Rezension über:

Martin Großheim: Ho Chi Minh. Der geheimnisvolle Revolutionär (= Beck'sche Reihe; 1997), München: C.H.Beck 2011, 192 S., 9 Abb., 3 Karten, ISBN 978-3-406-62208-3, EUR 12,95
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Rezension von:
Kerstin Schiele
Bonn
Redaktionelle Betreuung:
Stephan Conermann
Empfohlene Zitierweise:
Kerstin Schiele: Rezension von: Martin Großheim: Ho Chi Minh. Der geheimnisvolle Revolutionär, München: C.H.Beck 2011, in: sehepunkte 12 (2012), Nr. 7/8 [15.07.2012], URL: https://www.sehepunkte.de
/2012/07/20249.html


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Martin Großheim: Ho Chi Minh

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Die (Selbst-)Inszenierung von Mythen, Legenden und Ikonen hat eine lange Tradition und wird häufig im Kontext nationaler Zuschreibungen zur Stärkung des Nationalbewusstseins und zur Legitimation bestehender Machtverhältnisse eingesetzt. Dabei ist es einer Reihe von Personen sogar gelungen, nicht nur im eigenen Land, sondern auch international zum Mythos zu werden. Eine solche Ikone stellt sicherlich Ho Chi Minh dar, nicht nur für die Vietnamesen, sondern vor allem auch für die sogenannte "68er Bewegung". Dass sich hinter einer solchen Inszenierung natürlich politisches Kalkül und gesellschaftliche Dynamiken verbergen, möchte Martin Großheim, Privatdozent für Südostasienkunde an der Universiät Passau, in seiner kürzlich vorgelegten Monographie Ho Chi Minh, der geheimnisvolle Revolutionär zeigen. In neunzehn kurzen Kapiteln, die jeweils einen Abschnitt aus dem Leben Ho Chi Minhs beleuchten, präsentiert Großheim dem Leser zum einen eine gut geschriebene Biografie. Zum anderen analysiert er jedoch auch, wie geschickt der vietnamesische Politiker seinen eigenen Mythos schuf und die Kommunistische Partei (KP) Vietnam ihn gleichzeitig als nationale Symbolfigur im Bewusstsein der Bevölkerung verankerte.

Der Autor geht chronologisch vor und beschreibt zunächst die Kindheit Ho Chi Minhs im Dorf Kim Lien in der Provinz Nghe An. Es folgen weitere Etappen - zunächst Saigon, dann Paris, Moskau, Peking, um nur einige zu nennen -, bevor es zur Gründung der KP Vietnam kommt. Es schließen sich Ausführungen zu seiner Haft in Hongkong, zum Unabhängigkeitskampf gegen die französische Kolonialmacht und zum Krieg gegen die USA an. Großheim versucht, wie er im Vorwort sagt, ein "facettenreicheres Portrait von Ho Chi Minh zu entwerfen" (11). Damit positioniert er sein Buch zwischen Äußerungen, Ho Chi Minh sei die Personifizierung des Bösen, wie dies insbesondere von Viet Kieu, den im Ausland lebenden Vietnamesen, behauptet wird, und einer Ikonisierung, die vor allem von der KP Vietnam vorangetrieben wurde. Der Autor erläutert sehr schön anhand wichtiger Stationen im Leben Ho Chi Minhs, wie die Legendenbildung im nationalen, regionalen und internationalen Kontext erfolgte. Großheim gelingt es mithilfe unterschiedlicher Quellen - insbesondere der Autobiographie von Ho Chi Minh - und unter sorgfältiger Auswertung der Sekundärliteratur, die Vita des Mannes ausgewogen, sachlich und überzeugend nachzuvollziehen. Dabei geht er auf widersprüchliche Daten und Lücken im Lebenslauf ein und diskutiert zahlreiche Themen, die innerhalb Vietnams bis heute tabuisiert werden. Zu diesen bisher vermiedenen Bereichen gehört zum Beispiel das Privatleben des Revolutionärs, der in der Regel als Asket und Heiliger gezeichnet wird. Neue Fakten zum Mensch Ho Chi Minh kommen zur Sprache, wobei dieser Aspekt vor dem Hintergrund der im Klappentext und in den Ankündigungen zu lesenden Verheißungen insgesamt im Buch selbst ein wenig enttäuscht.

Unter anderem geht Großheim auf die Heirat Ho Chi Minhs mit der Chinesin Tang Thuyet Minh ein, allerdings spielt seine Frau dann im Verlauf der sich überschlagenen Ereignisse der damaligen Zeit kaum noch eine Rolle. Die neuen Fakten zur Verehelichung Ho Chi Minhs mit einer Chinesin sind dennoch brisant, da sie der vietnamesischen nationalen Geschichtsschreibung entgegenstehen, die die tausend Jahre chinesischer Vorherrschaft bis zum 10. Jahrhundert, den vietnamesisch-chinesischen Krieg von 1979 sowie - ganz aktuell - den Konflikt beider Länder um die Spratly-Inseln im Südchinesischen Meer 2011 gerne im Sinne einer anti-chinesischen Propaganda instrumentalisiert.

Dem Autor gelingt es darüber hinaus, auch parteiinterne Schwierigkeiten, wie zum Beispiel das Festhalten Ho Chi Minhs an der Einheitsfrontlinie gegenüber des von der Mehrheit der Parteimitgliedern gewünschten Klassenkampfes und der damit einhergehenden schrittweisen Isolierung des Politikers von entscheidungsrelevanten Parteifunktionen anschaulich darzustellen und dabei die kalkulierte Legendenbildung durch die parteiinternen Widersacher, insbesondere auch nach dem Tod Ho Chi Minhs, zu verdeutlichen.

Dass überhaupt mehr persönliche Details über Ho Chi Minh zutage kommen konnten, ist einer neuen Quellenlage zu verdanken. Erstmalig waren nämlich in der Sowjetunion und in Vietnam zahlreiche Archive zugänglich, in die man bis vor einigen Jahren nicht hineinkam. Allerdings ist der Zugang in Vietnam für Ausländer weiterhin deutlich erschwert. Das hängt mit der Befürchtung des vietnamesischen Staates zusammen, es könnten Informationen veröffentlicht werden, die nicht konform mit der vorherrschenden Parteiideologie sind, die Ho Chi Minh weiterhin als großen und bedeutenden Nationalhelden dastehen lässt.

Der Autor schreibt insgesamt gut verständlich, und die Biografie ist damit für alle, die sich einen ersten Überblick über Ho Chi Minh verschaffen wollen, als Einstiegswerk geeignet. Drei Karten zur Geschichte Vietnams, ein Abkürzungsverzeichnis, mehrere Abbildungen, eine Zeittafel mit den wichtigsten Stationen im Leben Ho Chi Minhs sowie ein Personenregister tragen zu einer abgerundeten Lektüre bei. Für Leser mit regionalen und sprachlichen Kenntnissen wäre es eventuell besser gewesen, vietnamesische Begriffe mit Tonzeichen zu versehen.

Kerstin Schiele