Rezension über:

Paul Nawrocki: Der frühe dänische Backsteinbau. Ein Beitrag zur Architekturgeschichte der Waldemarzeit (= Studien zur Backsteinarchitektur; Bd. 9), Berlin: Lukas Verlag 2010, 336 S., ISBN 978-3-86732-096-2, EUR 36,00
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Rezension von:
Christofer Herrmann
Universität Olsztyn
Redaktionelle Betreuung:
Ulrich Fürst
Empfohlene Zitierweise:
Christofer Herrmann: Rezension von: Paul Nawrocki: Der frühe dänische Backsteinbau. Ein Beitrag zur Architekturgeschichte der Waldemarzeit, Berlin: Lukas Verlag 2010, in: sehepunkte 12 (2012), Nr. 12 [15.12.2012], URL: https://www.sehepunkte.de
/2012/12/22083.html


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Paul Nawrocki: Der frühe dänische Backsteinbau

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Seit Ferdinand von Quast (1850) wird in der deutschen Kunstgeschichte über die Anfänge und die Herkunft des frühen Backsteinbaus gestritten, der bald nach der Mitte des 12. Jahrhunderts in mehreren Regionen, insbesondere im Ostseebereich, in Erscheinung trat und in weiten Teilen diese Kulturlandschaft prägte. Dabei bildeten sich zwei gegensätzliche Positionen heraus, die bis heute ihre Verfechter haben. Einerseits steht die schon von Quast begründete Tradition, die den nordeuropäischen Backsteinbau als von Norditalien beeinflusst und ausgelöst betrachtet, während die Gegenpartei für eine aus den Regionen selbst hervorgegangene Entwicklung plädiert. Dazwischen finden sich auch vermittelnde Auffassungen, die die italienische Komponente zwar nicht negieren, ihre Bedeutung aber nur auf eine kleine Zahl von Bauten sowie bestimmte technologische und dekorative Merkmale beschränkt sehen möchten. In der deutschen Kunstgeschichtsschreibung fokussierte sich die Diskussion häufig auf die norddeutschen Backsteingebiete, während man Dänemark nur am Rande behandelte und die dortige Backsteinarchitektur oftmals lediglich als Ableger der deutschen Frühzentren um Jerichow, Ratzeburg und Lübeck ansah.

Paul Nawrocki stellt in seiner Kieler Dissertation die wesentlichen Merkmale sowie die Entwicklung der dänischen Backsteinarchitektur der Romanik zusammenfassend dar und präsentiert die wichtigsten Bauten in einem Katalog. Der in der Einführung etwas sehr pauschalisierte Vorwurf, die deutsche Forschung habe die romanische Frühphase der Backsteinarchitektur nur beiläufig registriert und Dänemark dabei weitgehend übersehen, kann heute in dieser allgemeinen Formulierung jedoch nicht mehr aufrecht erhalten werden. In der letzten Dekade haben mehrere deutsche Forscher sich durchaus intensiv mit den dänischen Bezügen befasst, was der Autor in einigen Fällen offenbar übersehen hat. Trotzdem ist eine Synthese des frühen dänischen Backsteinbaus für einen deutschen Leserkreis sicherlich notwendig und begrüßenswert.

Die Arbeit Nawrockis gliedert sich in zwei Hauptteile: In einer Synthese des dänischen Backsteinbaus der Waldemarzeit werden die wesentlichen historischen, technologischen und dekorativen Merkmale vorgestellt. Im abschließenden Katalogteil finden sich überblicksartige Darstellungen der 29 wichtigsten sakralen Baudenkmäler aus dem dänischen Einflussbereich der Epoche zwischen 1160 und 1230. Der Syntheseteil gibt zunächst eine geografische und historische Übersicht für die Zeit der Herrschaft von Waldemar I. (1157-1182) bis zu Waldemar II. (1202-1241), in der Dänemark (bis zur Niederlage in der Schlacht bei Bornhöved 1227) zu einer die Ostsee beherrschenden Großmacht aufgestiegen war. Parallel dazu entwickelte und verbreitete sich die romanische Backsteinarchitektur in den dänischen Einflussgebieten. Die nachfolgenden grundsätzlichen Ausführungen zur Backsteintechnik und Geschichte wären eigentlich verzichtbar, denn sie wiederholen nur in komprimierter Weise die allgemein bekannten Ansichten der Standardliteratur.

Es folgt der wesentliche Abschnitt der Synthese, in dem die spezifische Formensprache der romanischen Backsteinarchitektur in Dänemark charakterisiert wird, wobei vor allem Seeland im Mittelpunkt des Interesses steht. Dort finden sich die frühesten und bedeutendsten Backsteinbauten: die Zisterzienserklöster Esrom (nur noch archäologisch nachweisbar) und Sorø, die Benediktinerkirche und königliche Grablege in Ringsted sowie der Dom in Roskilde. Der Baubeginn dieser Ursprungsbauten der dänischen Backsteinarchitektur fällt ungefähr in die sechste Dekade des 12. Jahrhunderts und somit in die gleiche Zeit wie die frühen norddeutschen Bauten. Von diesen unterscheidet sich die seeländische Gruppe durch einige Eigenarten, die vor allem bei der Pfeilergestaltung erkennbar sind. Als Leitmotiv der Backsteinkirchen in Seeland gilt das Trapezkapitell, das sich in den übrigen Architekturlandschaften des Ostseeraums nicht nachweisen lässt. Die frühen und formal eigenständigen Backsteinsteinkirchen in Seeland sind ein Beleg für das polyzentrische Auftreten der neuen Bauweise im nordöstlichen Europa. Bei der Frage, ob auch in Dänemark der lombardische Einfluss als ausschlaggebender Impuls angesehen werden muss, zeigt sich Nawrocki als Vertreter der vermittelnden Haltung. Er sieht zwar Verbindungen nach Italien, lässt aber auch die Gegenargumente nicht außer Acht. So fehlen in Seeland etwa die für Italien und die norddeutschen Backsteinbauten so typischen Kreuzbogenfriese und auch aus historischer Sicht waren die dänischen Verbindungen zu Norditalien in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts weit weniger ausgeprägt als im staufischen Deutschland. Insgesamt ist die Argumentationsweise Nawrockis ausgewogen, er referiert bei strittigen Standpunkten die unterschiedlichen Argumentationsweisen recht ausführlich und bietet dem Leser dadurch die Möglichkeit, sich seine eigene Meinung zu bilden.

Der anschließende Katalogteil beschränkt sich im Wesentlichen auf die großen Sakralbauten, ländliche Kirchen sind nur in kleiner Zahl berücksichtigt, und Profanbauten kommen gar nicht vor.

Einige formale und inhaltliche Kritikpunkte muss sich die Arbeit gefallen lassen: Da der Publikationstitel beansprucht, sich allgemein mit dem frühen Backsteinbau in Dänemark zu befassen, hätte auch die Profanarchitektur - selbst wenn sich aus der Frühzeit nur wenige Bauten erhalten haben - eingehender besprochen werden müssen. Dies gilt etwa für den gewaltigen Backsteinsteinturm der Burg Stolpe ("Grüttpott") an der Oder, der von Jens Christian Holst mit guten Argumenten als eine dänische Grenzbefestigung der Waldemarszeit interpretiert worden ist. Weder das Objekt selbst noch die Forschungen von Holst werden jedoch vom Autor erwähnt.

Auch bei anderen wichtigen Bauten hat Nawrocki die aktuellen Forschungen von Holst nicht berücksichtigt, etwa zur Marienkirche in Bergen auf Rügen (als PDF im Internet frei zugänglich) und zum Kloster Eldena. Selbst wenn die Ergebnisse zu Eldena noch nicht publiziert sind, so sollten die jahrelangen intensiven Bemühungen der Bauforschung allen Backsteinforschern der Region bekannt sein. Für eine Dissertation zu diesem Thema muss man erwarten können, dass sich der Autor um Informationen aus der aktuellen Forschung bemüht und sich nicht nur auf die Vorkriegsliteratur beschränkt. Ähnliches gilt für die heute in Polen liegenden Zisterzienserklöster in Kolbatz und Oliva. Hier hat der Autor die polnische Forschungsliteratur gänzlich unbeachtet gelassen; dies ist für das Niveau einer Dissertation nicht akzeptabel.

Den heute modischen Interpretationsmustern folgend, werden von Nawrocki mitunter angeblich politische Hintergründe bei der Verbreitung von architektonischen Merkmalen der Backsteinarchitektur überbetont. Dies zeigt sich etwa bei dem am weitesten östlich gelegenen Ausläufer der seeländischen Architekturtradition, der Zisterzienserkirche in Oliva in Pommerellen. Die dänischen Elemente an dieser Klosterkirche sind doch ganz offensichtlich Ergebnis von Werkstattbeziehungen innerhalb der Zisterzienserfiliation Esrom/Sorø - Kolbatz - Oliva. Mutmaßungen über nicht belegbare politische Motive der pommerellischen Herzöge sind hier fehl am Platz.

Zu Kritik Anlass gibt auch die Bildausstattung des Bandes. 120 Abbildungen sind für ein architekturhistorisches Werk mit umfangreichem Katalogteil zu wenig. Viele der im Text beschriebenen Baudetails sind nicht abgebildet, was dem Leser das Verständnis des Geschriebenen erschwert. Wenn ein im Text erwähntes Element als Bild vorhanden ist, dann häufig nicht an der Stelle des Textes, sodass man ständig hin und her blättern muss. Bei den Abbildungen handelt es sich überwiegend um Pläne oder Zeichnungen aus der älteren Literatur. Die Zahl aussagekräftiger Fotos ist gering, ihre Qualität häufig nicht publikationswürdig. Man vermisst außerdem analytische Karten, in denen die Verbreitung und Konzentration der wesentlichen Architekturmerkmale nachvollziehbar dargestellt werden.

Trotz der genannten Schwächen ist der Band allen an der mittelalterlichen Backsteinarchitektur Interessierten als Lektüre zu empfehlen, denn er gibt einen zuverlässigen Überblick für den dänischen Bereich der Frühzeit, eines der Entstehungszentren der neuen Bauweise. Die abwägende Argumentation des Autors erlaubt es dem Leser, sich ein ausgewogenes Bild zur Forschungsdiskussion zu machen.

Christofer Herrmann