Janet Burton / Karen Stöber (eds.): The Regular Canons in the Medieval British Isles (= Medieval Church Studies; Vol. 19), Turnhout: Brepols 2011, XVIII + 514 S., 48 s/w-Abb, 3 Tabellen, ISBN 978-2-503-53248-6, EUR 130,00
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Das Wirken der Regularkanoniker - also der Augustinerchorherren, Prämonstratenser und den nur in England wirkenden Gilbertinern - in England, Wales, Schottland und Irland steht im Mittelpunkt der insgesamt 22 Beiträge. Die Häuser, insgesamt rund 145 in England, 26 in Irland und je zehn in Schottland und Wales, hatten ihren größten Einfluss im 12. und 13. Jahrhundert, zugleich lassen sich gewisse räumliche Konzentrationen festmachen (siehe Karten S. 13-16). Viele von ihnen, wie etwa in Wales, sind klein geblieben. Ihre außergewöhnliche Stellung zwischen Kloster und Welt machte die Säkularkanoniker für Könige, Bischöfe und den Ritteradel interessant. Die Übertragung von Pfarreien sicherte den Schenkern wie den Beschenkten einen großen, nicht nur seelsorgerischen Einfluss auf einzelne Gemeinden. König Heinrich I. (1100-1135) unterstützte 43 Gründungen - davon zehn allein in Northumbria - und beeinflusste noch sieben weitere. Reform und Kontinuität waren die Stichworte, die auf fruchtbaren Boden bei den Schenkern fielen. Die Umwandlung von Säkular- in Regularkanoniker sowie die Übernahme bereits verlassener oder dahinsiechender Häuser erweckten sowohl bei Bischöfen als auch beim Laienadel ein erhöhtes Interesse an Unterstützung, handelten die Kanoniker doch in der Laienwelt, neben der Seelsorge eben auch bei der Unterstützung von Kranken und Armen. Allerdings waren nicht in jedem Fall die Absichten der Patrone mit jenen der Chorherren identisch, was zugleich, am Beispiel Northumbria aufgezeigt, auf ein allgemeines Quellenproblem hinweist (Anne Mathers-Lawrence). In vielen Fällen wirkten die Niederlassungen, zusammen mit den Burgen der Donatoren, als regionale Zentren, besonders eindrucksvoll in städtearmen Gebieten (in Irland wie in England). Daher ist die Rekonstruktion nur noch teilweise vorhandener Kirchenbauten ein Beitrag zur Entwicklung der Kulturlandschaft (Jennifer S. Alexander). Der Einfluss der Laienfrömmigkeit auf jene der Regularkanoniker wird am Beispiel eines Prälaten verdeutlicht, wobei auf dieser Ebene die Verbindung von Stift / Kloster und Welt klar zutage tritt (Martin Heale). Die engen Beziehungen zwischen einer Niederadelsfamilie, auch von dem Zweig der Angeheirateten, und einer Niederlassung demonstrieren Familienloyalität und wirtschaftliche Verflechtungen in augenfälliger Weise (Emma Cavell).
Die Beiträge konzentrieren sich auf folgende Bereiche: Gründungsintentionen - Aspekte des Gemeinschaftslebens - Soziale Kontakte - Kulturelles Leben. Dabei spielte in allen Bereichen die Regel und deren Auslegung eine wichtige Rolle. Die ordines der Gilbertiner haben dabei eine "gemischte" Identität aufzuweisen; sie sind von den Texten der sog. Augustinusregel wie der Zisterzienser abhängig (Janet T. Sorrentino). Die Frage nach einem "Idealplan" der Doppelklosteranlagen der Gilbertiner wird anhand archäologischer Untersuchungen in Sempringham diskutiert (Glyn Coppack). Einer der wenigen Beiträge, die sich mit der inneren Situation eines Stiftes befassen, ist jener über Aufstiegschancen angehender Prälaten (in einer ausgewählten Niederlassung), wobei der geistige Aspekt eine wichtige Rolle zu spielen scheint (Judith A. Frost).
Augenfällig bei vielen Niederlassungen ist die Vernetzung mit dem regionalen Adel und damit auch mit der lokalen Geschichte. Die Regularkanoniker haben - die folgenden Beispiele von Heiligen werden es u.a. zeigen - einen Beitrag zur Ausbildung regionaler Identität der Bevölkerung geleistet (Karen Stöber). Dazu gehört die Anbindung von Wohltätern, Bediensteten und Pfarrern an die Niederlassung mit Hilfe von Naturalpensionen im Alter, welche die Kanoniker vor einige Finanzierungsprobleme stellten (Allison D. Fizzard). Eine andere Art von Verbindung zwischen Kanonikern und Laien war der Austausch von Lebensmittelgeschenken, besonders im städtischen Milieu (Dave Postles), der Vertrautheit, aber auch Hilfe in schwieriger ökonomischer Situation mit sich brachte.
Im Selbstverständnis eines Kanonikerstifts spielten Heilige als spirituelle Beschützer wie als Anziehungspunkte für Pilger eine große Rolle. St. Gregory's Priory in Canterbury versuchte sein Ansehen mit Hilfe angelsächsischer Heiliger zu behaupten, um so Identität, Status und Einkommensquellen, besonders in für die Institution schwierigen Zeiten, zu sichern (Sheila Sweetinburgh). Heilige, wie etwa St. Wulfad, St. Werburgh und St. Milburga - alles Personen, die mit dem Königshaus von Mercia in Verbindung stehen -, sicherten damit die religiösen Identitäten der Bevölkerung an alten Kultplätzen; ihre Bewahrung durch Augustinerchorherren leistete auch einen Beitrag beim Übergang vom angelsächsischen Herrscherhaus zum neuen anglonormannischen (Andrew Abram).
Derartige Phänomene lassen sich in vielen geistlichen Institutionen nachweisen, spezifischer für die Regularkanoniker dürfte jedoch die Einbindung in Diözesanreformen und die Ausweitung des (erz-)bischöflichen Einflusses gewesen sein. Die Verbesserung der Versorgung von Pfarreien wird ebenfalls immer wieder hervorgehoben. Der hohe Anteil von Pfarreien am Gesamtbesitz und die daraus erwachsenden Einnahmen sind bei Regularkanonikern - im Vergleich zu Benediktinern und Zisterziensern - ebenso augenfällig wie die Bemühungen um den Erhalt bzw. den Ausbau dieses besonderen Besitzes (Nick Nichols). Als Priester konnten die Kanoniker gestiftete Messen halten, was bei Mönchen in der Regel nicht der Fall war. Deshalb waren sie auch noch im 14. Jahrhundert sehr beliebt, weil die Kanoniker damit besser auf die Wünsche der Schenker eingehen konnten (Graham St John). Allerdings zeigen sich in England - wie in deutschen Landen [1] - erhebliche Schwierigkeiten, in der Pfarrseelsorge aktive Regularkanoniker nachzuweisen (Janet Burton) und dieses Phänomen zeitlich näher einzugrenzen. Die eigene Seelsorge wird, wie etwa für Wales, konstatiert und wegen der schwierigen wirtschaftlichen Lage auch verständlich gemacht, wirkliche Beweise sind hier jedoch schwer anzuführen (Karen Stöber). In Schottland haben die Regularkanoniker am Aufbau eines dichteren Pfarreisystems mitgewirkt und offiziell auch die Verantwortung für die Seelsorge übernommen (Andrew T. Smith / Garret B. Ratcliff). Doch haben sie diese auch persönlich ausgeübt oder eher an Vikare delegiert? Die bereits erwähnten Pensionen wurden von englischen Kanonikerstiften auch an Säkularpriester ausgezahlt, die in den Pfarreien die Seelsorge ausübten (Allison D. Fizzard). Immerhin hat ein Prämonstratenser aus dem 15. Jahrhundert, der Aufzeichnungen hinterlassen hat, in England aktive Pfarrseelsorge betrieben (Martin Heale), er dürfte (hoffentlich) keine Ausnahme gewesen sein. Ähnliches gilt für die Seelsorgetätigkeit der Prämonstratenser in Irland (Miriam Clyne). Letztere kamen zu einem Zeitpunkt, als sich Kirchenreformanstrengungen (Erzbischof Malachias von Armagh) mit den angelsächsischen Eroberungen im Osten der Insel überschnitten, wobei Prämonstratenser im englischen wie gälischen Teil zu finden sind. Inwieweit hier ethnische Unterschiede zum Tragen kamen, müsste noch genauer untersucht werden (Tadhg O'Keeffe). In Irland wie in England haben Regularkanoniker im Übrigen auch Hospitäler unterhalten.
Auf intellektuellem Gebiet lassen sich viele Leistungen der Regularkanoniker aufzeigen, jedoch wird es schwierig, Spezifika der 'black' und 'white canons' zu umreißen. Bücherlisten bzw. -kataloge geben Auskunft über die Interessensgebiete (James G. Clark). Dies gilt auch für Kompilationen einzelner Kanoniker, die häufig für die Lehre eingesetzt worden sind. Auch ohne eigenes Ordensstudium war der Gang zu Universitäten, besonders nach Oxford, für viele Regularkanoniker attraktiv. Obwohl die immer wieder apostrophierte besondere Nähe zur normalen Welt etwas Anderes erwarten ließe, so scheinen die Augustinerchorherren nicht stärker im Bildungsbereich aktiv gewesen zu sein als etwa die Benediktiner (Nicholas Orme). Das Ende der Kanonikerstifte kam mit der meist erzwungenen Auflösung der Häuser 1536-1539, wobei die in Aussicht gestellten staatlichen Pensionen viele Prälaten zum Austritt bewogen (Claire Cross).
Der vorliegende Band nimmt ein Thema auf, das lange Zeit auf den Britischen Inseln eher marginal behandelt worden ist. Negative Urteile der bisherigen Forschung (bes. David Knowles) haben mit zu diesem Umstand beigetragen. Einen vergleichbaren landesweiten Überblick für die Situation in Frankreich und einigen Nachbarregionen hat Michel Parisse jüngst vorgelegt. [2] Damit treten die Regularkanoniker in ihrem europaweiten Wirken deutlicher hervor, wenn man etwa noch die Arbeiten von Ursula Vones-Liebenstein zu St. Ruf in Spanien und Cristina Andenna zu den Kanonikern in Mortara in Italien mit heranzieht. [3] Einschränkend muss gesagt werden, dass eine Aufsatzsammlung - wie die hier vorliegende - zwar viele Aspekte stiftischen oder monastischen Lebens ansprechen und damit zur wissenschaftlichen Diskussion anregen kann, eine Gesamtdarstellung allerdings kann sie nicht ersetzen. Diese muss noch geschrieben werden.
Anmerkungen:
[1] Helmut Flachenecker: Consuetudines und Seelsorge. Zum Selbstverständnis der Prämonstratenser, in: Gerd Melville / Anne Müller (Hgg.): Regula Sancti Augustini. Normative Grundlage differenter Verbände im Mittelalter (Publikationen der Akademie der Augustiner-Chorherren von Windesheim; 3), Paring 2002, 295-333.
[2] Michel Parisse (éd.): Les Chanoines Réguliers: Émergence et expansion (XIe - XIIIe siècles), Le Puy 2009.
[3] Ursula Vones-Liebenstein: Saint Ruf und Spanien. Studien zur Verbreitung und zum Wirken der Regularkanoniker von Saint-Ruf in Avignon auf der iberischen Halbinsel (11. und 12. Jahrhundert), Turnhout 1996; Cristina Andenna: Mortariensis ecclesia: Una congregazione di canonici in Italia settentrionale tra XI e XII secolo, Münster 2007.
Helmut Flachenecker