Rezension über:

Staatsgalerie Stuttgart (Hg.): Kollwitz - Beckmann - Dix - Grosz. Kriegszeit, Tübingen: Ernst Wasmuth Verlag 2011, 212 S., ca. 200 Abb., ISBN 978-3-8030-3353-6, EUR 39,80
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Rezension von:
Clemens Klöckner
Berlinische Galerie, Landesmuseum für Moderne Kunst, Fotografie und Architektur, Berlin
Redaktionelle Betreuung:
Ekaterini Kepetzis
Empfohlene Zitierweise:
Clemens Klöckner: Rezension von: Staatsgalerie Stuttgart (Hg.): Kollwitz - Beckmann - Dix - Grosz. Kriegszeit, Tübingen: Ernst Wasmuth Verlag 2011, in: sehepunkte 12 (2012), Nr. 3 [15.03.2012], URL: https://www.sehepunkte.de
/2012/03/20076.html


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Staatsgalerie Stuttgart (Hg.): Kollwitz - Beckmann - Dix - Grosz

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Die thematische Aufarbeitung einer prominent in der Sammlung der Stuttgarter Staatsgalerie vertretenen Werkgruppe ist das Ziel der Ausstellung Kollwitz - Beckmann - Dix - Grosz. Kriegszeit und das Ergebnis ist ein formal wie inhaltlich als solide zu bezeichnender Katalog. Die Ausstellungskuratorin Corinna Höper und ihre Assistentin Barbara Six zeichnen dabei für den Großteil der Beiträge verantwortlich, welche neben einem einführenden Essay die einzelnen künstlerischen Positionen in monografischen Aufsätzen anhand des vorhandenen Materials bearbeiten. Als zusätzliche Autoren erscheinen Ingo Borges und Dagmar Schmengler.

Durchgehend hervorragende Abbildungen und ein ausführlicher Katalogteil machen die Publikation zu einem Nachschlagewerk der prominentesten Bestände an zeichnerischen und grafischen Werken in der Staatsgalerie Stuttgart zu den beiden Weltkriegen und der Zwischenkriegszeit, welche Höper als weitere "Kriegszeit" zwischen gesellschaftlicher Not und politischem Extremismus vorstellt. Gemälde und Skulpturen gleicher künstlerischer Provenienz komplettieren das Bild dieser qualitätvollen Sammlung.

Die von 1914-16 im Verlag Paul Cassirer herausgegebenen Künstlerflugblätter "Kriegszeit", in denen Arbeiten der Ausstellungskünstler Ernst Barlach, Max Beckmann und Käthe Kollwitz vertreten waren, liefern dabei lediglich das Titelstichwort, unter dem weiterhin Werke von Otto Dix, George Grosz, Ludwig Meidner, Otto Herrmann, Wilhelm Rudolph und Anselm Kiefer versammelt werden. Der Ausstellungstitel ist damit leider etwas unglücklich gewählt, denn er spiegelt die vorgestellten Werke nur unzureichend und bis auf wenige Zeilen erfährt der Leser nichts über Inhalt und Bedeutung der "Kriegszeit". Dass sich hier nicht nur die anfängliche Euphorie über den ersten Weltkrieg niederschlägt, wie von Höper erwähnt, sondern ebendiese durch die Publikation einer der prominentesten Galerien mit einflussreichen Künstlern wie Max Liebermann maßgeblich gefördert und ein heroisches Bild des Krieges in die Öffentlichkeit getragen wurde, lässt sich weder dem Text entnehmen, noch trifft diese Haltung bis auf wenige Ausnahmen auf die ausgestellten Arbeiten zu. Es wäre zudem wünschenswert gewesen, wenn die nur im Einführungsteil kurz genannten Arbeiten, etwa von Fred Uhlmann und Hans von Heider, auf größerem Raume behandelt oder zumindest in den Bestandskatalog des Anhanges aufgenommen worden wären, um ein umfassenderes Bild der in der Sammlung vorhandenen künstlerischen Kriegsverarbeitung zu erhalten. So erfährt der Leser Details nur über in der Museumspräsentation vertretene Werke. Unverständlich bleibt dabei ebenso, warum neben den nur zum Vergleich aufgenommenen Blättern die in der Ausstellung gezeigte Arbeit Anselm Kiefers, "Selbstbildnis in Landschaft" aus den "Heroischen Sinnbildern" von 1969, lediglich im Einführungsessay auf weniger als einer halben Seite abgehandelt wird und im Werkkatalog gar nicht auftaucht.

Ausgangspunkt der Stuttgarter Schau ist der Bestand an etwa 100 Arbeiten auf Papier von Käthe Kollwitz, der hier erstmals vollständig der Öffentlichkeit präsentiert wird und um den sich die weiteren künstlerischen Positionen thematisch gruppieren. Neben einer Erläuterung der inhaltlichen wie biografischen Zusammenhänge liefert der Einleitungstext mit dem etwas sperrigen Titel "Vom Krieg als moralische Anstalt zum Frieden durch die Kunst" eine sammlungsgeschichtliche Aufarbeitung des Materials, welches vielfach unter der Naziherrschaft der Beschlagnahme anheimfiel und erst nach dem zweiten Weltkrieg in Teilen zurück in die Sammlung gelangte.

Die monografischen Aufsätze erweitern bereits in der Einführung Gesagtes, Werkanalysen im Kontext biografischer Beschreibungen geben eine Orientierung über vorhandene Arbeiten und eine Einführung in den jeweiligen Forschungsstand. Hierbei sind vor allem die Beiträge zu den weniger bekannten Grafikzyklen Otto Herrmanns und Wilhelm Rudolphs hervorzuheben, welche den Blick auf künstlerische Beiträge zur Kriegsverarbeitung abseits des bekannten Kanons lenken. Mit seinen lithografischen Illustrationen zum Roman "Stalingrad" von Theodor Plivier [1] stellt sich Otto Herrmann in eine künstlerische Tradition gesellschafts- und kriegskritischer Grafik, die sich über Kollwitz und Daumier bis zu Goya zurückverfolgen lässt. Technisch versiert, zeigt sich jedoch an den stets ähnlichen Gesten und Gesichtsausdrücken seiner Protagonisten ein verzweifeltes Ringen um den passenden Ausdruck für ein unfassbares Grauen, für dessen Artikulation der Veteran des Ersten Weltkrieges allerdings erst den Umweg über eine literarische Vorlage gehen muss. Wilhelm Rudolph hingegen, dessen Biografie einschließlich Kriegsdienst im Ersten Weltkrieg und Professur an der Dresdner Kunstakademie erstaunliche Parallelen zu der von Otto Dix aufweist, beginnt seine künstlerische Auseinandersetzung mit dem Krieg zwar ebenfalls erst 1945, kommt aber zu völlig anderen Ergebnissen. Erschüttert von der Zerstörung seiner Heimatstadt Dresden beginnt er mit nervös flirrendem, fast impressionistisch anmutendem Strich Gebäude und Menschen gleichermaßen in seine Holzschnitte zu bannen. In ihrer künstlerischen Stilisierung der Ansichten lassen sich die Arbeiten mit Zeichnungen von Otto Dix vergleichen, in denen dieser während des Ersten Weltkriegs an der Front direkte Eindrücke expressionistisch und kubofuturistisch verfremdet zu Papier brachte.

Derartige Überlegungen finden sich in den Katalogaufsätzen nicht und auch sonst bieten die Ausführungen zwar gute Ein- und Überblicke zu den versammelten Werkkomplexen, leisten jedoch kaum weiterführende Forschungsarbeit. Dies ist vor allem insofern schade, als man durch die Aufnahme der erst 2010 erworbenen und im Vorfeld kontrovers diskutierten Arbeit Anselm Kiefers [2] in die Ausstellung den Brückenschlag zu einer zeitgenössischen Behandlung des Kriegsthemas zwar beginnt, im Katalog jedoch weder aus- noch weiterführt.

"Wirken zum nachgerade zeitlosen und daher stets aktuellen Thema "Krieg" möchte [...] die Ausstellung Kollwitz - Beckmann - Dix - Grosz. Kriegszeit und dieser Katalog", diesen Anspruch formuliert Sean Rainbird im Vorwort (8). Ob dies einer Ausstellung überhaupt gelingen kann, scheint bereits im Hinblick darauf fraglich, dass ein Großteil der hier versammelten Werke bereits vor der Katastrophe des Zweiten Weltkriegs der Öffentlichkeit bekannt war und die Eskalation trotzdem nicht verhindern konnte.

Die etwa zeitgleich in Darmstadt präsentierte Ausstellunge "Serious Games" [3] oder die Berliner Schau "Seeing is believing" [4] sind nur zwei von zahlreichen Beispielen jüngster Ausstellungsgeschichte, die sich mit zeitgenössischer künstlerischer Kriegsverarbeitung auseinandersetzen und dabei zeigen, dass sich diese in gleichem Maße wie die Form der Kriegsführung radikal verändert hat. Dass sich Künstler wie Alice Kreischer und Andreas Siekmann heute trotzdem noch mit Arbeiten der sogenannten Kölner Progressiven auseinandersetzen, Martha Rosler in ihren Fotomontagen an Dada-Größen wie John Heartfield gemahnt oder Sandow Birks monumentale Holzschnitte die weitreichende Tradition druckgrafischer Kriegszyklen auf Guantanamo anwendet, zeigt nichtsdestotrotz eine Kontinuität in der Auseinandersetzung mit kriegerischen Konflikten, die im "Kriegszeit"-Katalog leider unerwähnt bleibt. Dieser bietet somit letztendlich zwar ein willkommenes Nachschlagewerk zu den Stuttgarter Grafiken der vertretenen Künstler, verpasst es aber leider, die Signifikanz und Aktualität der Werke in ihrer vollen Bedeutung herauszustellen.


Anmerkungen:

[1] Theodor Plivier: Stalingrad, Berlin 1945.

[2] Vgl. http://www.stern.de/kultur/kunst/anselm-kiefer-ausstellung-acht-mal-hitlergruss-619082.html?q=kiefer+hitler (15.01.2011).

[3] Ausst. Kat. Serious Games. Krieg/Medien/Kunst, Darmstadt, Institut Mathildenhöhe, 2011.

[4] Seeing is believing, Berlin, KW Institute for Contemporary Art, 11.09.-13.11.2011.

Clemens Klöckner