Rezension über:

Georg Stöger: Sekundäre Märkte? Zum Wiener und Salzburger Gebrauchtwarenhandel im 17. und 18. Jahrhundert (= Sozial- und wirtschaftshistorische Studien; Bd. 35), München: Oldenbourg 2011, 300 S., ISBN 978-3-486-70536-2, EUR 39,80
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Rezension von:
Heinrich Lang
Otto-Friedrich-Universität, Bamberg
Redaktionelle Betreuung:
Matthias Schnettger
Empfohlene Zitierweise:
Heinrich Lang: Rezension von: Georg Stöger: Sekundäre Märkte? Zum Wiener und Salzburger Gebrauchtwarenhandel im 17. und 18. Jahrhundert, München: Oldenbourg 2011, in: sehepunkte 13 (2013), Nr. 4 [15.04.2013], URL: https://www.sehepunkte.de
/2013/04/20857.html


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Georg Stöger: Sekundäre Märkte?

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Der Handel mit Gebrauchtwaren, der Weiterverkauf oder die Verpfändung von Alltagsgegenständen bzw. ausgemustertem Luxusgut sowie die Reparaturleistungen oder Wiederaufbereitung an Haushaltsgerät und Kleidung umfassen einen ebenso weiten und bedeutenden wie wenig erforschten Bereich des vorindustriellen Wirtschaftens. Zum Teil hängt das bisher eher mangelnd ausgeprägte Interesse der Forschung mit der schwierigen Quellenlage zusammen: Die hohe Relevanz der Mündlichkeit, die methodisch aufwändige Auswertung literarischer bzw. bildlicher Informationen oder die weniger attraktiven Akten städtischer Behörden schränken die Wahrnehmung und Analyse sekundärer Warenkreisläufe der Alltagsökonomien empfindlich ein. Zudem stehen bislang eher Neuwaren, höherwertige Objekte, Fernhandelsgüter und Produktion sowie Fertigung im Mittelpunkt des wissenschaftlichen Interesses. Dabei weist gerade das wirtschaftliche Feld gebrauchter Waren wesentliche Erkenntnisse zur Transformation von Märkten und zum Entstehen der europäischen Konsumgesellschaft auf.

Georg Stöger hat sich in einer feinfühlig und differenzierend erarbeiteten Dissertation dem weiten Bereich des Gebrauchtwarenhandels im urbanen Raum zweier unterschiedlicher Stadttypen - Wien und Salzburg - in der Zeit nach dem Dreißigjährigen Krieg bis zu den institutionellen Veränderungen des 19. Jahrhunderts zugewandt. Auf der Grundlage insbesondere der reaktiv ausgelegten, magistratsbehördlichen Akten hat er einen umfassenden Eindruck von sekundären Warenkreisläufen und ihren Akteuren entstehen lassen. Vielfach sah er sich gezwungen, auf Publikationen zu England, Paris und Italien sowie die ältere Forschung zurückzugreifen; denn nur wenige Autoren haben sich mit dem Recycling von Waren oder dem kleinen städtischen Gewerbe beschäftigt. Unter dem Titel "sekundäre Märkte" - eigentlich "secondary markets" oder auch "aftermarkets" - spürt Stöger der Materialität, den Praktiken, den Reglementierungen und den Verflechtungen des vorindustriellen Gebrauchtwarenhandels nach. Auf diese Weise unternimmt er einen weitgehend gelungenen Versuch, die bisherige Lücke mit Leben zu füllen.

In einem ersten Abschnitt untersucht Stöger die im deutschen Sprachraum als Trödel oder Tand bezeichneten Produkte und ihre Vertriebswege: Dabei zeigt sich, dass es kaum zu Spezialisierungen auf bestimmte Warengruppen kam und eine ökonomisch, räumlich wie personell nicht-trennbare "Koexistenz" von Neu- und Gebrauchtwarenmärkten das allgemeine Bild prägte. Die gebrauchten Waren, die weiterverkauft oder aufbereitet wurden, stammten aus vielfältigen Zusammenhängen, wobei Gebrauchtwarenhändler oft auch als Verkaufsvermittler fungierten oder etwa in Wien die als jüdisch konnotierten "Trödlergesellschaften" bei Versteigerungen eine Konkurrenz zu den Gilden bildeten. In großen Städten traf man auf teilweise temporäre oder saisonale Tandlermärkte (in Wien an mehreren Wochentagen im 17.-19. Jahrhundert), ebenso konnten gebrauchte Waren in Läden, Verkaufsständen oder im ambulanten Handel erworben werden.

Regulierung und Transaktionsfelder der Gebrauchtwarenmärkte stehen im Blickpunkt eines weiteren Abschnitts der Untersuchung. Der Zugang zu sekundären Märkten wurde von der Obrigkeit über die gebührenpflichtige Erteilung von personal vergebenen Berechtigungen gesteuert - ein Verfahren, das im Wien des 17. Jahrhunderts mit der Erscheinung des "bürgerlichen Tandlers" unter der Aufsicht des städtischen Magistrats realisiert worden war. Vor allem für Wien lässt sich im Verlauf des 18. Jahrhunderts mit zunehmenden gewerblichen Differenzierungstendenzen eine merkliche Zunahme der schriftlichen Regelungen beobachten; die beiden erhaltenen Ordnungen - die Wiener "Tandler-Ordnung" von 1623 und der auf umfangreiche Vorarbeiten zurückgreifende Gewerbe-Artikel der "bürgerlichen Vorstadttandler" von 1748 - sind auch als Anhänge abgedruckt (15.1 und 15.2). Die aufbrechenden Konfliktfelder wie etwa zwischen den mit Gewerbelizenz ausgestatteten "Bandlstandlweibern" und den "bürgerlichen Stadttandlern" um diverse Warengruppen und Kommissionsverkäufe führen die vorherrschenden Grauzonen vor Augen. Auch schwierig abzusondernde Bereiche wie die Hehlerei oder umstrittene Kompetenzen zur Preisbildung trugen dazu bei, dass die Händler-Kundenbeziehungen im Gebrauchtwarenhandel oft verengend einseitig und kritisch bewertet wurden. Während Stöger stichprobenartige Quantifizierungen von Händlerzahlen oder Gütervolumina einfügt, markiert er als allgemeine Tendenz die ansteigende Konjunktur des Gebrauchtwarenhandels mit Anwachsen der städtischen Unterschichten.

Ein dritter Teil der Dissertation beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit den Akteuren auf den Gebrauchtwarenmärkten, den Händlerinnen und Händlern sowie der Kundschaft und ihren Konsummustern. Der Handel auf sekundären Märkten bot sich insbesondere Soldaten und Angehörigen, aber auch Migranten an. In Salzburg wurden die Konzessionen bis in die Mitte des 18. Jahrhunderts innerfamiliär weitergegeben. Frauen bemühten sich um Lizenzen für den Hinzuverdienst. Durch die Rekonstruktion von Haushaltsausgaben zeigt sich der Gebrauchtwarenhandel als vergleichbar mit Massenhandwerken wie im Bekleidungssektor, allerdings oft in wirtschaftlich prekären sozialen Situationen. Zwar trat in Wien eine Bruderschaft für Gebrauchtwarenhändler auf, doch kann für den Untersuchungszeitraum keine besonders ausgeprägte korporative Aktivität dieses Wirtschaftszweiges festgestellt werden. Der wichtigste Kundenkreis erstreckte sich über die städtische Unterschicht, während für die Kunden aus Mittel- und Oberschicht die Reparatur von Kleidung im Vordergrund stand. Der Gebrauchtwarenhandel zeichnete sich durch hohe Flexibilität, ein breites Warensortiment zu unterschiedlichen Qualitäten und Preisen sowie Konkurrenz zur Billigproduktion aus. Insbesondere die Pfandleihe behauptete sich als Bestandteil sekundärer Märkte, so dass weite Teile der Stadtbevölkerung mit Kleinkrediten versorgt werden konnten: Nach dem Vorbild des Amsterdamer Leihauses richtete man 1707 in Wien (nach Vertreibung der Juden) und 1747 in Salzburg Pfandleihstellen ein.

Ein abschließendes Kapitel wendet sich "Dimensionen der Wahrnehmung" zu, wobei es sich aufgrund mangelnder Selbstzeugnisse kaum um die Darstellung der Eigenwahrnehmung handelt. In der Außenperspektive deutete man Tandelmärkte zunehmend als nicht-repräsentative Orte. Überdies überzogen Beobachter jüdische Händler oder Frauen mit Negativstereotypen oder behandelten den Gebrauchtwarenhandel auf diskursiver Ebene als Hehlerei. In einer Zusammenfassung leuchtet Stöger weitere Forschungsdesiderate - ländlicher Gebrauchtwarenhandel, Tätigkeitsfelder von "Exkludierten" oder die systematische Untersuchung von Konsummustern von Gebrauchtem - aus.

Stöger gelingt eine erfreuliche Pionierleistung, indem er erste Marksteine für eine Geschichte sekundärer Märkte setzt. Das Fragezeichen im Titel der Monographie will vor allem auf die unterschätzte Bedeutung des Gebrauchtwarenhandels hinweisen, der allerdings mit Blick auf den Kundenkreis der städtischen Unterschichten annähernd zwei Drittel der Bevölkerung betraf. Er bettet seine Analyse gekonnt in die bisherige Forschungslandschaft ein und versucht sich - meistenteils überzeugend - in quantitativen Ansätzen, um die Reichweite sekundärer Märkte abschätzbar zu machen. Dieser Arbeit ist in besonderem Maße eine wirtschaftshistorisch beschlagene Leserschaft zu wünschen, denn ihre Ergebnisse lassen die "primären Märkte" nicht minder in relativierender Perspektive erscheinen.

Heinrich Lang