Rezension über:

Rüdiger Lohlker: Dschihadismus. Materialien, Stuttgart: UTB 2009, 248 S., ISBN 978-3-8252-3132-3, EUR 19,50
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Rezension von:
Tonia Schüller
Bonn
Redaktionelle Betreuung:
Stephan Conermann
Empfohlene Zitierweise:
Tonia Schüller: Rezension von: Rüdiger Lohlker: Dschihadismus. Materialien, Stuttgart: UTB 2009, in: sehepunkte 12 (2012), Nr. 10 [15.10.2012], URL: https://www.sehepunkte.de
/2012/10/19289.html


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Forum:
Diese Rezension ist Teil des Forums "Islamische Welten" in Ausgabe 12 (2012), Nr. 10

Rüdiger Lohlker: Dschihadismus

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Das Werk von Rüdiger Lohlker Dschihadismus - Materialien beabsichtigt, dem Leser die begriffliche Dimension von Dschihadismus anhand von Originaltexten näherzubringen. Dabei definiert der Autor Dschihadismus als "transnationale islamische Bewegung [...], die den Dschihad im militärischen Sinne als zentrales Konzept ihrer Aktivitäten und Theorien bestimmt und eher ein ethisch-moralisches Unternehmen darstellt." (9)

Der Autor hat bei der Abfassung des Werkes auf eigene Vorarbeiten zurückgreifen können, so zum Beispiel auf seine Bücher zum islamischen Familienrecht (2002), zum Islam in Europa (2007) sowie zum Islam im Internet (online). Darüber hinaus verweist Lohlker auf bereits vorliegende Werke zum Thema Dschihadismus, die dem Leser als Ergänzung und zur Vervollständigung der vorliegenden Materialsammlung genannt werden. Der eigenständige Beitrag der Studie zur Forschung ergibt sich aus der Chance, einem breiteren Publikum durch ausgewählte Übersetzungen von Schlüsseltexten die verschiedenen Spielarten des Dschihadismus zu vermitteln.

Zu diesem Zweck verwendet der Autor kulturwissenschaftliche Analysen mit dem Ziel, Ideengeschichte und Spezifikationen des gegenwärtigen Dschihad-Diskurses herauszukristallisieren. Um ein klares Verständnis der übersetzen Texte zu gewährleisten, sind diese nach Themen geordnet und kommentiert, außerdem ist jedem Einzelthema eine Einleitung vorangestellt, um den Zusammenhang zu erläutern.

Zunächst reflektiert Lohlker jedoch die historischen Grundlagen und Entwicklungslinien des Konzeptes des Dschihads. Dabei präsentiert er - ausgehend von der Frühzeit und der koranischen Dimension des Begriffes - zentrale Stationen seiner Entwicklung sowohl in Hinblick auf die Nutzung durch verschiedene Personenkreise (Juristen/Sufis), als auch in regionaler Hinsicht (Westafrika, Amerika). Über den Dschihad als antikolonialen Kampf, z.B. in Indien, kommt der Autor zur aktuellen Lage mit Bezügen zu Afghanistan, zur wohl bekanntesten dschihadistischen Gruppe, al-Qaida, sowie zur Verbreitung von militanten Dschihadisten weltweit.

Im Anschluss folgen zwei kurze Begriffsdefinitionen zum Thema Schahid (Glaubenszeuge und Selbstmordattentäter), welche die bisherige Forschung kurz zusammenfassen. Aufbauend auf diesen Einführungskapiteln stellt Lohlker dem Leser nun Theologie und Theorie des Dschihadismus vor. Der Palästinenser ʿAbdallah ʿAssam (geboren 1941) tritt hier als einer der wichtigsten Denker zur theologischen Entwicklung des Dschihad in den Fokus. Dabei vertritt ʿAssam laut Lohlker die Ansicht, dass es einen Konsens innerhalb der Sunna gibt, wonach Dschihad sowohl den Kampf selbst als auch die Unterstützung der islamischen Sache generell umfasst. Lohlker verdeutlicht, dass es sich beim Dschihad nicht um eine neue Form von islamischer Theologie handelt, sondern vielmehr um Praktiken und Konzepte, welche ihren Stellenwert durch historischen Wandel erlangt haben und deren Ausgangspunkt Werke wie Wegzeichen von Sayyid Qutb oder Die vergessene Pflicht von Abdassalam Farag sind.

Im Folgenden wird der Leser mit dreizehn dschihadistischen Grundkonzepten vertraut gemacht, so mit dem Bild vom Westen, den Paradiesjungfrauen und prophetischen Träumen. Auf den Seiten 77 bis 108 finden sich dann siebzehn von Lohlker übersetzte Originaltexte aus verschiedenen Ländern und von unterschiedlichen Autoren, die sehr gut nachvollziehen lassen, wie Menschen von den Vorzügen der dschihadistischen Theorie und Theologie überzeugt werden sollen.

Die sich nun anschließenden drei Abschnitte befassen sich mit Internetforen, weiterführenden Erklärungen sowie mit der Rolle von Liedern und Gedichten in den Texten. Auf zwei bis drei Seiten umreißt das Werk zentrale Merkmale des jeweiligen Themas, danach folgt die Exemplifizierung durch Originaltexte. So wird der Leser unter anderem mit dem Aufbau der Internetforen al-Faludscha und al-Ichlas bekannt (112-122) und kann Liedtexte über die Vorteile des Dschihad lesen.

"Biographien" (142-157) hat weniger Quellenbezug, bietet jedoch anhand der Sekundärliteratur einen guten Eindruck der Gründe, welche Personen dazu veranlassen, am Dschihad teilzunehmen. So werden dem Leser verschiedene Etappen beziehungsweise Ideen vorgestellt, welche den Lebenslauf von Dschihadisten prägen, wie Ungerechtigkeit, Dschihadismus als männliche Ideologie, Tod und Spaß.

Anleitungen zur Praxis werden im folgenden Abschnitt vorgestellt. Dabei geht Lohlker zum einen auf die Rolle von Videos als virtuelle Trainingsforen für Dschihadisten ein, zum anderen auf verschiedene Kampfweisen, so den Guerillakrieg, Massenvernichtungswaffen aber auch das Studium der Bemühungen zur Dschihad-Bekämpfung. Die angefügten dreizehn Textbeispiele zeigen schon durch ihre Titel wie praxisorientiert Onlinequellen und Videos sind, beispielsweise "Lerne das Hacken" (168), " Nuklearer Vorbereitungskurs für die Mudschahidin" (174-178) und "Die Künste der Bewegung in Städten" (185-187).

Im abschließenden Kapitel "Der Weg aus dem Dschihad" weist der Band auf eine neue Entwicklung im Kampf gegen den Dschihadismus hin. Lohlker stellt die Versuche verschiedener Staaten, so von Jemen und Sinagapur, vor, inhaftierte Dschihadisten in die Gesellschaft zu reintegrieren. Hinsichtlich erster Erfolge bei diesen Bemühungen verweist der Autor auf Saudi Arabien, wo es seit 2004 gelungen ist, 700 von ca. 2000 Probanden zur Aufgabe ihrer dschihadistischen Überzeugungen zu bringen (191).

Das Werk von Lohlker bietet eine gelungene Übersicht über die verschiedenen Facetten der Dschihadismusdebatte. Neben den gut verständlichen Einführungen in die einzelnen Themen hat der Leser die Gelegenheit, sich anhand der Übersetzungen ein Bild von der Spannbreite dieses Diskurses zu machen und einen Einblick in die Denkweise von Dschihadisten zu entfalten.

Tonia Schüller