten der insgesamt sechs übersichtlich gegliederten Kapitel entwickelt Timmer zunächst seine Fragestellung und ordnet diese in einem knappen Überblick in die Forschung ein. Es folgt eine ausführliche Darstellung der methodisch-theoretischen Ausrichtung und Vorannahmen seiner Arbeit sowie die Klärung einiger zentraler Begriffe wie etwa "Alter" und "politische Partizipation". Zu Recht weist er in diesem Kontext darauf hin, dass es methodisch problematisch ist, wenn die althistorische Forschung ihren Altersbegriff anhand moderner Vorstellungen normativ bestimmt. Die Orientierung an zeitgenössischen Diskursen über das Alter ist ein Grundgedanke seiner Arbeit; damit berücksichtigt er auch den konstruktiven Charakter eines solchen Begriffs. Zusammenfassend macht Timmer gegen Ende der Einleitung noch einmal deutlich, dass er sich den Ansätzen einer "Neuen Politikgeschichte" verbunden fühlt, die das Politische als "konstruierten [...] Kommunikationsraum" konzeptualisiert.
In Kapitel 2 untersucht Timmer die tatsächlichen Altersgrenzen für das aktive und passive Wahlrecht sowie deren Entwicklung in Athen, Sparta und der römischen Republik. Aufgrund der Quellenlage liegt das Hauptaugenmerk der Arbeit auf einem Vergleich der Verhältnisse in Athen und Rom. Timmer kann diese Eingrenzung nachvollziehbar begründen, indem er in Kapitel 1 klare Kriterien für die Auswahl seiner Vergleichsgesellschaften formuliert: Die entsprechenden Gesellschaften mussten selbst über die Grenzen ihres politischen Raumes entscheiden können und zwar in einem Aushandlungsprozess, der formalisierten Regeln folgte. Außerdem setzt der hier verfolgte Ansatz voraus, dass auch die Altersgrenzen anderer gesellschaftlicher Teilbereiche greifbar sind (s.u.).
Timmer kann zeigen, dass sich die entsprechenden Altersgrenzen auf institutioneller Ebene eher geringfügig unterschieden haben. Fragt man jedoch nach den Funktionen dieser Ausgrenzungsmechanismen innerhalb des jeweiligen politischen Systems, werden die Differenzen deutlicher: Während es etwa in Athen einem achtzehnjährigen männlichen Bürger grundsätzlich möglich war, Themen selbständig in den politischen Raum einzubringen, war die Entscheidung darüber, was als politisch zu betrachten ist, in Sparta und Rom einem deutlich älteren Personenkreis vorbehalten.
Diese Rekonstruktion der faktischen Altersgrenzen wird in Kapitel 3 durch eine kulturgeschichtliche Perspektive ergänzt: Wer galt in den genannten Gesellschaften als jung, wer als alt, welche Selbst- und Fremdzuschreibungen waren damit verbunden und als wie stabil sind diese Konzepte einzuschätzen? Auch hier wird Timmers konstruktivistischer Ansatz deutlich: Selbst scheinbare anthropologische Konstanten wie das Lebensalter können nicht rein biologisch bestimmt werden, sondern sind immer auch aus dem sozialen und kulturellen Kontext der jeweils untersuchten Gesellschaft heraus zu verstehen. Für Athen, Sparta und die römische Republik gilt gleichermaßen, dass sowohl die Altersgruppen als auch die entsprechenden Zuschreibungen und Repräsentationsformen insgesamt eine hohe Konstanz aufwiesen. Unter dem Vorbehalt der lückenhaften Überlieferung scheinen diese Orientierungsmuster in Rom besonders stabil gewesen zu sein. Timmer kann dies mit den spezifischen Bedingungen eines Konsenssystems erklären (s.o.).
Mit Kapitel 4 beginnt der "strukturgeschichtliche Teil der Arbeit". Ausgehend von der Grundannahme, dass vormoderne Gesellschaften nur bedingt funktional differenziert waren, fragt Timmer nach den Altersgrenzen und -konzepten in anderen gesellschaftlichen Teilbereichen. Sein Interesse gilt dabei vor allem deren Verhältnis zu den entsprechenden Strukturen des politischen Raumes. Timmer kann zeigen, dass die Möglichkeit zur politischen Partizipation aufgrund der geringen funktionalen Differenzierung nicht allein durch die Eigenlogik des politischen Subsystems bestimmt war, sondern zugleich in einem wechselseitigen Verhältnis mit den Altersstrukturen in Familie, Wirtschaft, Erziehung, Militär und Religion stand. Neben der familialen Ordnung erwiesen sich hier vor allem die Sozialisation und das Militärwesen als bedeutsam; religiös oder wirtschaftlich geprägten Alterskonzepten kam hingegen eher eine untergeordnete Rolle zu. Dies gilt, wenn auch in unterschiedlicher Form und Intensität, für alle drei untersuchten Gesellschaften.
Ergänzend dazu richtet Timmer in Kapitel 5 seinen Blick auf die Binnenstruktur des politischen Raumes. In Anlehnung an politikwissenschaftliche Modelle untersucht er den Zusammenhang zwischen dem jeweiligen Verfahren zur Herstellung kollektiv verbindlicher Entscheidungen und den Altersgrenzen politischer Partizipation. Aufgrund der Ausrichtung seiner Arbeit unterscheidet er vor allem zwischen Konsens- und Mehrheitssystemen und ordnet Athen, Sparta und die römische Republik diesen Modellen zu. Wie ein Vergleich zwischen Athen und der römischen Republik zeigt, ist ein Konsenssystem, hier die römische Republik, mit entsprechend hohen Transaktionskosten deutlich stärker darauf angewiesen, bestimmte Gruppen von Entscheidungsfindungsprozessen auszuschließen.
Eine starre Orientierung an modernen politikwissenschaftlichen Modellen birgt, ebenso wie ein dezidiert systemtheoretischer Ansatz, die Gefahr eines allzu schematischen Zugriffs auf historische Gesellschaften. Timmer begegnet diesem methodischen Problem durch eine konkrete Anbindung dieser Modelle an die historischen Gegebenheiten in den untersuchten Gesellschaften.
In Kapitel 6 fasst Timmer seine Ergebnisse noch einmal kurz zusammen, zieht aber keine weiteren Schlüsse.
Die Arbeit kann insgesamt überzeugen und folgt einem klaren methodisch-theoretischen Konzept. Unter dem Schlagwort "Neue Politikgeschichte" bringt Timmer verschiedene heuristische Ansätze zusammen und eröffnet damit neue Perspektiven auf die Altersgrenzen politischer Partizipation in antiken Gesellschaften. Da sich Timmer jedoch ausschließlich mit Athen, Sparta und der römischen Republik beschäftigt, erscheint dieser Titel etwas unglücklich: Auch wenn der Autor seine Auswahl schlüssig begründen kann, lässt der Titel doch einen sehr viel breiteren Blickwinkel erwarten. Die systemtheoretische Ausrichtung der Arbeit ist unverkennbar, erscheint, trotz der genannten Probleme, dem Untersuchungsgegenstand letztlich aber angemessen.
Peter Zeller