Bob Moore: Survivors. Jewish Self-Help and Rescue in Nazi-Occupied Western Europe, Oxford: Oxford University Press 2010, XVI + 512 S., 5 Kt., ISBN 978-0-19-920823-4, GBP 30,00
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Frits Boterman: Duitse Daders. De jodenvervolging en de nazificatie van Nederland (1940 - 1945), Amsterdam: Uitg. De Arbeiderspers 2015
Der Brite Bob Moore ist ausgewiesener Kenner der Geschichte der Besatzungszeit in den Niederlanden. Nachdem er sich in seinen Veröffentlichungen zunächst mit der Aufnahme der deutschen Flüchtlinge in den Niederlanden beschäftigte und sich dann der Judenverfolgung in den Niederlanden widmete [1], dehnt er in seinem neuen Buch sein Untersuchungsgebiet auf ganz Westeuropa aus und untersucht die jüdischen Überlebensstrategien und die Rettungsversuche verschiedenster Organisationen und Einzelpersonen nicht nur in den Niederlanden, sondern auch in Frankreich und Belgien, in kleinerem Maßstab auch in Norwegen und Dänemark. Bob Moore ist damit einer der wenigen NS-Forscher, die über die eigene länderspezifische Perspektive hinausgehen und versuchen, analoge Entwicklungen und Prozesse auch in anderen Ländern zu verstehen und die gewonnenen Erkenntnisse miteinander zu vergleichen. Dabei schließt er aus guten Gründen den noch größeren Vergleich mit Deutschland oder Osteuropa aus, schon weil dort "Hilfe von außen für Juden eine relative Seltenheit" (2) war.
In der Gesamtperspektive auf den Holocaust scheinen sich Entwicklungen in Nord- und Westeuropa hinsichtlich der Organisation der Besatzung, des Verhaltens gegenüber der einheimischen Bevölkerung, der schrittweisen Einführung antijüdischer Maßnahmen und der Reaktionen der verfolgten Juden auf den ersten Blick zu ähneln. Genau diese scheinbare Ähnlichkeit ist es, die Bob Moore in seiner Untersuchung in Bezug auf das Überleben von Juden hinterfragt. Er zeigt eindrucksvoll, wie kleine Variationen der Umstände und Strukturen in den jeweiligen Ländern die stark voneinander abweichenden Überlebensquoten beeinflussen konnten. So überlebten in den Niederlanden nur etwa 25 Prozent der jüdischen Bevölkerung die Besatzungszeit, während es in Frankreich 75 Prozent und in Dänemark sogar 95 Prozent waren.
Der Vergleich innerhalb Westeuropas, den Moore beabsichtigt, erschließt sich dem Leser beim Blick ins Inhaltsverzeichnis zunächst nicht unbedingt. Auch wenn das Buch mit zwei länderübergreifenden Kapiteln zur chaotischen Situation unmittelbar nach der Besetzung und den massenhaften Fluchtversuchen zu dieser Zeit aus Belgien und den Niederlanden beginnt, stehen danach wieder einzelne geografische Fallstudien im Mittelpunkt. Es geht um die Flucht aus Dänemark und Norwegen nach Schweden, um das Retten und Verstecken in Frankreich, der Vichy-Zone und Belgien sowie um die problematische Situation in den Niederlanden. Auch die beiden darauf folgenden Kapitel über die besondere Rolle, welche die Rettung von Kindern einnahm, werden in einzelne Länderabschnitte zu Frankreich und Belgien und den Niederlanden unterteilt. Das letzte Kapitel, das danach fragt, warum und auf welche Weise jüdische Verräter ihr eigenes Leben zu retten suchten und zudem Hilfe für Juden aus dem nationalsozialistischen System heraus thematisiert, konzentriert sich auf die Schilderung von Ereignissen in den Niederlanden. Das alles macht zunächst den Eindruck von aneinander gereihten Einzelstudien zu den jeweiligen Ländern.
Wer das Buch jedoch ganz liest, wird einen anderen Eindruck bekommen und von den Vergleichen, der Vielschichtigkeit und Genauigkeit von Moores Darstellung beeindruckt sein. Moore ist durchaus bewusst, dass das Thema des jüdischen Überlebens in den von Deutschen besetzten Ländern schon länger ein zentrales Thema der Forschung ist [2], dennoch fügt er mit seinen Untersuchungen der Geschichte der Judenverfolgungen in Nord- und Westeuropa neue Aspekte hinzu. Seine auf einer breiten Literaturbasis und ausgedehntem Quellenstudium beruhenden Ansätze sind ein Gewinn für die Geschichtswissenschaft nicht nur in den behandelten Ländern, sondern weit darüber hinaus.
Ausgehend von biografischen Einzelschicksalen und der Beschreibung der Rettungsnetzwerke behält er immer auch die abstraktere Ebene im Blick und stellt die konkreten Ereignisse in einen lokalen oder regionalen, sozialen und zeitlichen Kontext. Erst so wird der Vergleich zwischen den einzelnen Ländern möglich und sinnvoll. Ein besonderes Augenmerk liegt dabei auf der Wechselwirkung von individueller Rettung und organisierten Bemühungen um die Rettung von Juden in den besetzten Ländern. Dass beide Ansätze nicht voneinander zu trennen sind und oftmals der Aufbau eines Rettungsnetzwerks aus der Hilfe für ein Individuum hervorging, zeigt Moore an verschiedenen Beispielen. Ein weiterer Pluspunkt der Untersuchung ist Moores immer wieder vorgenommener Perspektivwechsel. Einerseits thematisiert er die Bemühungen Einzelner um Rettung ihrer Familie, aber auch die Struktur der jüdischen Gemeinschaft und ihrer Organisationen und ihren Einfluss auf die jeweiligen Rettungsbemühungen, ferner auch das Verhalten nichtjüdischer Organisationen und Personen, die ebenfalls aus unterschiedlichsten Beweggründen in die Rettung von Juden eingebunden waren.
Die Herangehensweise, die Bob Moore für seine Untersuchung der jüdischen Selbsthilfe und der Rettung der Juden in Nord- und Westeuropa gewählt hat, beinhaltet viele verschiedene Aspekte. Insofern macht auch die Struktur des Buches wieder Sinn, die durch ihre geografische Grobeinteilung dem Leser zumindest Orientierungshilfe bietet, ohne dass Moore innerhalb der einzelnen Kapitel auf Vergleiche verzichtet oder sein eigentliches Ziel aus den Augen verliert. Abhängig von den jeweiligen nationalen, strukturellen und sozialen Gegebenheiten und umgebenden Faktoren werden die Rolle der jüdischen Selbstorganisationen, die Motive und Aktionen der nichtjüdischen Retter und die Auslöser und Formen jüdischer Selbsthilfe herausgearbeitet. Es spricht für Moores Fähigkeit zur Reflexion der eigenen Arbeit, wenn er die Probleme der verschiedenen Perspektiven und komplizierten Sachverhalte immer wieder transparent macht und auch den Leser an seinen Überlegungen und Schlussfolgerungen teilhaben lässt. Und genau diese Komplexität, so lautet dann auch seine Abschlussthese, dürfe nicht dazu führen, dass "wir abgehalten würden, diese versuchen zu verstehen" (367). Und genau das macht Bob Moore in seinem Buch auf sehr erhellende und interessante Art.
Anmerkungen:
[1] Bob Moore: Refugees from Nazi Germany in the Netherlands 1933 -1940, Dordrecht 1986 und Bob Moore: Victims and survivors. The Nazi persecution of the Jews in the Netherlands 1940 -1945, London 1997.
[2] Yisrael Gutman (ed.): The Encyclopedia of the Righteous among the Nations, Jerusalem ab 2003 ist ein Beispiel für den bisherigen Ansatz, durch den vor allem einzelne Personen gewürdigt wurden.
Katja Happe