Bastian Walter: Informationen, Wissen und Macht. Akteure und Techniken städtischer Außenpolitik: Bern, Straßburg und Basel im Kontext der Burgunderkriege (1468 - 1477) (= Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte. Beihefte; 218), Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2012, 352 S., ISBN 978-3-515-10132-5, EUR 62,00
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Bastian Walter beschäftigt sich in seiner Münsteraner Dissertation mit dem seit einigen Jahrzehnten wieder sehr aktuellen Thema städtischer "Außenpolitik" im späteren Mittelalter. Im Mittelpunkt steht dabei die Frage nach den Strategien der Informationsbeschaffung und -verbreitung dreier oberrheinischer Städte, nämlich Straßburg, Bern und Basel, während der Burgunderkriege, im Wesentlichen also in Jahren zwischen 1468 und 1477. Der Zeitrahmen der Studie ist sinnvoll gewählt, bietet sich mit den Burgunderkriegen doch ein überschaubarer, für die Thematik aber - wie die Arbeit quellennah aufzeigt - besonders ertragreicher Zeitabschnitt. Die Wahl der untersuchten Städte begründet Walter mit deren zwar immer wieder behaupteter, bislang aber noch nicht hinreichend belegter besonderer Bedeutung für das Kriegsgeschehen. Der Autor stellt in dieser Hinsicht die These auf, "dass die besondere Position der Städte wesentlich auf dem hohen Informations- und Wissensstand ihrer Amts- und Funktionsträger basierte" (16) - eine Behauptung, der er unter den Leitbegriffen "Information", "Wissen" und "Macht" nachgeht. Ein Kernproblem der Städte stellte, wie Walter plausibel zeigen kann, dabei die Umwandlung von Informationen in Wissen dar.
Die Arbeit gliedert sich nach einer kurzen Einleitung (8-18), die den historischen Kontext, den Forschungsstand und die Quellenlage umreißt sowie die wichtigsten Leitfragen formuliert, in sechs Hauptkapitel, die jeweils mit einem das Bisherige bündelnden Zwischenfazit beschlossen werden.
Der erste Untersuchungskomplex ist den städtischen Gesandten gewidmet. Dabei werden für alle drei Städte zunächst jeweils die institutionellen Voraussetzungen vorgestellt, bevor einzelne Diplomaten näher betrachtet werden. Besonderes Augenmerk kommt der Ausbildung, den familiären und außerfamiliären Verbindungen sowie dem Expertenwissen einzelner Personen zu. Bemerkenswert ist, dass fast alle städtischen Gesandten über einen kaufmännischen Hintergrund verfügten und daher von vornherein auf Netzwerke in anderen Städten und Regionen zurückgreifen konnten. Diese Personalauswahl kam andererseits wiederum dem wirtschaftlichen Interesse der Städte und ihrer führenden Familien entgegen. So wählten sie ihre Gesandten für die einzelnen Missionen sorgfältig nach deren Fähigkeiten und Beziehungen aus, wofür wiederum bestimmte städtische Gremien zuständig waren.
Im zweiten Großkapitel wird das städtische Kanzleipersonal vorgestellt, wobei der Schwerpunkt einerseits auf den "Wissensträgern" selbst, andererseits auf deren Techniken der Informationsverwaltung liegt. Den Stadtschreibern, die in der Regel aus wohlhabenden Familien stammten, kann man dem Verfasser zufolge - insbesondere durch ihre Ausbildung - oft ein hohes Maß an Mobilität und ein großes Netz von Kontakten zusprechen. Durch ihre Teilnahme an den Ratssitzungen und anderen städtischen Gremien "können Stadtschreiber als die am besten informierten Amtsträger und wichtigsten Informationsverwaltungsorgane der Stadt angesehen werden" (152). Die Städte entlohnten ihre als Wissensträger so wertvollen Stadtschreiber entsprechend großzügig, wie insbesondere das Beispiel des Berner Stadtschreibers Thüring Fricker zeigt. Die untersuchten städtischen Kanzleien wurden unter den Stadtschreibern hinsichtlich ihrer internen Abläufe und Archivierungssysteme mehrfach neu geordnet, woraus sich verschiedene Techniken der Informationsverwaltung ablesen lassen. Insbesondere das aus Briefen gewonnene Wissen ließ sich auf diese Weise optimal zum Vorteil der Stadt nutzen. Sowohl die Rolle der Stadtschreiber gegenüber dem Rat als auch ihre praktischen Funktionen innerhalb der Kanzlei zeugen von dem außerordentlich großen Vertrauen, das ihnen von Seiten des Rates entgegengebracht wurde.
Das dritte Großkapitel gilt den informellen Kontakten und damit auch der informellen Informationsbeschaffung. Walter beschreibt, wie solche informellen Kontakte von Einzelpersonen, städtischen Räten oder Stadtschreibern über familiäre oder anderweitig geknüpfte persönliche Kontakte gepflegt wurden. Ausführlich wird das u.a. am Beispiel des Briefwechsels des Straßburger Stadtschreibers Johannes Meier mit seinem Kollegen aus Metz, Martin von Ingenheim, vorgeführt. Mit der "Stube zum Narren und Distelzwang" wird zudem eine Berner Gesellschaft vorgestellt, bei der man, mit den Worten von Bastian Walter, von einem "Forum informeller Kontakte" sprechen kann (205-210). Durchgehend wird in diesem Kapitel auf die Schwierigkeiten hingewiesen, informelle Kontakte von inoffiziellen zu unterscheiden. Insofern liest sich das Werk auch als illustrativer Beitrag zu den jüngeren Forschungen um den spätmittelalterlichen Öffentlichkeitsbegriff.
Im anschließenden, vierten Großkapitel rücken die Informationsübermittlung und deren Kontrolle durch die städtischen Gremien in den Mittelpunkt der Untersuchung. Hier wird besonderes Augenmerk auf das Botenwesen der Städte gelegt. Auch die Bedeutung von mündlichen und schriftlichen Informationen wird diskutiert.
Eher der okkasionellen Informationsbeschaffung, etwa durch Kaufleute, Wirtshäuser oder Pilger, aber auch durch professionelle, von den Städten in Auftrag gegebene Kundschaftertätigkeit, widmet sich das fünfte Kapitel. Anhand verschiedener städtischer Quellen kann der Autor deren Bedeutung für die Städte insbesondere in Kriegszeiten herausarbeiten.
Das sechste und letzte Großkapitel "Informationen als Währung und Propagandainstrument" thematisiert zunächst eine besondere Quellengattung, nämlich die caedulae inclusae. In einer gründlichen Analyse gelingt es Walter, diesen Quellentypus als ein Instrument der städtischen Führungsgruppen herauszuarbeiten, welches es ihnen ermöglichte, geheime Informationen auszutauschen. Bei allen eingehenden Informationen unterschied man offenbar sehr genau zwischen Gerüchten, Neuigkeiten und Nachrichten, die die Städte an ihre Verbündeten und - mit zeitlicher Verzögerung - an Außenstehende weitergaben.
Die Ergebnisse der Studie werden in einem abschließenden Kapitel gebündelt zusammengeführt. Der Autor knüpft dabei ein Netz zwischen den herausgearbeiteten Akteuren, den Techniken der Informationsvermittlung und deren vielfältigen Voraussetzungen und Bedingungen, um die eingangs gestellte Frage nach der besonderen Bedeutung der Städte während der Burgunderkriege zu beantworten. Dabei schlägt er zugleich einen Bogen zur Rezeption dieser Informationen, die durch ihren Eingang in Chroniken das Bild der Burgunderkriege bis ins 19. Jahrhundert hinein prägten.
Bastian Walter hat eine sehr gut lesbare Studie vorgelegt, die insbesondere durch ihren Quellenreichtum besticht. Umfangreiches, bislang ungedrucktes Material aus verschiedenen Archiven, nicht nur der drei untersuchten Städte, hat er herangezogen. Die aus den Akten gewonnenen Informationen werden aber nicht bloß aufbereitet, sondern auch anschaulich mit übergeordneten Fragen verknüpft. Insbesondere die ersten beiden Großkapitel werden darüber hinaus für künftige prospographische Forschungen über das städtische Personal in Bern, Basel und Straßburg nützlich sein.
Andrea Berlin