Rezension über:

David E. Coke / Alan Borg: Vauxhall Gardens. A History, New Haven / London: Yale University Press 2011, XIV + 473 S., zahlreiche Farbabb., ISBN 978-0-300-17382-6, GBP 55,00
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Rezension von:
Eckhart Hellmuth
München
Redaktionelle Betreuung:
Peter Helmberger
Empfohlene Zitierweise:
Eckhart Hellmuth: Rezension von: David E. Coke / Alan Borg: Vauxhall Gardens. A History, New Haven / London: Yale University Press 2011, in: sehepunkte 13 (2013), Nr. 2 [15.02.2013], URL: https://www.sehepunkte.de
/2013/02/19519.html


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David E. Coke / Alan Borg: Vauxhall Gardens

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Als der Göttinger Gelehrte Georg Christoph Lichtenberg im Sommer 1774 London durchstreifte, ließ er es sich nicht entgehen, eine der großen Attraktionen der fast achthunderttausend Einwohner zählenden Metropole aufzusuchen: die nicht weit von Westminster am südlichen Ufer der Themse liegenden Pleasure Gardens von Vauxhall. Vauxhall war neben Ranelagh und Marylebone der prominenteste und zugleich größte der Londoner Pleasure Gardens. Lichtenberg war von der Melange aus Kommerz und Kultur, aus Zivilisiertheit und Vulgarität, aus leiblichen und geistigen Genüssen, auf die er an diesem Orte stieß, irritiert und fasziniert. So erregte er sich einerseits über Taschendiebe und Prostituierte, die in Vauxhall Gardens ihrem Geschäft nachgingen, gleichzeitig stand er voller Bewunderung vor der "Statue des deutschen Tonkünstlers Hendel". Bei dieser Statue handelte es sich um das berühmte, heute im Londoner Victoria and Albert Museum zu sehende Händel-Monument des französischen Bildhauers Louis François Roubiliac, das Zeitgenossen des 18. Jahrhunderts nicht zuletzt deswegen beeindruckte, weil es den Komponisten in privatester Manier in Hausmantel und Nachtmütze zeigte. Jonathan Tyers, der Vauxhall Gardens über fast vierzig Jahre betrieb, hatte dieses marmorne Kunstwerk 1738 in Auftrag gegeben. Seine Aufstellung in Vauxhall Gardens war Teil eines Projektes, mit dem Tyers den größten der Londoner Pleasure Gardens zwischen 1729 und 1767 zu einer einzigartigen Erlebnislandschaft ausgestaltete. Dieses Projekt des Jonathan Tyers steht im Mittelpunkt dieses großartigen, üppig ausgestatteten Werkes von David Coke und Alan Borg. Zwar mangelt es nicht an Arbeiten, die sich dieses Gegenstandes aus unterschiedlichen Perspektiven annehmen, aber nirgendwo findet man diese Fülle an Informationen in Text und Bild wie in dem vorliegenden Band.

Tyers war Vieles: Geschäftsmann, Impresario, Gastronom, Förderer der Künste, Immobilienunternehmer. Und er unterwarf Vauxhall Gardens, wie Coke und Borg mit ihrer bewundernswert detaillierten Rekonstruktion des Tyerschen Regimentes belegen, einem Prozess der permanenten Erneuerung. So errichtete er in der weitläufigen, von Flanierwegen durchzogenen Parklandschaft eine Reihe von Gebäuden, deren Architektur und Ausstattung aktuellstem Geschmack entsprachen. Sie boten nicht nur Schutz vor widriger Witterung, sie waren zugleich der Rahmen, in dem Tyers sein ambitioniertes "Kulturprogramm" in Szene setzen konnte. U.a. ließ er die sogenannten supper boxes, in denen die wohlhabenden Besucher dinierten, von Malern wie Francis Hayman und William Hogarth ausmalen. Mit einiger Berechtigung hat man denn auch in diesem Zusammenhang von der ersten öffentlichen Gemäldegalerie Großbritanniens gesprochen. Folglich widmen Cole und Borg der bildenden Kunst in Vauxhall Gardens ein umfangreiches Kapitel. Ebenso tun sie dies für das reichhaltige Musikleben. Tyers unterhielt ein eigenes Orchester, engagierte führende Vokalsolisten und versicherte sich der Dienste prominenter Komponisten wie Thomas Arne und Georg Friedrich Händel. Bezeichnenderweise fand die Generalprobe zu Händels Music for the Royal Fireworks vor mehreren tausend Zuhörern in Vauxhall Gardens statt.

Tyers Engagement für Musik und bildende Kunst war kein uneigennütziges Mäzenatentum, sondern Teil einer ausgeklügelten Geschäftsstrategie, mit der Kunden in das nur gegen Eintritt zugängliche Gesamtkunstwerk gelockt werden sollten. Denn Tyers war vor allem Geschäftsmann. In einem der faszinierendsten Kapitel des gesamten Werkes, das den Titel 'The Complicated Machine': Vauxhall Gardens as a Business trägt, wird beschrieben, mit welchen Praktiken er sein Unternehmen zu einem hochprofitablen machte. Dazu gehörten u.a. aufwändige Werbekampagnen, eine subtile Preispolitik und die Etablierung eines hochgradig durchorganisierten Gastronomiebetriebes, der es erlaubte, in Spitzenzeiten bis zu 7000 Personen zu bewirten. Zum Faszinosum wurde für Besucher vor allem auch das aufwändige, aus Tausenden von Lampen bestehende Beleuchtungssystem, das Wege und Grünanlagen illuminierte. Allerdings lagen in Vauxhall Gardens Licht und Schatten nahe beieinander. Denn es gab auch einen nichtilluminierten Teil des Gartens, die sogenannten Dark Walks, auf denen weibliche und männliche Prostituierte ihrem Gewerbe nachgingen. Und diese Sex Worker gehörten genauso zum sozialen Inventar wie Mitglieder der königlichen Familie, der Aristokratie, der gentry oder der urbanen middling classes. Vauxhall Gardens war gleichsam eine Art Mikrokosmos der englischen Gesellschaft des 18. Jahrhunderts.

Cole und Borg beschränken sich in ihrer Darstellung nun nicht nur auf die Blütezeit von Vauxhall Gardens, die aufs Engste mit dem Namen von Jonathan Tyers verbunden ist, vielmehr zeichnen sie auch den Niedergang dieses Unternehmens während der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts nach. Dieser Niedergang verlief nicht gradlinig. Es gab immer wieder Perioden, in denen Vauxhall Gardens prosperierte. Vor allem mit spektakulären Darbietungen (Hochseilakrobatik, Ballonfahrten, Fallschirmabsprüngen, Re-Enactments großer Schlachten, Tierdressuren etc.) suchte man ein neues Publikum zu erschließen. Letztendlich gelang es aber nicht, sich gegenüber der im metropolitanen London aufblühenden Unterhaltungsindustrie zu behaupten. 1859 gingen die Lichter endgültig aus.

Man legt dieses Werk nur zögerlich aus der Hand. Denn Cole und Borg verstehen es auf treffliche Weise, den zunehmend im Banne von Kommerz und Konsum stehenden "Zeitgeist" des langen 18. Jahrhunderts zu verlebendigen. Dazu tragen nicht zuletzt die ca. 300 Abbildungen des Bandes bei. Gelegentlich wünscht man sich bei der Lektüre, dass die beiden Autoren in stärkerem Maße Vauxhall Gardens als soziales Aktionsfeld ins Visier genommen hätten. Solch ein Einwand kann aber nichts daran ändern, dass diese Monografie über ihren engeren Gegenstand hinausragt: sie ist mehr als die Geschichte eines Pleasure Gardens. Sie ist eine Kulturgeschichte Englands en miniature.

Eckhart Hellmuth