Sverre Bagge / Michael H. Gelting / Thomas Lindkvist (Hgg.): Feudalism. New Landscapes of Debate (= The Medieval Countryside; Vol. 5), Turnhout: Brepols 2011, 232 S., ISBN 978-2-5035-3158-8, EUR 80,00
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Stephan Freund: Von den Agilolfingern zu den Karolingern. Bayerns Bischöfe zwischen Kirchenorganisation, Reichsintegration und Karolingischer Reform (700-847), München: C.H.Beck 2004
Das Lehnswesen als Interpretament mittelalterlicher Herrschaftsverhältnisse steckt derzeit in einer tiefen Krise. Ausgelöst wurde diese Krise durch die breit angelegte Monographie von Susan Reynolds, Fiefs and Vassals (1994), die in radikaler Kritik bisheriger Ansichten das ganze Lehnswesen als ein Konstrukt neuzeitlicher Juristen zu erweisen suchte, das der Vielfalt der Erscheinungsformen von Gefolgschaft und Landleihe im Mittelalter nicht gerecht werde. Nach anfänglicher Irritation und Ablehnung ist dieser Ansatz danach insofern fruchtbar gemacht worden, als seither eine ganze Reihe von Studien genauer nach der unterschiedlichen Bedeutung einzelner Elemente des Lehnswesens und nach der Anwendbarkeit des Gesamtmodells gefragt hat.
In diesen Kontext gehört auch eine Tagung, die 2006 im norwegischen Bergen abgehalten wurde und Fachleute aus ganz Europa versammelte. Die gesamteuropäische Perspektive ist das besondere und bislang einzigartige Verdienst des nunmehr vorliegenden Tagungsbandes, reichen doch die zehn Beiträge vom Frankenreich (B. Kasten) über Spanien (A. J. Kosto), Frankreich (D. Barthélemy, H. Débax), Deutschland (G. Althoff), England (J. Hudson), Dänemark (M. H. Gelting), Norwegen (E. Opsahl) und Ungarn (J. M. Bak) bis nach Rumänien (C. Popa-Gorjanu). Vorangestellt ist ein Rückblick von S. Reynolds auf ihr Buch von 1994 mit einer Wiederholung der zentralen Thesen. Allerdings bedienen sich die Autoren jeweils ganz unterschiedlicher Zugangsweisen zu ihrem Gegenstand: So stehen terminologische Studien neben reinen (wenngleich sehr hilfreichen) Forschungsüberblicken, Übersichten über die Überlieferung neben thematisch enger gefassten Spezialuntersuchungen. Auch hat man sich anscheinend nicht auf eine einheitliche Definition des Feudalismus-Begriffs einigen können, so dass neben dem Lehnswesen im engeren Sinn gelegentlich doch auch in beinahe marxistischem Verständnis die Gesamtgesellschaft in den Blick genommen wird. Die eigentlich intendierte Vergleichbarkeit der Untersuchungen zu den einzelnen Ländern wird dadurch merklich eingeschränkt.
Dennoch schält sich als ein zentrales Ergebnis des Bandes heraus, dass es anscheinend in allen Ländern Herrschaftsbeziehungen gegeben hat, die dem Modell des Lehnswesens oder wenigstens einzelnen seiner Elemente ähneln; ob man das dann Feudalismus nennen will, ist vornehmlich eine Definitionsfrage. Gleichzeitig wird aber, ganz im Sinn von S. Reynolds, deutlich, dass das Lehnswesen, so wie es die Verfassungsgeschichtsschreibung des 19. und 20. Jahrhunderts verstanden hat, ein allzu rigides Beschreibungsmodell abgibt, oder mit den Worten von C. Popa-Gorjanu beim Verständnis mittelalterlicher Phänomene eher hinderlich als hilfreich ist (232).
Im Jahr 2006 war eine solche Aussage noch keineswegs banal; sogar in Bergen gab es noch einzelne Fachvertreter, die durchaus an den herkömmlichen Auffassungen festhalten wollten. Inzwischen hat jedoch die Ansicht, dass nur relativ beschränkte Phänomene vornehmlich des Spätmittelalters allein mit Hilfe des Lehnrechts zu verstehen sind, in der Fachwelt weitgehend Akzeptanz gefunden, wenngleich von einem echten Konsens noch keine Rede sein kann. Deshalb ist es bedauerlich, dass die Drucklegung der Tagungsbeiträge sechs Jahre gedauert hat, spiegeln sie doch einen Diskussionsstand, der inzwischen längst nicht mehr aktuell ist - so intensiv ist die Forschung zu diesem Thema in den letzten Jahren geworden! Irritierend ist schließlich auch noch die Aufnahme des Bandes in eine Reihe mit dem Titel The Medieval Countryside, die sich ansonsten der Erforschung ländlicher Gesellschaften verschrieben hat. Damit hat das Thema des vorliegenden wichtigen Buchs nun wirklich nichts zu tun.
Roman Deutinger