Astrid von Schlachta: Gefahr oder Segen? Die Täufer in der politischen Kommunikation (= Schriften zur politischen Kommunikation; Bd. 5), Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2009, 484 S., ISBN 978-3-89971-758-7, EUR 61,90
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Astrid von Schlachtas großes Buch über die Täufer in der politischen Kommunikation des 17. und 18. Jahrhunderts ist ein Beispiel dafür, wie es mit Hilfe eines fundierten methodischen Konzepts gelingen kann, aus historiographischen Traditionen auszubrechen und ein klassisches Thema neu zu erobern. [1] Die Frage nach der Politik ist in der Tat so zentral für die Geschichte der Täufer, dass man sich fragt, warum dazu nicht längst mehr geschrieben worden ist. Indes hat sich seit der Dissertation von Hans Joachim Hillerbrand zur politischen Ethik im oberdeutschen Täufertum (1962) [2] und James Stayers Anabaptism and the Sword (1972) [3] nur Michael Driedger intensiver mit dem Verhältnis der Täufer zum frühmodernen Staat befasst (2007). [4] Kenner der Täufergeschichte überrascht das nicht, hält sich doch hartnäckig das Bild einer apolitischen religiösen Minderheit, die jegliche Partizipation am politischen Geschehen, etwa durch die Übernahme von Ämtern, wegen ihrer religiösen Überzeugung vermied. Während ältere ideen- und theologiegeschichtliche Studien diese Selbststilisierung unhinterfragt ließen, kann von Schlachta mit Hilfe eines erweiterten Politikbegriffs die Täufer als politische Akteure nach innen und außen sichtbar machen.
Die politische Auseinandersetzung der Täufer mit ihrer Umwelt kristallisiert sich der Autorin zufolge in der Frage nach ihrer politischen und gesellschaftlichen "Inklusion" oder "Exklusion", eine Frage, die sich nicht zuletzt an der Außenwahrnehmung der politischen Haltung der Täufer entschied. Ein analytischer Fokus der Studie liegt deshalb auf dem Aspekt der "Sprache, Symbolik und Zeichen" politischer Kommunikation, mit dem die Frage erörtert wird, wie sich dieser Prozess der Integration bzw. Ausgrenzung vollzog und wie er kommuniziert wurde (15). Neben der sprachlichen Ebene analysiert von Schlachta die politische Kommunikation auch in ihrer räumlichen Dimension. Den politischen Raum konstruiert sie notwendigerweise als "transterritorial" - das ergibt sich nicht nur aus der Migrationsgeschichte der Täufer, sondern auch aufgrund der jeweils beteiligten Akteure (22). Ein ausführlich diskutiertes Beispiel dafür ist das Eintreten niederländischer Täufer (und Diplomaten) für die Schweizer Täufer, die in der Eidgenossenschaft auch nach dem 16. Jahrhundert noch massiv verfolgt wurden. Der Gewinn dieses methodischen Konzepts liegt darin, dass die gewählte analytische Perspektive in beide Richtungen funktioniert: Sie macht die Täufer als Teilnehmer des politischen Diskurses sichtbar, und sie zeigt zugleich, welche Auswirkung die "Täuferfrage" auf den politischen Diskurs und die Haltung der Fürsten haben konnte. So liegt der Anspruch des Buches nicht nur darin, die politische Geschichte der Täufer zu erzählen, sondern auch die Geschichte der Toleranz von ihren Grenzen her (429).
Die Spannbreite des Untersuchungsgebietes zeigt die eingangs skizzierte "konfessionell deviante Landkarte" des 17. und 18. Jahrhunderts. Hier werden sehr unterschiedliche Existenzbedingungen von Täufern beschrieben, die von weitgehender politischer und wirtschaftlicher Integration über phasenweise Tolerierung (in Jülich und Berg sowie den preußischen Gebieten) bis hin zu Verfolgung und Vertreibung (unter anderem in der Schweiz und Teilen der habsburgischen Länder) reichen konnten. Bevor in der zweiten Hälfte des Buches diese Räume tiefer gehend untersucht werden, stehen zunächst die übergreifende sprachliche Aufschlüsselung der politischen Kommunikation zwischen den Täufern und ihren Gegnern sowie deren theoretische und reichsrechtliche Grundlagen im Mittelpunkt.
Anhand von Bekenntnisschriften zeigt die Autorin, wie sich die politische Haltung der Täufer entwickelte: Befanden sie sich im 16. Jahrhundert noch in einer radikalen Opposition zu den frühneuzeitlichen Staatsideen, passten sie sich danach zunehmend an die Ordnungsvorstellung der Mehrheitsgesellschaft an. Aber auch in der Etablierung neuer, positiv besetzter Selbstbezeichnungen sieht von Schlachta eine zumindest teilweise erfolgreiche Strategie einer Neupositionierung seit der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts: Aus den gefährlichen Wiedertäufern werden gute Mennoniten. Um ihre Tolerierung zu erreichen, verorteten sich die Täufer innerhalb des protestantischen Lagers und versicherten den Obrigkeiten ihre Treue, um im Gegenzug Gewissensfreiheit einzufordern (423). Dort, wo die Täufer Privilegien errungen hatten, wurden die klassischen Konfliktpunkte (Eid, Waffendienst, öffentliche Ämter und die Loyalitätsfrage) auf pragmatische Weise gelöst. Als aktive Verteidiger dieser Privilegien werden die Täufer nicht zuletzt vor den Reichsgerichten sichtbar.
In der politischen Sprache ihrer Gegner dominierten trotz dieser Anpassungsprozesse weiterhin die Formeln "Unruhe", "Aufruhr" und "Rotterei". Dass man auf diese Traumata des Bauernkriegs und des Täuferreichs von Münster zurückgriff, erklärt von Schlachta durch eine lebendige Erinnerungskultur, die jederzeit gezielt eingesetzt werden konnte, um negative Emotionen zu erzeugen (117).
Neue Wege betritt die Autorin vor allem bei der Ursachenforschung für negative Wahrnehmung täuferischer Rede vonseiten der Obrigkeiten und der konfessionellen Öffentlichkeit, die sie vor dem Hintergrund der zeitgenössischen politischen Theorie deutet. Im Kontext von Debatten wie jener um das Widerstandsrecht gegen "unchristliche Obrigkeiten" wird klar, weshalb theologische Äußerungen und religiöse Praktiken der Täufer von ihren Gegnern als politische Aussagen wahrgenommen wurden. Entsprechend ordneten die Obrigkeiten das Täuferproblem dem Bereich der "Policey" und damit dem weltlichen Bereich zu. Eine Maßnahme, mit der es gelang, in der Täuferfrage eine Diskussion auf der Ebene von religiöser Toleranz und Gewissensfreiheit zu vermeiden, worin von Schlachta eine frühe Trennung von Politik - als ein "durch staatliche Instanzen vorgebrachtes Normensystem" - und Religion erkennt (417).
Die erfrischend knappen, aber quellenreichen Exkurse in einzelne "Konflikträume" zeigen den unterschiedlichen Umgang mit diesem ordnungspolitischen Rahmenkonzept. In der Eidgenossenschaft erblickte man in den Täufern nach wie vor ein großes Bedrohungspotential für die öffentliche Ordnung und hielt an ihrer Verfolgung fest. In der Pfalz oder in den preußischen Gebieten ermöglichte es die Zuordnung zum Bereich "policey" den Herrschern hingegen, Täufer anzusiedeln, obwohl weder die politische Theorie noch das Reichsrecht die damit einziehende religiöse Vielfalt vorsahen. An eine solche Duldung war stets die Bedingung geknüpft, die öffentliche Ordnung nicht zu stören. Sie markiert die Grenzen täuferischer Integration, die sich in Jülich-Berg beispielsweise in Konflikten um die Sichtbarkeit der wirtschaftlich erfolgreichen Mennoniten manifestierte (331).
Von Schlachta führt anhand dieser "Tiefenbohrungen" das Spektrum täuferischer Existenzbedingungen vor Augen, das im 18. Jahrhundert neben Tolerierung und Integration noch immer Verfolgung und Vertreibung umfasste. In den habsburgischen Ländern trifft man sogar beides gleichzeitig an: Während Joseph II. Mennoniten als Siedler nach Galizien einlud, wurden die Hutterer weiterhin verfolgt (376). Für die preußischen Gebiete stellt sie eine ähnlich ambivalente Haltung bei Friedrich Wilhelm I. fest, die sich in der Wertschätzung der ökonomischen Erfolge der Mennoniten im Rheinland und dem zeitgleichen Versuch der Zwangskonskription und Vertreibung derselben in Tilsit zeigt (371). Auch dort, wo sich Täufer Privilegien erkämpft hatten, konnte sich also ihr Status bei wechselnden politischen Interessen oder ökonomischen Krisen jederzeit wieder verschlechtern. Ambivalent ist folglich auch das Fazit, das die Autorin im Hinblick auf die alte Frage nach der Rolle der Täufer in der Geschichte der Toleranz zieht. Im Gegensatz zu der allzu euphorischen älteren Täuferforschung sieht sie in den Täufern "nur ein Rädchen des auf Toleranz hinarbeitenden Getriebes" (416).
Dieses Buch überzeugt durch seine enorme Spannbreite, den effektiven methodischen Ansatz und nicht zuletzt durch die breite Kontextualisierung der Protagonisten wie der politischen Diskurse. So werden die Täufer ins Verhältnis gesetzt zu anderen religiösen Minderheiten - Pietisten, Juden und Quäkern -, der politische Diskurs wird an den rechtlichen Voraussetzungen und an der politischen Praxis gemessen. Zu kritisieren gibt es allenfalls Formales: Zur schnellen Orientierung wären eine visuelle Darstellung der "konfessionell devianten Landkarte" und ein Sachregister hilfreich. Zudem fiele die Erschließung des komplexen Werkes leichter, wenn im mehr als drei Seiten umfassenden Inhaltsverzeichnis die (nicht nummerierten) Kapitel in größere Teile zusammengefasst und optisch besser strukturiert wären. Diese technischen Mängel werden jedoch durch die klare Argumentationsführung und die beeindruckende Syntheseleistung im dreißigseitigen Schlusskapitel mehr als ausgeglichen.
Anmerkungen:
[1] Einer dieser Klassiker ist Joseph Lecler: Geschichte der Religionsfreiheit im Zeitalter der Reformation, 2 Bde., Stuttgart 1965.
[2] Hans Joachim Hillebrand: Die politische Ethik des Oberdeutschen Täufertums. Eine Untersuchung zur Religions- und Geistesgeschichte des Reformationszeitalters, Leiden / Köln 1962.
[3] James M. Stayer: Anabaptism and the Sword, Lawrence KN 1972 (Reprint der Neuauflage von 1976 Eugene, OR 2002).
[4] Michael Driedger: Anabaptism and the Early Modern State. A longterm View, in: James M. Stayer / John D. Roth (eds.): Companion to Anabaptism and Spiritualism, Leiden / Boston 2007, 507-538.
Katharina Reinholdt