Tünde Katona: Caritas und Memoria. Eine Leutschauer Stiftung im Dienste der Bildungsförderung in der Zips des 16. Jahrhunderts (= Buchreihe der Kommission für Geschichte und Kultur der Deutschen in Südosteuropa; 41), München: Oldenbourg 2011, VIII + 329 S., ISBN 978-3-486-59801-8, EUR 49,80
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Diese Rezension erscheint auch in der Zeitschrift für Ostmitteleuropa-Forschung.
Tünde Katona - eine anerkannte Kennerin der Zips (einer einst zum Königreich Ungarn gehörenden historische Region, heute in der Nordslowakei gelegen) in der Frühen Neuzeit - macht es sich in ihrem vorliegenden Werk zur Hauptaufgabe, eine seit langem bestehende Forschungslücke zu füllen. Ihr Unterfangen besteht im Prinzip darin, eine Textedition und Analyse des Leutschauer Testamentbuches - auch "Thurzónische Stiftung" genannt - vorzulegen, das in der überwiegend von Deutschen bewohnten und in der Zips gelegenen Stadt Leutschau entstanden ist. Obwohl der Geschichte der Deutschen in Ostmitteleuropa immer schon wissenschaftliches Interesse gewidmet wurde, setzten sich bislang nur verhältnismäßig wenige Werke mit den Zipser Sachsen auseinander. Diese ungünstige Forschungsperspektive ist umso weniger zu begreifen, als die städtischen Archivgüter aus der Zips eine breit angelegte Forschungsbasis für zahlreiche Disziplinen bieten.
In dem hier rezensierten Band findet sich die sorgfältig transkribierte Textedition der Thurzónischen Stiftung. Die Quelle erfasst eine weite Zeitspanne (1551-1642) und stellt auf 146 Folioseiten die städtischen Ausgaben für die Besoldung von Gelehrten sowie für wohltätige Anliegen und Bildungszwecke aus dem Nachlass des Leutschauer Potentaten Alexius Thurzó in Form von jährlichen Aufzeichnungen detailliert dar. Es muss hier nicht extra hervorgehoben werden, welche Bedeutung einem historischen Schriftwerk solchen Charakters mit einer derartigen Materialfülle beizumessen ist. Festzuhalten bleibt allein, dass die Auswertung der Informationen viele Forschungsperspektiven eröffnet, wobei sich Katona besonders für die Auseinandersetzung mit den bildungsfördernden und sozialen Aspekten der Thurzónischen Stiftung interessiert.
In ihrer dem edierten Text vorangestellten Analyse wird vor allem auf die besondere Quellengruppe der städtischen Rechnungsbücher eingegangen. Hierbei wird nicht nur das breite Themenspektrum der Textinhalte angedeutet, sondern auch mögliche Anknüpfungspunkte an die Erforschung von Kanzleitextsorten und Kanzleisprache des frühneuhochdeutschen Sprachraums in Betracht gezogen. Im zweiten Hauptkapitel steht dann die Person des Stifters im Zentrum der Untersuchungen, wobei ein durchaus weiter Horizont eröffnet wird: Durch die Geschichte des Geschlechts Thurzó im ausgehenden 15. und frühen 16. Jahrhundert werden genealogische, politik-, kultur- und wirtschaftsgeschichtliche Beziehungsaspekte gleichermaßen herangezogen. Dabei ist nicht nur die profunde und balancierte Anwendung der ungarischen, deutschen und slowakischen Literatur zu loben. Aus diesem Kapitel erschließen sich auch anschaulich jene historischen Querverbindungen, die in den Bereichen Kultur, Mentalität und Wirtschaft die interregionalen Beziehungen Polens, Ungarns, Tschechiens, Mährens und Süddeutschlands ganz offensichtlich prägten. Durch die Schilderung des gemeinsamen Unternehmens der Thurzó und Fugger sowie des humanistisch-erasmianisch geprägten kulturellen Umfelds des Alexius Thurzó gelingt es Katona sogar, die regionalen Verhältnisse auch in einen gesamteuropäischen Kontext zu stellen. Darstellung und Analyse des Testamentbuches finden sich dann im dritten Kapitel, wo sowohl die Entstehungsgeschichte als auch die grundlegenden inhaltlichen Komponenten des transkribierten Archivmaterials thematisiert werden. Wie oben angedeutet, liegt das Hauptaugenmerk der Autorin auf kultur- und bildungsgeschichtlichen Interpretationen, die Themen wie zum Beispiel die Beschaffenheit des Thurzónischen Mäzenatentums im Allgemeinen oder Zusammensetzung, Anlässe, Ebenen und das Ausmaß der karitativen und bildungsfördernden Tätigkeit der Stadt Leutschau in den Vordergrund stellen. Abschließend wird das Gesamtbild durch zusammenfassende Bemerkungen über die frühneuzeitliche Konzeption der Caritas und Memoria anhand der Thurzónischen Stiftung in Leutschau abgerundet.
Das vorliegende Werk folgt ganz zweifellos einem interdisziplinären Ansatz. Selbstverständlich bietet uns die Autorin eine Interpretation, die ihr selbst am treffendsten erscheint, aber die Themenvielfalt der Quelle vermag gewiss auch weitere Forschungen anzuregen. Zu loben ist auch die konsequent quellenzentrierte und textkritische Orientierung der Verfasserin, die in einer Zeit, in der monumental und populärwissenschaftlich angelegte Synthesen, oft ohne tiefergehenden Bezug auf Archivmaterialien, immer mehr Platz in der Geschichtswissenschaft und verwandten Disziplinen einnehmen, nicht hoch genug geschätzt werden kann.
Zsuzsanna Cziráki