Rezension über:

Jan-Friedrich Mißfelder: Das Andere der Monarchie. La Rochelle und die Idee der "monarchie absolue" in Frankreich, 1568-1630 (= Pariser Historische Studien; Bd. 97), München: Oldenbourg 2012, VIII + 364 S., 10 s/w-Abb., ISBN 978-3-486-70480-8, EUR 44,80
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Rezension von:
Mona Garloff
Historisches Institut, Universität Stuttgart
Redaktionelle Betreuung:
Sebastian Becker / Matthias Schnettger
Empfohlene Zitierweise:
Mona Garloff: Rezension von: Jan-Friedrich Mißfelder: Das Andere der Monarchie. La Rochelle und die Idee der "monarchie absolue" in Frankreich, 1568-1630, München: Oldenbourg 2012, in: sehepunkte 13 (2013), Nr. 4 [15.04.2013], URL: https://www.sehepunkte.de
/2013/04/21332.html


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Jan-Friedrich Mißfelder: Das Andere der Monarchie

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Aufgrund seiner exponierten Lage an der Atlantikküste nahm La Rochelle seit seiner Gründung eine Sonderrolle im französischen Königreich ein: Als wichtigste Hafenstadt am Atlantik war ihr im 12. Jahrhundert das freie Stadtrecht verliehen worden, das für die bonnes villes des Königreichs Selbstverwaltungsrechte und eine eigene Gerichtsbarkeit mit sich brachte. Die Abwesenheit von Lehnsherren, Bischöfen und das Fehlen eines Parlaments, der Seehandel sowie die engen Verbindungen der Bevölkerung zu Korsaren und ihre Beteiligung an der Piraterie hatten in La Rochelle ein Bewusstsein städtischer Autonomie gefördert. Die Verteidigung des reformierten Glaubens verband sich für die Rochellois mit einem Kampf für die Wahrung dieses städtischen Autonomieanspruches. Die Spannungen zwischen der Stadt und der französischen Krone eskalierten zwischen 1568 und 1628 in drei Krisenphasen, die im Mittelpunkt der Dissertation von Jan-Friedrich Mißfelder stehen.

La Rochelle, das 1568 offen für die Reformierten Partei ergriffen hatte und zu einem Zufluchtsort der reformierten Elite (d'Albret, Condé, Coligny) geworden war, wurde im ersten Akt eines "Theaters des Gehorsams" (128) 1573 von einem Großaufgebot des königlichen Heeres belagert. Das baldige Scheitern der Einnahme beflügelte den Glauben der Rochellois an die Unbezwingbarkeit ihrer Stadt. Nach nahezu 50 Jahren relativer Ruhe spitzte sich die Krise infolge verschiedener Feldzüge wieder zu, die Ludwig XIII. 1620-22 gegen die Reformierten in ihren wichtigsten Rückzugsgebieten im Südwesten des Landes unternommen hatte. Neuralgischer Konfliktpunkt wurde die von den protestantischen Heerführern 1620 einberufene assemblée in La Rochelle, die gegen das Verbot verstieß, reformierte politische Versammlungen abzuhalten. Als eines der letzten Zentren des innerfranzösischen Widerstandes sollte die Stadt schließlich 1627/28 in einer großangelegten Belagerungsoffensive zu Land und zu See nach 13 leidvollen Monaten eingenommen werden.

Mißfelder zeigt überzeugend, wie das Feindbild La Rochelles im Zeichen der entstehenden "absoluten Monarchie" mit den changierenden Leitdifferenzen Häresie/Orthodoxie und Rebellion/Gehorsam gefüllt wurde. Bisweilen gerät allerdings in dieser stark innenpolitisch ausgerichteten Analyse die enge Verkopplung mit dem Paradigma außenpolitischer Stärke verloren, mit dem nicht zuletzt Richelieu in seinem Advis nach der Einnahme La Rochelles einen Gegenentwurf zum Feindbild der spanischen Universalmonarchie zu zeichnen suchte.

Der Autor betrachtet die Auseinandersetzungen um La Rochelle und das Bezwingen der rebellischen Küstenstadt als "Paradigma" (9) für die Herausbildung der absoluten Monarchie. Sein Plädoyer für ein weiteres Festhalten am Forschungskonzept "Absolutismus" ist insbesondere deshalb überzeugend, da er an jüngere, stärker praxisorientierte Forschungsperspektiven anschließt. In seiner ideengeschichtlichen Analyse der absolutistischen Herrschaftskonzeption, die politiktheoretische und -praktische Aspekte zusammenführen will, bedient er sich den methodischen Instrumentarien der Cambridge School. Allerdings sind Bedenken angebracht, ob Mißfelders "fokussierende[r] Blick auf La Rochelle" (10) den von ihm geforderten Bezug zur politischen Praxis leisten kann (17f.).

Im ersten Teil der Arbeit untersucht der Autor zentrale politiktheoretische Texte des 16. und 17. Jahrhunderts und zeichnet hier die Herausbildung der konstitutiven Elemente absolutistischer Herrschaft (Souveränität, Gottesgnadentum und Gehorsam versus Widerstand) nach. Die rund sechzigseitige Einführung in die politische Ideengeschichte um 1600 ist überaus klug und präzise, jedoch vermittelt gerade dieser Teil eine weitgehende Orientierung an der Höhenkammliteratur, die dem Leser mit den Souveränitätsvorstellungen Bodins oder der monarchomachischen Widerstandslehre in ihren Grundzügen bekannt sein dürfte. In einem zweiten Teil beabsichtigt Mißfelder, die politiktheoretische Ebene mit einer Analyse der Herausbildung der absolutistischen Herrschaftspraxis zu verschränken, indem er die drei beschriebenen Konfliktphasen zwischen La Rochelle und der Krone in den Blick nimmt. Hier kommt ein weiter Begriff politiktheoretischer Quellen zum Tragen, da der Autor zu ihnen auch "Randgebiete" (309) wie die Flugschriftenpublizistik, Panegyrika und Bildquellen zählt. Es ist insbesondere diesem auf die Printmedien beschränkten Korpus geschuldet, dass Mißfelder nur eine sehr eingeschränkte, auf klassischer Ideengeschichte basierende Analyse der politischen Praxis leisten kann.

Wäre es für eine umfassendere Untersuchung der politischen Praxis des entstehenden absolutistischen Herrschaftswesens nicht gewinnbringend gewesen, den Blick über das gedruckte Quellengut hinaus zu wagen? Gewiss mag die Quellenlage durch Verluste infolge der Belagerungen einseitig sein, dennoch vermittelt die ältere Forschungsliteratur den Eindruck, dass sich auf Grundlage der vorhandenen Bestände beispielsweise die Verhandlungsführung zwischen den Verantwortlichen La Rochelles und der Krone genauer in den Blick nehmen und auf das 'absolutistische Vokabular' hin abtasten ließe. [1] In dieser erweiterten Herangehensweise wären weniger die diskursive Ebene, die aufgrund des meist anonymen Tagesschriftguts Autoren in den Hintergrund treten lässt, als stärker die 'Macher' des Absolutismus in den Fokus gerückt.

In dieser Hinsicht wäre es interessant gewesen, den Blick auch auf die Entwicklungen nach 1628 zu richten und die Integrationsleistungen des französischen Herrschaftsapparates zu untersuchen, erhielten doch führende Kräfte der protestantischen Rebellion wie Rohan und Soubise leitende Positionen in der französischen Armee. Auch der militante Bürgermeister Jean Guiton diente lange Jahre in der königlichen Marine. Eine solche Perspektive hätte ein Stück weit die ideengeschichtliche Orientierung der Arbeit preisgeben müssen, dennoch wäre so die wechselseitige Durchdringung der politiktheoretischen und -praktischen Ebene greifbarer geworden.

Ein weiteres Problem ergibt sich bei einer Untersuchung zum Herausbildungsprozess des Absolutismus durch die ausschließliche Fokussierung auf La Rochelle: Zweifelsohne war die Stadt während der neuralgischen Konfliktphasen 1568-73, 1620-22 und 1627/28 in den Mittelpunkt des politischen Interesses der französischen Krone gerückt, die endgültige Einnahme der Stadt wird von Mißfelder (im Anschluss an ältere Forschungsthesen) als entscheidende Voraussetzung für die Etablierung der absoluten Monarchie betrachtet. Wie jedoch geht eine Studie zur Entstehung des Absolutismus mit jenen rund 50 Jahren um, die zwischen den ersten beiden Krisenphasen lagen? Gerade die politiktheoretischen Schriften des 16. Jahrhunderts weisen eine Vielzahl von Referenzpunkten auf, die über den Interessenkonflikt der französischen Krone und der Stadtautonomie La Rochelles hinausgehen. Neben diesen Spannungen hatten Ereignisse der 1580er- und 1590er-Jahre wie die Ligakämpfe, die Ermordung Heinrichs III. und die Thronfolge Heinrichs IV. prägenden Einfluss auf die Herausbildung einer absolutistischen Herrschaftskonzeption.

Mißfelders Studie ist durchgängig auf dem aktuellen Stand der Forschung und trotz des forcierten Gebrauchs von Anglizismen angenehm zu lesen. Sie ist in ihrem Ansatz lobenswert, denn nach wie vor fehlen zur französischen Geschichte um 1600 Untersuchungen, die über die so häufig gesetzte Zäsur '1598' hinausgehen und einen Brückenschlag zum Frühabsolutismus unter Ludwig XIII. vornehmen. Dennoch hätte als methodische Grundsatzentscheidung eine weniger theorie- denn akteursorientierte Perspektive die argumentative Überzeugungskraft der Arbeit stärken können.


Anmerkung:

[1] David Parker: La Rochelle and the French Monarchy. Conflict and Order in Seventeenth-Century France, London 1980; Kevin Robbins: City on the Ocean Sea. La Rochelle, 1530-1650, Leiden / New York / Köln 1997.

Mona Garloff