Rosemary Stott: Crossing the Wall. The Western Feature Film Import in East Germany (= New Studies in European Cinema; Vol. 11), Bruxelles [u.a.]: Peter Lang 2012, X + 308 S., 1 Farbabb., ISBN 978-3-03911-944-8, EUR 46,30
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Dem DDR-Kino galt als sein denkbar größter Gegensatz die "Alptraumfabrik" Hollywood. Beherrscht von Brutalität, Sex und Horror, so das Urteil, stand die Mehrheit westlicher Filme im Dienste inhumaner Ziele: produziert zum Zweck des maximalen Profits, während ein passives Publikum abgelenkt blieb von grundsätzlichen Infragestellungen des Kapitalismus. Rosemary Stotts Publikation wirft nun ein neues Licht auf die Beziehungen der DDR zu westlichen Filmproduzenten. Ungeachtet offizieller Propaganda wurden in großer Kontinuität und Breitenwirkung Hollywood- und andere Filme westlicher Herkunft in den DDR-Kinos aufgeführt. Nach starker Präsenz in den 1950er Jahren stiegen seit Ende der 1970er Jahre die Importe noch einmal beträchtlich an. Der eindeutige Schwerpunkt lag nun auf Blockbuster-Produktionen, deren "Publikumswirksamkeit" genutzt wurde, um das DDR-Kino in seiner Existenz überhaupt noch erhalten zu können (86).
Die Studie stützt sich hauptsächlich auf Quellen des DEFA-Außenhandels und der ZK-Abteilung Kultur. Die hier überlieferten Protokolle, Diskussionspapiere und Programmkonzepte werden zusammen mit einer Vielzahl an Filmbeispielen, Zeitungsrezensionen, Leserbriefen sowie auf der Grundlage einiger Zeitzeugeninterviews ausgewertet. Im Fokus stehen dabei Kino-Spielfilme der 1970er und 1980er Jahre. Kapitel 1 bietet zunächst einen Überblick zur Importpolitik: zu Einfuhrzahlen, Ländern und Filmtypen, zu Auswahlprozeduren und -kriterien, zur Filmsynchronisation, -werbung und -rezension, auch zur Importpolitik von Filmen sozialistischer Staaten. Querbeziehungen zum Fernsehen und zur einheimischen DEFA-Filmproduktion werden ebenfalls thematisiert. Kapitel 2 geht auf die DDR-Importe aus drei ausgewählten Ländern ein: Großbritannien, USA und Westdeutschland. Hier zeigt Stott, dass das Konzept des Nationalen für die Import-Entscheidungen bedeutsam war: Ziel war es, die Wahrnehmung des jeweiligen Staates beim DDR-Publikum zu formen. Kapitel 3 analysiert bevorzugte Genres und Themen als zwei weitere wichtige Faktoren bei der Filmauswahl. Dies geschieht mit Bezug auf die DEFA-Filmproduktion und anhand der Fallbeispiele Western und Science-Fiction-Film. Abschließend folgen mehrere Anhänge, wobei besonders die drei Verzeichnisse der amerikanischen, britischen und westdeutschen Filmimporte von Nutzen sind. Dem Handbuchcharakter der Publikation tun einige Ungenauigkeiten, wie fehlerhafte Datierungen, keinen Abbruch.
"Westfilme" - so der von den Filmfunktionären meist verwendete Terminus - waren selbst in Phasen heftiger ideologischer Blockkonfrontation ein regelmäßiger Bestandteil der DDR-Filmprogramme. Stott entwickelt die These, dass es zu Einschnitten vor allem während innenpolitischer Liberalisierungen kam. Umgekehrt seien in Phasen verstärkter Repression westliche Filme genutzt worden, um von der ideologischen Bedrohung einheimischer Kritik abzulenken. Als wichtigen Wendepunkt in der Importpolitik betrachtet Stott die Zäsur 1976, als in der Folge der Biermann-Ausweisung Horst Pehnert zum Leiter der Hauptverwaltung Film im Ministerium für Kultur berufen wurde. Unter ihm entwickelte der mit dem Filmimport betraute DEFA-Außenhandel die Strategie der "Millionenfilme" (84). Stillschweigend wurde nun anerkannt, dass auch das DDR-Kino Rücksicht auf Publikumsvorlieben nehmen musste. Ab Mitte der 1980er Jahre resultierte dies in einer endgültigen Dominanz westlicher Filme, gegen die sich weder die DEFA noch die osteuropäischen Filmimporte kaum durchzusetzen vermochten.
Die inner- und außerparteilich nicht unumstrittene Präsenz der Filme aus dem "kapitalistischen Ausland" wurde als Zeichen der Weltoffenheit gerechtfertigt, man wies auf die Verpflichtung hin, das Publikum für ideologische Auseinandersetzungen zu rüsten und es trotz der Konkurrenz durch West- und eigenes Fernsehen wieder in die Kinos zu locken. Vor allem rechnete man aber vor, dass die Anzahl der jährlich aus der UdSSR und anderen Ostblockstaaten importierten Filme weitaus höher lag. Diese Argumente waren jedoch immer schwerer aufrechtzuerhalten. Obschon nur in vertraulichen Gesprächen thematisiert, war doch für jedermann offensichtlich, dass westliche Unterhaltungsfilme in Bezug auf rezeptionsrelevante Faktoren bevorzugt wurden: Die Kopienzahlen, mit denen die Filme im Land zirkuliert wurden, waren höher, die Zeitpunkte von Premieren und Aufführungen waren günstiger (meist im gut besuchten "Kinosommer"), auch Vorführungen waren häufiger. Dass die Besucherzahlen zudem deswegen so hoch waren, weil Westfilme für DDR-Zuschauer generell ein "allure of forbidden fruit" besaßen (66), wird von Stott nicht außer Acht gelassen. Allerdings wird das Publikumsverhalten, trotz vorangegangener Ankündigung, nur im Allgemeinen berührt.
Ihrem Anspruch, die Sicht des Publikums darzustellen, wird Stott insofern gerecht, als sie die DDR-Kinokultur aufgrund der dem Publikum tatsächlich angebotenen Filmprogramme beschreibt. Mit großem Gewinn wird damit der bisher eher auf die einheimische Filmproduktion bezogene Begriff des nationalen Kinos erweitert: Dieser umfasst nun all diejenigen Filme, die in einem Land insgesamt zur Aufführung kommen. Daraus ergibt sich eine komparative Herangehensweise, bei der die DDR-Filmproduktion in ihrer Beziehung zu den Importfilmen untersucht wird. Hervorzuheben ist hier die Analyse des US-Imports Kramer gegen Kramer (1979, DDR: 1980), der mit den DEFA-Filmen Seitensprung (1980) und Rabenvater (1986) verglichen wird. Zu Recht klassifiziert Stott dieses Vorgehen als einen "bisher nicht beschrittenen Weg" der DDR-Filmforschung (17). Kritisch anzumerken ist, dass die Filmanalysen auf die Darstellung narrativer Inhalte - Thema und Genre - beschränkt werden. Dies entspricht zwar einerseits Stotts selbstgewählter Methodik. Andererseits führt aber das Fehlen der ästhetischen Analyse-Ebene dazu, dass rezeptions-steuernde Intentionen und Wirkungen formaler Mittel nicht einbezogen werden.
Dessen ungeachtet liegt eine wichtige und in hohem Maße interessant zu lesende Publikation vor, die bisher bestehende Ungleichgewichte in der Erforschung von DDR-Film und -Kultur zu korrigieren vermag. Hervorzuheben ist insbesondere, dass Rosemary Stott den Begriff der Zensur um Mechanismen der Distribution und Vorführung erweitert. Weiterhin differenziert sie den Erfolg der westlichen Filme in der DDR dahingehend, dass sie nicht nur auf deren eher negativ besetzte Zerstreuungs- und Unterhaltungsfunktion eingeht, sondern auch feststellt: "the western imports could indeed present matters pertinent to the GDR and of relevance to the East German public." (237). Der Studie gelingt es somit sichtbar zu machen, in welch hohem Maß die DDR-Kultur nicht nur von Fernseh-, sondern auch von Kinofilmen westlicher Länder beeinflusst wurde - und dies, obwohl die ideologischen Grundprinzipien der Filmauswahl bis zuletzt ihre Gültigkeit behielten.
Anne Barnert