Jan Hirschbiegel / Werner Paravicini / Jörg Wettlaufer (Hgg.): Städtisches Bürgertum und Hofgesellschaft. Kulturen integrativer und konkurrierender Beziehungen in Residenz- und Hauptstädten vom 14. bis ins 19. Jahrhundert (= Residenzenforschung; Bd. 25), Ostfildern: Thorbecke 2012, 384 S., 73 Farbabb., ISBN 978-3-7995-4528-0, EUR 64,00
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Werner Paravicini / Jörg Wettlaufer (Hgg.): Erziehung und Bildung bei Hofe. 7. Symposium der Residenzen-Kommission der Akademie der Wissenschaften in Göttingen. Veranstaltet in Zusammenarbeit mit dem Stadtarchiv Celle und dem Deutschen Historischen Institut Paris (Celle, 23. - 26.9.2000), Ostfildern: Thorbecke 2002
Das 12. Kolloquium der Residenzenkommission der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen, dessen Beiträge in diesem Band vorgelegt werden, fand im Herbst 2010 in einer Zeit des Übergangs und auch der Unsicherheit statt. Einerseits beging mit der Kommission eine bedeutsame Institution der Forschung zu Höfen und Residenzen ihr 25. Jubiläum. Andererseits war zum Zeitpunkt des Kolloquiums noch nicht geklärt, ob und wie die Arbeit der Kommission und mit ihr das Bestehen lange gewachsener Forschungsnetzwerke würde gesichert werden können. Die Einleitung von Werner Paravicini (11-22) dokumentiert diesen Zustand noch, gibt aber zugleich einen Ausblick auf künftige Arbeitsvorhaben (19-22), von denen mittlerweile klar ist, dass sie, ausgehend von einem ähnlichen Nukleus, wie ihn bislang die Residenzenkommission darstellte, verfolgt werden können: Seit Anfang 2012 läuft ein Langzeitprojekt der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen unter dem Titel "Residenzstädte im Alten Reich (1300-1800). Urbanität im integrativen und konkurrierenden Beziehungsgefüge von Herrschaft und Gemeinde".
Der Tagungsband steht damit auch inhaltlich sozusagen zwischen den beiden Institutionen, war die "alte" Residenzenkommission doch angetreten, vorrangig die Forschung zur Geschichte des Hofes im späten Mittelalter zu intensivieren und Einzelprojekte und -themen zu vernetzen. Sie wurde mit ihrer Tätigkeit zu einem der Faktoren, die bewirkten, dass Forschungen zu Hof und höfischer Gesellschaft im deutschsprachigen Raum in den letzten 25 Jahren von einem Randthema zu einem Schwerpunkt der Frühneuzeitforschung wurden. Die zwölf vorgelegten Tagungsbände und weitere Publikationen, nicht zuletzt natürlich das Handbuch "Höfe und Residenzen im spätmittelalterlichen Reich" dokumentieren das. Wenn sich das letzte Kolloquium der Kommission - ähnlich wie schon das des Jahres 2004 - den Wechselwirkungen von Hof, Residenz und Stadt zuwendete, deutet dies den künftig weiteren Blickwinkel der Arbeit an: Einerseits weg von der (zumindest am Anfang) engen Orientierung auf den Hof als Umgebung des Fürsten und seiner Familie und auf das Schloss als dessen "Gehäuse", hin zur stärkeren Reflexion der Wechselwirkungen zwischen Hof und sozialer Umgebung. Andererseits wird eine deutliche zeitliche Ausweitung des Blicks auf die gesamte Frühe Neuzeit und darüber hinaus bis zum Ende der höfischen Gesellschaft im 20. Jahrhundert angestrebt.
Beides wird in den Beiträgen des Bandes bereits weitgehend eingelöst. Enthalten sind neben der Einleitung von Werner Paravicini und einem Überblicksbeitrag von Gerd Melville zu Johann Casimir von Sachsen-Gotha - sozusagen als Reverenz an den Genius loci des Tagungsortes Coburg - 16 Beiträge zu vier Themenkomplexen. Der erste betrifft "Stadtwirtschaft und Hofwirtschaft"; der zweite, "Visualität und Medialität", behandelt vor allem anhand der Residenzarchitektur den Zeichencharakter fürstlicher Selbstdarstellung, unter deren Einfluss sich, oft in Konkurrenz mit städtischen Repräsentationsbemühungen, das Stadtbild frühneuzeitlicher Haupt- und Residenzstädte entscheidend wandelte.
Im dritten Komplex "Konkurrenz und Kooperation" geht es vorrangig um soziale und politische Aspekte der Beziehungen zwischen städtischem Bürgertum und höfischem Adel, wobei auch der Rolle der Universitäten in diesem Kontext Aufmerksamkeit gewidmet wird. Der vierte und letzte Abschnitt, "Krise und Niedergang der höfischen Welt", wendet sich der Frage zu, ob und wenn ja wann es strukturelle Veränderungen im Wechselspiel zwischen Stadt und Hof gab, ob sich nach 1800 Grundlegendes im Spannungsverhältnis der beiden Seiten veränderte. Eine ausführliche und anregende Zusammenfassung von Beiträgen und Diskussion (319-336) aus der Feder von Pierre Monnet schließt den Band ab.
Die Beiträge und die zumindest teilweise mit ihnen publizierten Kommentare schreiten damit ein breites Spektrum ab. Dadurch erhält der Band Überblickscharakter, der dadurch verstärkt wird, dass fast alle Einzelbeiträge ihrerseits größere Zeiträume und / oder größere geographische Räume überschauen bzw. vergleichend angelegt sind. Gemeinsam ist ihnen ebenfalls eine Grundorientierung, die wegführt von der Annahme eines Antagonismus Hof und Stadt, der in der Forschung lange als etabliert galt (322), der sich aber weder für die deutschen noch für die europäischen Beispiele, die im Rahmen der Tagung erörtert wurden, bei genauerer Betrachtung wird aufrechterhalten lassen. In verschiedenen Beiträgen werden außerdem Potentiale von Methoden aufgezeigt, die sowohl in der stadtgeschichtlichen wie in der Forschung zur höfischen Gesellschaft als eingeführt gelten können, die aber in Hinblick auf die Vernetzung von Stadt und Hof, von Adel und Bürgertum noch wenig genutzt wurden, wie beispielsweise die Verflechtungsanalyse in personengeschichtlicher Perspektive. Der letzte Tagungsband der "alten" Residenzenkommission liefert damit viele Perspektiven für und faktisch eine Überleitung zur Arbeit des neuen Akademieprojektes, dem man eine ebenso fruchtbare Arbeit wünschen wird wie seiner Vorgängerin.
Katrin Keller