Doris H. Lehmann: Historienmalerei in Wien. Anselm Feuerbach und Hans Makart im Spiegel zeitgenössischer Kritik (= 11), Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2011, VIII + 527 S., 124 s/w-Abb., ISBN 978-3-412-20107-4, EUR 64,90
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Um es gleich vorwegzunehmen: die Publikation von Doris Lehmann ist ein großer Gewinn für die kunsthistorische Forschung und ein weiterer wichtiger Baustein für die momentan wieder auflebenden Forschungen zum Historismus, zur Salonkunst und den großen Malern des 19. Jahrhunderts, die lange Zeit in den schon früh geprägten Klischees verharrten und so schnell ins Abseits des kunsthistorischen Interesses gerieten.
Die wiederbelebte Auseinandersetzung mit der lange als Verfallskunst stigmatisierten Historienmalerei des 19. Jahrhunderts lässt sich allerorten bemerken. Gerade das letzte Jahrzehnt war bestimmt von gewichtigen Ausstellungen - mit entsprechenden Begleitkatalogen - zu einigen bis dato wenig beachteten Künstlern wie Karl von Piloty [1], Gabriel von Max [2] oder Hans Makart [3], die alle zu ihrer Zeit einflussreiche Größen des Kulturgeschehens waren. Beschränkt man das Interessensfeld auf Wien, so lässt sich auch hier - neben den erwähnten Makart-Studien und den kontinuierlichen Arbeiten von Werner Telesko [4] - ein Anstieg an neueren Publikationen zur Historienmalerei bemerken, sei es mit Ralph Gleis' - auf einer Dissertation aufbauenden - Arbeit zu Anton Romako [5] oder die neue Überarbeitung von Daniel Kupper zu Anselm Feuerbach. [6] In diesem Jahr wird in Wien mit großer Resonanz der 150. Geburtstag von Gustav Klimt in verschiedenen Ausstellungen gefeiert, dessen Werk ohne das seiner Vorgänger nicht denkbar ist.
Die mit 527 Seiten umfangreiche Publikation von Doris Lehmann beruht auf ihrer Dissertation, die 2005 von der Universität zu Köln angenommen wurde. Zentral behandelt sie die Rivalität zwischen den beiden Malern Anselm Feuerbach (1829-1880) und Hans Makart (1840-1884), die über einige Jahre hinweg die Malerei der österreichischen Metropole maßgeblich bestimmten. Lehmann geht für diesen Vergleich konsequent zurück zu den Bild- und Textquellen und kann sich dadurch von den festgefahrenen Meinungen freimachen, die die Kunstgeschichte bislang prägten.
Gut 250 Seiten Abhandlung stehen rund 200 Seiten zusammengetragenem Quellenmaterial gegenüber, das die solide Basis für den ersten Teil darstellt. Die chronologisch sortierten, ungekürzten 104 zeitgenössischen (nicht posthumen) Dokumente bilden die Diskussion der Jahre 1869 - dem Jahr der Berufung Makarts nach Wien - bis 1881 anschaulich ab. Es handelt sich in erster Linie um wenig beachtete Kritiken aus der Presse, ergänzt durch wichtige, teils bisher unveröffentlichte Briefe aus dem privaten Bereich. Ihre Zusammenführung an einer Stelle erleichtert eine Vertiefung in das Thema ungemein.
Die darauf aufbauende Abhandlung gliedert sich so einfach wie einleuchtend. Neben Einführung und Schluss, analysiert Lehmann in fünf Kapiteln in chronologischer Abfolge das Konkurrenzverhältnis zwischen Anselm Feuerbach und Hans Makart: Vor ihrer Wiener Zeit (Kap. II, 23-62), während ihrer gemeinsamen Anwesenheit in Wien (Kap. III, 63-148), während Feuerbachs Kündigung und seinem Weggang aus Wien (Kap. IV, 149-160), während der Konkurrenzsituation auf Distanz nach seinem Weggang (Kap. V, 161-226) und schließlich Makarts Schaffen nach dem Tod Feuerbachs (Kap. VI, 227-233).
Lehmann geht dabei in zweifacher Weise vor: Zum einen analysiert sie genau die schriftlichen Quellen, zum anderen kann sie durch den Vergleich von Schlüsselwerken Makarts und Feuerbachs ihr konkurrierendes Verhältnis auch am malerischen Œuvre nachvollziehbar machen. Etwas unelegant wirkt der angehängte Exkurs zur Identifizierung der Damen in Makarts Gemälde "Der Einzug Karls V. in Antwerpen" (241-260), hätte man diese wichtigen Entdeckungen doch lieber direkt in die Abhandlung integriert gesehen.
Ergänzt wird die Publikation - neben umfangreichen Literatur-, Quellen- und Abbildungsnachweisen sowie einem hilfreichen Namensregister - durch einen Bildteil mit teils überraschenden Belegen. Gemälde, Zeichnungen, Fotografien, Druckgrafiken, Karikaturen, Schriftstücke, Ausstellungspläne und Zeitungsartikel werden auf 16 Farbtafeln und 125 Schwarz-Weiß-Abbildungen gezeigt. Allerdings lassen die Abbildungsgrößen vor allem der Gemälde - angesichts der häufig monumentalen Vorlagen - deutlich zu wünschen übrig. Sie erlangen damit nur den Status eines beiläufigen Bildzitats, hätten jedoch eine prominentere Darstellung verdient.
Doris Lehmann wagte sich mit ihrer Arbeit zum Wettstreit zwischen Feuerbach und Makart an ein Thema, das in der Vergangenheit als abwegig beiseitegeschoben wurde. Zu konträr seien die beiden Positionen der beiden Einzelgänger, als ihr Leben und Werk auf eine Ebene gestellt werden könnten. Feuerbach, der letztlich gescheiterte, "verkannte Gedankenkünstler" könne nicht mit Makart dem schließlich triumphierenden "Sensationskünstler" verglichen werden - so das Klischee.
Lehmann beweist durch kritische Hinterfragung das Gegenteil. Dabei ist ihr Ansatz ein weitgreifender: Neben solider Kunstgeschichte, die - ganz im klassischen Sinne - über Analyse und Vergleiche ihrer Historiengemälde sowie der zugrundeliegenden, künstlerischen Strategien zu immanenten Ergebnissen führt, ist ihre Studie gleichermaßen stark durch sozial- wie rezeptionshistorische Aspekte geprägt. Der Schwerpunkt der Untersuchung liegt dabei auf der Analyse der wichtigsten Wiener Ausstellungsereignisse in den Jahren 1873 bis 1876, als sich beide Künstler in Wien aufhielten, die Debatte um die angemessene Ausstattung der monumentalen Ringstraßenbauten anheizten und mit ihren Historiengemälden um die Vormachtstellung in der österreichischen Kunstszene rangen.
Thematisiert werden wirtschaftliche Bedingungen, etwa die Auftragserteilung von Monumentalwerken nur an Akademieangehörige, der Börsenkrach und die anschließende Krise des Marktes. Makart, der erst nach dem Fortgang Feuerbachs an der Akademie eine Professur erhielt, tat sich zuvor schwer, als ernstzunehmender Maler anerkannt zu werden. Der "Sensationskünstler" stand stets im Schatten des "wahren" Historienmalers Feuerbach. Lehmann zeigt anschaulich, welche Strategien Makart einsetzte, um sich neben seinem Konkurrenten zu behaupten und in welcher Weise sich Feuerbach ihm gegenüber bis zu seiner Abreise 1876 abhob. Auch danach blieb die Akzeptanz von Makart durch das Wiener Kultusministerium aus, während ihm das Publikum wohl gesonnen gegenüberstand. Interessant sind auch die Strategien Henriette Feuerbachs, der Stiefmutter, die als "Strippenzieherin" ohne Zweifel das gute Image ihres Stiefsohns - sowohl bei den Zeitgenossen als auch für die Nachwelt - prägen wollte. So war es vor allem sie, die die Karriere Feuerbachs lenkte: Sie versuchte, ihn in München als Piloty-Nachfolger zu etablieren und - nach dem Scheitern dieses Vorhabens - ihn wieder nach Wien zu bringen. Aber auch dies sollte misslingen. Interessanterweise löste sich Makart auch nach Feuerbachs plötzlichem Tod 1880 nicht von seinen Bildfindungen. Auch weiterhin orientierte er sich an der anerkannten Malerei des Älteren.
Lehmann zeigt in ihrer Arbeit, dass die beiden Maler in ständiger Konkurrenz und gegenseitiger intensiver Beobachtung lebten - ablesbar an ihren Gemälden, ihren Briefen, Selbstdarstelllungen, ihrem Ausstellungsverhalten und durch die Äußerungen ihrer Zeitgenossen. Dabei bietet sie faszinierende Einsichten in die verschiedenen Interessen und Mechanismen von Künstlerpersönlichkeiten, Staat, Kunsthandel, Presse und Publikum. Erfreulicherweise liegt mit Lehmanns Arbeit zudem eine gut lesbare Publikation vor, die sowohl der Fachwelt, aber auch dem interessierten Laien gewinnbringende Erkenntnisse vermitteln kann. Von ihr benannte Desiderate, etwa die Analyse des Phänomens des "Sensationsmalers" oder die Rolle der beiden Historienmaler als Wegbereiter für die secessionistischen Künstler, lassen auf weiterführende Studien hoffen, für die diese Untersuchung eine unentbehrliche Grundlage bilden wird.
Anmerkungen:
[1] Reinhold Baumstark / Frank Büttner (Hgg.): Großer Auftritt. Piloty und die Historienmalerei, München 2003. Vgl hierzu die Rezension von Andreas Baumerich, in: sehepunkte 4 (2004), Nr. 3 [15.03.2004], URL: http://www.sehepunkte.de/2004/03/3149.html.
[2] Karin Althaus / Helmut Friedel (Hgg.): Gabriel von Max. Malerstar, Darwinist, Spiritist, München 2010. Vgl die Rezension von Elisa Tamaschke, in: sehepunkte 12 (2012), Nr. 3 [15.03.2012], URL: http://www.sehepunkte.de/2012/03/19206.html.
[3] Ralph Gleis (Hg.): Makart. Ein Künstler regiert die Stadt, München u.a. 2011; Agnes Husslein-Arco / Alexander Klee (Hgg.): Makart. Maler der Sinne, München u.a. 2011.
[4] Beispielhaft seien erwähnt: Werner Telesko: Geschichtsraum Österreich. Die Habsburger und ihre Geschichte in der bildenden Kunst des 19. Jahrhundert, Köln u.a. 2006; oder: Kulturraum Österreich. Die Identität der Regionen in der bildenden Kunst, Köln u.a. 2008. Vgl. hierzu die Rezension von Heidi Hein-Kircher, in: sehepunkte 7 (2007), Nr. 6 [15.06.2007], URL: http://www.sehepunkte.de/2007/06/11801.html.
[5] Ralph Gleis: Anton Romako. Die Entstehung des modernen Historienbilds, Köln u.a. 2010. Vgl. die Rezension von Sabine Wieber: Studien zu Anton Romako (1832-1889) (Rezension), in: sehepunkte 11 (2011), Nr. 12 [15.12.2011], URL: http://www.sehepunkte.de/2011/12/19032.html.
[6] Daniel Kupper: Anselm Feuerbach (1829-1880). Eine Werkbiographie, München 2011.
Birgit Jooss