Li Guo: The Performing Arts in Medieval Islam. Shadow Play and Popular Poetry in Ibn Dāniyāl's Mamluk Cairo (= Islamic History and Civilization; Vol. 93), Leiden / Boston: Brill 2011, XI + 240 S., ISBN 978-90-04-21045-5, EUR 99,00
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Die mamlukischen Schattenspielstücke, die der Augenarzt Muhammad Ibn Daniyal (gest. 1310) zu Beginn des 14. Jahrhunderts in Kairo niedergeschrieben hat, gehören neben legendenhaften Erzählzyklen wie die Sirat Baybars sicher zu den faszinierendsten mittelalterlichen Texten einer Kunst, die sich hauptsächlich an das Volk und nicht an die kleine Schicht der Gelehrten richtete. Für den islamischen Raum sind diese Stücke zudem die einzigen Exemplare aus vor-osmanischer Zeit, die auf uns gekommen sind. Obgleich seit geraumer Zeit bekannt, liegt erst seit 1992 eine kritische Edition vor. (Paul Kahle: Three Shadow Plays by Muhammad Ibn Dāniyāl. Prepared for publication by Derek Hopwood and Mustafa Badawi. Cambridge 1992) Über den Autor, von dem neben den Theaterarbeiten noch eine ganze Reihe von Gedichten sowie zwei Abhandlungen über Medizin bzw. den Richterstand erhalten sind, existieren zwar schon kürzere Studien, doch hat sich vor Li Guo niemand an eine umfangreichere Analyse von Ibn Daniyals Leben und Werk gemacht. Mit dem hier zu rezensierenden Buch bekommt der Leser jetzt eine Monographie in die Hand, die allerdings mehr ist als eine bloße Nacherzählung der Biographie des ägyptischen Ophtalmologen. Guo liefert nicht nur eine gelungene historische Kontextualisierung von Ibn Daniyals Vita, sondern er bietet uns auch eine kleine Kulturgeschichte der darstellenden Künste der Zeit (Schattenspiel, Geschichtenerzählen, Dichtung und Gesang) und einen Einblick in die von dem Augenarzt benutzten und weiterentwickelten literarischen Genres. Darüber hinaus findet der Leser die erste vollständige Übersetzung eines der drei Schattenspielstücke in die englische Sprache. Es handelt sich um Ibn Daniyals längstes und komplexestes Stück mit dem Titel Das Phantom. Die Übertragung ist ausgezeichnet gelungen, was sich selbst bei einem Kenner der Materie wie Li Guo nicht von selbst versteht, denn die Texte stellen angesichts des in ihnen vorzufindenden Gemisches aus klassischem Arabisch und dialektalen Passagen, die wiederum nur so strotzen von Anspielungen, Wortspielen, Metaphern, Witzen, Umgangssprache und Argot, jeden Experten vor schier unlösbare philologische Herausforderungen.
Ibn Daniyal, der 1248 in Mosul geboren wurde und 1261 vor den Mongolen nach Kairo floh, wo er den Rest seines Lebens zubrachte, war keine Gelehrter, sondern fungierte neben seiner ärztlichen Tätigkeit in der Öffentlichkeit und bei Hofe als Animateur und Spaßvogel. Er war, wie Li Guo es formuliert: "an outcast who was at the same time well-connected; a 'lowbrow' entertainer who was immensely well-grounded in high culture; a poet whose credits include the definitive panegyric on Egyptian judges and some of the most bawdy verses in Arabic literature; a rebel and yet s sometime member of the Egyptian elite." (VIII)
In den biographischen Quellen der Mamlukenzeit ist Ibn Daniyal nur schwer zu fassen, die Angaben über ihn kommen meist allzu kurz und knapp daher. Eine Ausnahme, die Li Guo zum ersten Mal gründlich auswertet, stellt Ibn Fadl Allah al-Umari (gest. 1349) dar, der ihm in seinem Werk Masalik al-absar fi mamalik al-amsar ein langes und informatives Kapitel gewidmet hat. Die hier enthaltenen Informationen liefern die Grundlage für den ersten Teil des anzuzeigenden Buches. ("Life as a Play", 3-104) Li Guo präsentiert uns die Lebensgeschichte seines Helden geschickt in drei Akten. Zunächst ("Eye Doctor and Street Buffoon", 3-34) geht es um seine ersten Jahre in Kairo, als er als junger Augenarzt und vielversprechender Dichter in der von der Politik Baybars geprägten Hauptstadt des Mamlukenreiches seine Auskommen zu finden suchte. In dem Milieu, in dem Ibn Daniyal sich offenbar bewegte und von dem seine Gedichte handeln, dominierten die vor den Mongolen geflüchteten Migranten aus dem Osten und die Gruppe der Halbweltpersonen, die sich hinter der immer noch recht rätselhaften Bezeichnung "Banu Sasan" verbergen. Es folgt im zweiten Akt ("Court Panegyrist and jester", 35-67) die Darstellung seiner erstaunlichen Karriere, die ihn an den Hof des Sultans führte und ihm die Patronage insbesondere der Qalawunidischen Machthaber einbrachte. Vor allem al-Ashraf Khalil (reg. 1290-3) schenkte ihm seine Gunst. Ibn Daniyals in dieser Zeit entstandenen Panegyrik widmet Li Guo seine besondere Aufmerksamkeit. Diesem Material unterzieht er eine sorgfältige literarische Analyse, die uns vor Augen führt, dass Ibn Daniyal ein Meister seines Faches war und sich in seiner Dichtung überaus innovative Elemente ausmachen lassen. Eine dritte Lebensphase begann für den früheren Arzt, als es zur Entzweiung mit dem Sultan Lajin (reg. 1296-98) und seiner Entfernung vom Hofe kam. ("Satirist and Shadow Playwright", 68-104) ]. Ibn Daniyal schrieb in dieser Zeit zahlreiche anzügliche Spottgedichte auf den anti-qalawunidischen Herrscher. Letztlich entstanden in dieser Phase aber in erster Linie die Texte zu den drei Schattenspielen. Li Guo diskutiert daher an dieser Stelle ausführlich und anschaulich, wie, warum und für wen solche Stücke eigentlich verfasst wurden. Im Jahre 1310 verstarb Ibn Daniyal in Kairo.
Der zweite Teil ("Legacy and Controvercy", 105-156) ordnet Ibn Daniyals Leben und Werk in den Kontext der Unterhaltungsindustrie des mittelalterlichen Kairos ein. Ferner setzt sich der Verf. anhand von vielen Beispielen mit Ibn Daniyals dichterischen und literarischen Fähigkeiten und Fertigkeiten auseinander und widmet sich seiner Stellung in der Geschichte des arabischen Dramas und der arabischen Volksliteratur. Der Autor konzentriert sich auf die Überlieferungsgeschichte der Texte und auf die in ihnen zum Ausdruck gebrachten Fromen von Satire und Humor. Darüber hinaus werden die Probleme einer umgangssprachlichen und dialektal gefärbten Poesie ebenso behandelt wie die in allen seinen literarischen Schriften durchschimmernde Misogamie und Homoerotik. Im Zentrum steht die Frage, ob oder inwieweit Literatur Wirklichkeit abbildet oder widerspiegelt. Li Guos durchaus zu teilender Eindruck ist, dass man Ibn Daniyals Werke mehr oder weniger ausschließlich "as a purely literary discourse about social attitudes and individual mentality" und mehr als "a fantasy created by whimsical impulses than a serious challenge to the moral code" (X) lesen sollten. Aus diesem Grund, so Li Guo, sei Ibn Daniyal auch nicht Gegenstand der Feldzüge gewesen, die in dieser Zeit Ibn Taymiya (gest. 1328) und Ibn al-Hajj (gest. 1336) gegen die, ihrer Meinung nach, weit verbreiteten unlauteren Volksvergnügungen führten.
Die erwähnte Übersetzung des "Phantoms" (157-220) und zwei nützliche Appendices mit Hinweisen zur Manuskriptlage und zu den zeitgenössischen Quellen zum Leben von Ibn Daniyal runden das Buch ab. Li Guo hat ein wunderbares Werk über eine Persönlichkeit vorgelegt, die vor allem deshalb so interessant und spannend ist, weil sie uns tief in die Welt der nicht-gelehrten Unterhaltung einer vormodernen nahöstlichen Gesellschaft einführt. Dennoch bleibt für die Forschung noch einiges zu tun. So sind erst jüngst in Istanbul zwei Manuskripte mit bis dato unbekannten Texten von Ibn Daniyal aufgetaucht, die einer näheren Untersuchung harren: Zum einen handelt es sich um eine urjuza über Medizin (MS Istanbul, Ayasofya 3645), zum anderen um einen Diwan mit 181 Gedichten aus der Feder unseres Augenarztes (MS Istanbul, Ayasofya 4880-1), von denen 90 bisher nicht bekannt waren. Aber auch die restlichen 81 weichen zum Teil erheblich von ihren Gegenstücken in al-Safadis (gest. 1363) Tadhkira ab. Eine kritische Edition seiner Poesie steht noch aus.
Stephan Conermann