Sarah Foot: Aethelstan. The First King of England (= Yale English Monarchs), New Haven / London: Yale University Press 2011, XIV + 283 S., 19 s/w-Abb., ISBN 978-0-300-18771-7, GBP 14,99
Inhaltsverzeichnis dieses Buches
Buch im KVK suchen
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Ines Weßels: Zum Bischof werden im Mittelalter. Eine praxistheoretische Analyse vormoderner Selbstbildung, Bielefeld: transcript 2020
Shirley Ann Brown (Hg.): The Bayeux Tapestry. Bayeux, Médiathèque Municipale: MS. 1. A Sourcebook, Turnhout: Brepols 2013
Ulrike Matzke: England und das Reich der Ottonen in der ersten Hälfte des 10. Jahrhunderts. Beziehung und Wahrnehmung von Angelsachsen und Sachsen zwischen Eigenständigkeit und Zusammengehörigkeit, Bielefeld: Verlag für Regionalgeschichte 2009
Der angelsächsische König Aethelstan von Wessex (924-939), der bereits von Zeitgenossen als englischer König oder als König von Britannien tituliert wurde, steht im englischen Geschichtsbewusstsein im Schatten anderer spätangelsächsischer Regenten, genannt seien nur Alfred (871-899) oder Edgar (959-975). Auch auf dem Kontinent ist Aethelstan kaum bekannt, obwohl er einige seiner Schwestern mit Mitgliedern westeuropäischer Königshäuser verheiraten ließ. Aber bereits im Mittelalter wurden andere angelsächsische Herrscher höher bewertet, so zum Beispiel Alfred, dem ab dem 13. Jahrhundert der Beiname 'der Große' zuerkannt wurde. Dieser Umstand ist wohl auch damit zu erklären, dass aus der Zeit Aethelstans nur wenige Zeugnisse überdauerten, die der Selbstdarstellung und dem Ruhm des Königs dienen konnten.
Gleichwohl bildete die Regierungszeit Aethelstans in den letzten Jahrzehnten einen Gegenstand intensiver wissenschaftlicher Erforschung. Allerdings existierte bis vor kurzem noch keine Biographie dieses angelsächsischen Herrschers, die in monographischer Form und unter Anwendung aktueller wissenschaftlicher Standards Leben und Wirken Aethelstans behandelt hätte. Den modernen wissenschaftlichen Biographien spätangelsächsischer Regenten und Regentinnen, so zu Alfred, Knut dem Großen, Emma oder Eduard dem Bekenner, stellt nun Sarah Foot eine Herrscherbiographie Aethelstans zur Seite, die höchsten Ansprüchen genügt.
Die Verfasserin, Professorin für Kirchengeschichte am Christ Church College in Oxford und Expertin für die Genese von proto-nationalen Konzepten im angelsächsischen England und für die monastische Kultur in angelsächsischer Zeit, legt eine über 250 Druckseiten umfassende Untersuchung vor. Die Studie wird durch 19 schwarz-weiße Bildtafeln illustriert sowie durch zwei Stammtafeln, vier Karten und eine Tabelle mit Itinerardaten und -orten Aethelstans ergänzt. Im Personen-, Orts- und Sachregister wird auch auf die Behandlung zentraler Ereignisse während der Regentschaft Aethelstans verwiesen. Eine umfassende Aufstellung der Quellen und eine Bibliographie der Sekundärliteratur, in welche allerdings nur drei deutschsprachige und zwei französischsprachige Titel aufgenommen wurden, runden den Band ab.
Die Herrscherbiographie wird eröffnet durch einen Prolog, in welchem Foot die Problematik dieser Gattung für die frühmittelalterliche Geschichte reflektiert. Das Zentrum ihrer methodischen Überlegungen bildet die Quellenarmut dieser Epoche: Für die Rekonstruktion von Aethelstans Leben stehen nicht nur wenige Quellen insbesondere im Vergleich mit anderen spätangelsächsischen Herrschern wie Alfred oder Edgar zur Verfügung, sondern es sind zudem keine persönlichen Dokumente oder gar autobiographische Aufzeichnungen Aethelstans überliefert. Es lassen sich keine Aussagen zu Aussehen, Persönlichkeitsstruktur oder Privatleben nach modernen Vorstellungen machen. Weiterhin sind keine inneren Überzeugungen oder Leitlinien für das politische Handeln des Regenten überliefert. Überdies könne, so Foot weiter, auch der historische Kontext nur mühsam rekonstruiert werden, Vieles müsse hypothetisch bleiben. Zu diesen Reflexionen der Verfasserin wäre noch hinzuzufügen, dass oftmals nur die von der Umwelt erwarteten Ideale, die zugewiesenen Rollen oder das zeitgenössische Repertoire an Handlungsmustern in den Quellen erkennbar sind. Außerdem wurde von der älteren Forschung vielfach der Einfluss eines Regenten überschätzt, heute erklärt man frühmittelalterliche Herrschaftsausübung in erster Linie aus dem Zusammenwirken aller Herrschaftsträger. Schließlich geht die gegenwärtige Forschung viel stärker von kurzfristigen und situativ gebundenen Entscheidungen und nur noch selten von langfristigen politischen Konzeptionen aus.
Sarah Foot möchte in ihrer Aethelstan-Biographie "a picture of an individual" (2) zeichnen, ihr Ziel ist es, "to find the man behind the stereotype" (2). Außerdem will sie zeigen, wie soziale, wirtschaftliche und politische Strukturen den Menschen prägten und wie dieser wiederum diese Strukturen formte. Von diesem Erkenntnisinteresse ausgehend bietet Foot konsequenterweise keine chronologische Beschreibung von Aethelstans Leben, sondern stellt den Regenten in unterschiedliche Räume, Umgebungen oder Sphären, in welchen er mit anderen Personen interagierte. Diesen sechs Umgebungen Familie, Hof, Kirche, Königreich, Krieg und Tod sind die sechs zentralen Kapitel der Biographie gewidmet, aus kontinentaler Sicht hätte man sich noch einen Abschnitt zu den Kontakten mit anderen europäischen Herrschern insbesondere in den nachkarolingischen Reichen gewünscht. Gerahmt wird diese Darstellung durch zwei Kapitel zu Herrschaftskonzeptionen, die unter den Titeln "English King?" und "British Monarch" firmieren. Ein Epilog behandelt das Nachleben Aethelstans im Mittelalter und in der Populärkultur bis zur Gegenwart. In zwei kurzen Anhängen beschäftigt sich Foot mit der bei William von Malmesbury überlieferten Vita Aethelstans und mit dem Itinerar des Regenten. Der Forschungsstand und die bisherigen biographischen Studien zu Aethelstan werden hingegen nicht eigens behandelt.
Die Verfasserin bietet ein umfassendes Bild zu Wirken und Wahrnehmung König Aethelstans. Die in der Forschung der letzten Jahre umstrittenen Fragen werden aufgegriffen, die bisherigen Argumente sorgsam überprüft und mit Bedacht eigene Stellungnahmen formuliert. Bei der Diskussion um die Abstammung Aethelstans sieht die Verfasserin keine Gründe, eine illegitime Geburt des Herrschers oder einen niedrigen Stand seiner Mutter anzunehmen. Die Phase der Thronbesteigung Aethelstans muss weiter ungeklärt bleiben, möglicherweise ließen sich er und sein Halbbruder Aelfweard unabhängig voneinander und von unterschiedlichen Gruppen zum König erheben; vielleicht war, so Foot, eine Herrschaftsteilung angedacht, aber Aelfweard starb schon wenige Wochen nach seiner Erhebung. Die Verfasserin tendiert weiterhin dazu, für das Jahr 933 eine Rebellion eines weiteren Halbbruders namens Edwin anzunehmen. Aethelstan blieb bekanntlich unverheiratet und hinterließ keine legitimen Nachkommen. Die Autorin wertet dies nicht als Hinweise auf eine Homosexualität des Regenten, sondern versteht dieses Verhalten mit Janet Nelson als bewusste Strategie, um die Zahl der möglichen Thronanwärter gering zu halten und um ein Auseinanderfallen des mühsam und mit Gewalt geeinten Reichs zu verhindern; vielleicht sind Foot zufolge auch religiöse Gründe anzunehmen. Anhand ihrer Übersicht über die bisherige genealogische Forschung wird nun auch die Familienstruktur im Königshaus von Wessex klarer, so kann die Zahl der Schwestern und Halbschwestern Aethelstans mit guten Argumenten auf insgesamt acht begrenzt werden. Heiratsverbindungen mit kontinentalen Herrschaftsträgern versteht Foot als politische Allianzen, auch um gemeinsam einer Wikingergefahr zu begegnen. Die Verfasserin behandelt umfassend die zahlreichen militärischen Aktionen, mit denen Aethelstan seinen Einfluss ausdehnte und eine Oberherrschaft auf der Insel anstrebte, so unter anderem 927 mit der Eroberung Northumbrias, 934 mit einer militärischen Expedition nach Schottland oder 937 in der Schlacht von Brunanburh. Foot hebt aber gegenüber der bisherigen Forschung stärker die Rolle der Kirche hervor, indem sie die königliche Patronage für religiöse Institutionen, die Rekrutierung von Klerikern für die Umgebung des Regenten oder das intensive Sammeln von Reliquien durch Aethelstan ausführlich behandelt. Die Bestattung des Königs in Malmesbury wertet sie als bewussten Akt gegen die Tradition, um auf diese Weise den Herrschaftsraum zu visualisieren: Das Kloster lag zwar in Wessex, aber an der nördlichen Grenze zu Mercia und nahe zu den eroberten Gebieten in Nordengland.
Der Buchtitel "The First King of England" scheint vom Verlag vorgegeben worden zu sein, denn aus den beiden Rahmenkapiteln wird vielmehr deutlich, dass Aethelstan in der Tradition seiner Vorgänger Alfred und Eduard stand, indem er Konzepte eines 'rex Anglorum' oder eines 'Angelcynn' aufnahm; in dieser Beziehung erschuf er keine neue ideelle Begründung seiner Herrschaft oder der von ihm regierten Gemeinschaft. Demgegenüber ist unter ihm erstmals eine stärkere Akzentuierung des Britannia-Gedankens im politischen Raum belegt. So scheint nicht nur die Vereinigung der angelsächsischen Königreiche unter der Herrschaft eines Regenten angestrebt worden zu sein, sondern unter Aethelstan ist die Titulatur 'rex totius Britanniae' in signifikanter Anzahl fassbar. Ob dieser Regent auch die Grundlagen für den modernsten Staat im frühmittelalterlichen Europa legte, worin Foot einer älteren These der englischen Forschung folgt, kann nur durch einen historischen Vergleich überprüft werden.
Sarah Foot wertet in ihrer Biographie König Aethelstans zahlreiche unterschiedliche Quellengattungen aus und stellt die Diskussionen in der bisherigen Forschung ausgewogen dar. Zu diesen Forschungsfragen formuliert sie differenzierte und sorgfältig abwägende Stellungnahmen. Der Band wird zweifellos lange Zeit als Standardwerk für die Regierungszeit König Aethelstans von Wessex dienen, ja er bietet ein Niveau, das bislang keine wissenschaftliche Biographie zu einem angelsächsischen Regenten des 10. Jahrhunderts erreicht hat.
Andreas Bihrer