Rezension über:

Matthew Grant: After the Bomb. Civil Defence and Nuclear War in Britain, 1945-68, Basingstoke: Palgrave Macmillan 2010, XI + 249 S., ISBN 978-0-230-20542-0, GBP 55,00
Inhaltsverzeichnis dieses Buches
Buch im KVK suchen

Rezension von:
Elisabeth Röhrlich
Universität Wien
Redaktionelle Betreuung:
Empfohlene Zitierweise:
Elisabeth Röhrlich: Rezension von: Matthew Grant: After the Bomb. Civil Defence and Nuclear War in Britain, 1945-68, Basingstoke: Palgrave Macmillan 2010, in: sehepunkte 12 (2012), Nr. 6 [15.06.2012], URL: https://www.sehepunkte.de
/2012/06/18713.html


Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.

Matthew Grant: After the Bomb

Textgröße: A A A

Die Geschichte des Kalten Krieges ist unauflösbar mit der Angst vor einem atomaren Konflikt verbunden. Im August 1945 hatten die Atombombenabwürfe über Hiroshima und Nagasaki der Welt das ungeheure Vernichtungspotenzial der neuen Waffen vor Augen geführt. Doch während in den folgenden Jahren die Szenarien eines möglichen Atomkriegs in globalen Dimensionen gedacht wurden, unterschieden sich die Antworten auf die nukleare Bedrohung von Land zu Land mitunter deutlich. Nationale Sonderwege und unterschiedliche verteidigungspolitische Traditionen prägten den Umgang mit der Angst vor dem Atomkrieg. Die Geschichte des Zivilschutzes ("Civil Defence") im Kalten Krieg zeigt dies besonders anschaulich. Während etwa in den USA das Konzept der "Family Fallout Shelter" die Verantwortung auf die Ebene des Einzelnen übertrug, wurden die Schutzmaßnahmen in der Schweiz beispielsweise in das bestehende Milizsystem eingepasst.

Angesichts dieser nationalen Unterschiede ist es ein vielversprechendes Forschungsanliegen, die Besonderheiten der britischen Zivilschutzpolitik während des Kalten Krieges zu untersuchen. Mit dem hier vorzustellenden Band hat der britische Zeithistoriker Matthew Grant eine erste umfassende und auf intensiven Archivrecherchen aufbauende Studie zu diesem Thema vorgelegt. Der Untersuchungszeitraum reicht von der unmittelbaren Nachkriegszeit bis in die ausgehenden 1960er Jahre, an deren Ende das britische Zivilschutzprogramm auf ein äußerstes Minimum zurückgefahren wurde.

Zur amerikanischen Zivilschutzpolitik liegen bereits zahlreiche Arbeiten vor, nicht aber zur Situation in Großbritannien. Grant führt dies vor allem auf die verzögerte Deklassifizierung der relevanten Aktenbestände zurück, die erst durch den im Jahr 2000 verabschiedeten und 2005 in Kraft getretenen "Freedom of Information Act" zugänglich wurden. Diese Quellen - vor allem Kabinettsakten, Berichte, Korrespondenzen und Planungsakten aus den National Archives in Kew - bilden die Basis für Grants Studie.

Die Quellenauswahl verweist auf den stark politikgeschichtlichen Schwerpunkt der Monographie. Wer hier etwa Skurriles zur "Atomic Culture" im Kalten Krieg sucht, wie man es aus der Forschung zur amerikanischen "Fallout Shelter Panic" kennt, wird in dieser Studie nicht fündig werden. [1] Bis auf einige wenige Abbildungen zur Rekrutierung von Freiwilligen findet sich hierzu kaum etwas.

Doch ist es gerade dieser etwas andere Fokus von Grants Arbeit, der sie zu einer interessanten Lektüre macht. Ausführlich zeichnet er die Entwicklung der britischen Zivilschutzpolitik zwischen 1945 und 1968 nach, ohne sich dabei zu sehr in administrativen Details zu verästeln. Der Aufbau des Buches ist chronologisch. Grant verfolgt die britische Zivilschutzpolitik über Regierungswechsel hinweg und entlang der internationalen Krisen der Zeit. Kurze Zwischenresümees am Kapitelende sowie eine Einleitung, in der zentrale Ergebnisse bereits vorweggenommen werden, ergeben zwar einige Wiederholungen, machen das Buch aber zu einer sehr gut lesbaren und lehrreichen Einführung in das Thema.

Grants Untersuchung verläuft entlang zweier Fragen: Wie sahen die erwarteten Folgen eines atomaren oder thermonuklearen Krieges aus? Und welche politischen Konsequenzen wurden daraus gezogen? Die Beantwortung beider Fragen fiel im Laufe des Untersuchungszeitraums durchaus unterschiedlich aus, wie Grant plastisch schildert. Zivilschutz war nicht nur eine Kosten- und Haushaltsfrage, sondern musste zudem an strategische Planungen angepasst werden. Während die "Fallout Shelter" im britischen Zivilschutz nur eine untergeordnete Rolle spielte, ging es vor allem darum, das weitere Funktionieren der Regierung nach einem möglichen Angriff zu gewährleisten. Vor allem die Frage, wie die Bevölkerung auf einen Atomschlag reagieren würde, erwies sich als schwer beantwortbar. Richard Clarke, Staatssekretär im Finanzministerium, prangerte noch 1954 den Mangel an entsprechenden Studien an, in dem er H. G. Wells Roman "The War of the Worlds" als das einzige Standardwerk für diese Frage bezeichnete (85).

Grant teilt die Geschichte des britischen Zivilschutzes in drei Phasen ein: die Zeit des "Atomic Age" (1945-1954), das anschließende "Thermonuclear Age" (1954-1960) sowie das "Deterrent Age" (1960-1968). Die Anfangsphase des britischen Zivilschutzes stand dabei noch in deutlicher Kontinuität zur Zeit des Zweiten Weltkrieges. Evakuierung, Schutzräume und Alarmsysteme waren die Eckpunkte des Programms. Bereits 1948 verabschiedete die britische Regierung den "Civil Defence Act". In der organisatorischen Gestaltung des Zivilschutzes war Großbritannien damit den USA zeitlich einen Schritt voraus, wie Grant betont (9).

Die Entwicklung der Wasserstoffbombe markiert eine wichtige Zäsur im Atomzeitalter, deren Bedeutung Grant auch für die britische Politik hervorhebt. Neben der Sprengkraft war es nun vor allem die unsichtbare Bedrohung durch radioaktiven Niederschlag ("Fallout"), welche die Angst vor einem Nuklearkrieg noch größer werden ließ. Überzeugend zeichnet Grant nach, wie der Zweite Weltkrieg in der Auseinandersetzung mit einem möglichen Atomkriegsszenario als Referenz an Bedeutung verlor. Während man zwar davon ausging, dass die Erfahrung des Zweiten Weltkrieges die Moral der britischen Zivilbevölkerung sichern würde, erkannte man gleichzeitig, wie sehr sich ein nuklearer Krieg von dem vorhergegangenen unterscheiden würde. Jetzt würde es zu einem "totalen Krieg" kommen, wie man ihn bis dahin nicht gekannt habe, zitiert Grant einen Bericht aus dem Jahr 1955 (93).

Grants politikgeschichtlicher Ansatz, der sich auf Berichte von Kommissionen, auf Finanzbudgets sowie Planungsstrategien konzentriert, bezieht neben der nationalen auch die regionale und lokale Ebene mit ein. Zentral ist für ihn dabei der Bezug zur Öffentlichkeit, dem er immer wieder das Augenmerk schenkt: Welche Reaktionen erwartete man von der Bevölkerung? Was sollte geheim gehalten werden, wo wurde Aufklärung und Information als notwendig erwartet?

Eine Schlüsselrolle weist Grant der "Campaign for Nuclear Disarmament" (CND) zu. Ende der 1950er Jahre wuchs diese Protestbewegung gegen Kernwaffen zu einer Massenbewegung - ihre Demonstrationen wurden auch zum Ausgangspunkt der westdeutschen Ostermärsche. Für Grant hatte die CND einen immensen Einfluss auf die Wahrnehmung des Zivilschutzes durch die britische Öffentlichkeit. Sie habe das Bild von einer wirksamen "Civil Defence"-Politik als bloße Fassade entlarvt: In einem thermonuklearen Krieg seien diese Maßnahmen nutzlos.

Matthew Grants Studie ist eine lohnenswerte Lektüre für all jene, die mehr über das britische Zivilschutzprogramm im Kalten Krieg erfahren möchten. Auf knapp 200 Seiten gewährt es interessante Einblicke in die Geschichte der - nach den USA und der Sowjetunion - "dritten Atommacht". [2]


Anmerkungen:

[1] Als Beispiel sei hier nur genannt: Kenneth D. Rose: One Nation Underground. The Fallout Shelter in American Culture, New York 2001.

[2] Susanna Schrafstetter: Die dritte Atommacht. Britische Nichtverbreitungspolitik im Dienst von Statussicherung und Deutschlandpolitik, 1952-1968, München 1999.

Elisabeth Röhrlich