Rezension über:

E. Ann Matter / Lesley Smith (eds.): From Knowledge to Beatitude. St. Victor, Twelfth-Century Scholars, and Beyond: Essays in Honor of Grover A. Zinn, Jr., Notre Dame, IN: University of Notre Dame Press 2013, XXIII + 471 S., ISBN 978-0-268-03528-0, USD 75,00
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Rezension von:
Joachim Ehlers
Friedrich-Meinecke-Institut, Freie Universität Berlin
Redaktionelle Betreuung:
Ralf Lützelschwab
Empfohlene Zitierweise:
Joachim Ehlers: Rezension von: E. Ann Matter / Lesley Smith (eds.): From Knowledge to Beatitude. St. Victor, Twelfth-Century Scholars, and Beyond: Essays in Honor of Grover A. Zinn, Jr., Notre Dame, IN: University of Notre Dame Press 2013, in: sehepunkte 13 (2013), Nr. 9 [15.09.2013], URL: https://www.sehepunkte.de
/2013/09/22993.html


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E. Ann Matter / Lesley Smith (eds.): From Knowledge to Beatitude

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Die herausragende Bedeutung des Pariser Regularkanonikerstifts St-Victor und der Gelehrten Hugo, Richard und Andreas geben das Rahmenthema dieser Festschrift, weil sie einen Schwerpunkt im Forscherleben des Jubilars bilden. Wie bei vielen solcher Werke ist der Titel so weit gefasst, dass er auch Fernerliegendes noch integrieren kann, und wie so oft in derlei Sammelbänden findet sich Neues und Weiterführendes neben Reprisen und Versuchen zur Einarbeitung. Macht man die Fragestellung der jeweiligen Autoren zu seiner eigenen und liest ihre Beiträge unter dem Gesichtspunkt des Nutzens für entsprechende Forschungsvorhaben, so ergibt sich eine Hierarchie mit durchaus neuen Informationen und Anregungen.

Catherine Delano-Smith ("Maps and Plans in Medieval Exegesis. Richard of St. Victor's In visionem Ezechielis", 1-45) verfolgt auf breiter handschriftlicher Grundlage die Frage nach dem inneren Zusammenhang von Bild und Text, der in modernen Editionen oft verlorengeht, wenn die Bilder dem Benutzer nicht zugänglich gemacht werden, obwohl dieser Bezug für das Verständnis mitunter (keineswegs immer) wichtig sein kann. Wertvoll sind das Handschriftenverzeichnis und ein kapitelweise gegliederter Index der Illustrationen. 20 autograph glossierte Handschriften biblischer Texte aus dem Besitz des Pariser Magisters Robert Amiclas analysiert Lesley Smith ("Robert Amiclas and the Glossed Bible", 131-152) im Hinblick auf Benutzung anderer Glossenwerke und bietet darüber hinaus vergleichende Beobachtungen zum theologischen Niveau sowie Daten zu Bücherbesitz und -erwerb. Die St-Victor beflügelnde fruchtbare Spannung zwischen traditioneller monastischer Kultur und progressiver Schulwissenschaft in der rasch zur Metropole wachsenden Stadt Paris ist Ausgangspunkt für eine quellennahe Untersuchung von Technik, Funktion, pastoraler, ekklesiologischer und spiritueller Bedeutung der Predigt für Selbstverständnis und Außenwirkung der Kanonikergemeinschaft. Im Vergleich vom Liber ordinis über Richard, Achard, Walter zu Gottfried von St-Victor wird eine Linie deutlich und durch Befunde gut belegt, die beim Pariser Bischof Maurice de Sully (1160-1196) bis in die französischsprachige Predigtpraxis verfolgt werden kann (Hugh Feiss: Preaching by Word and Example, 153-185). Auf breiter Quellen- und Literaturbasis fragt Marcia L. Colish nach den Wegen selektiver und die antiken Grundlagen modifizierender Rezeption der stoischen Philosophie im Mittelalter ("Synderesis and Conscience: Stoicism and Its Medieval Transformations", 229-246), beschreibt die seinerzeit gut zugänglichen Texte Senecas als das beherrschende Referenzobjekt für die Begriffe von Wille und Bewusstsein, Veränderungen durch Paulus, Ambrosius, Augustin und Hieronymus als Bezugsgrößen der Frühscholastik und die neue Bedeutung der praktischen (gegenüber der theoretischen) Intelligenz für Bonaventura, Albertus Magnus und Thomas von Aquin. Frans van Liere gibt Stichworte zur Reaktion christlicher Autoren des 12. Jahrhunderts auf den jüdischen Messianismus ("Christ or Antichrist? The Jewish Messiah in Twelfth-Century Christian Eschatology", 342-357).

Mitunter ist es bei Referaten des Forschungsstandes geblieben. Ein Beitrag des Kunsthistorikers Walter Cahn ("An Illuminated Manuscript of Writings by Hugh of St. Victor [Paris, Bibl. Mazarine, Ms 729]", 46-67) über acht Miniaturen aus einer wohl 1140/50 entstandenen Sammelhandschrift mit Werken Hugos von St-Victor regt weitere Untersuchungen zu Identität, Produktion und Umfeld des Malers an. Franklin T. Harkins ("Lectio exhortatio debet esse. Reading as a Way of Life at the Twelfth-Century Abbey of St. Victor", 103-130) erinnert mit Bezug auf das Didascalicon de studio legendi und De institutione novitiorum Hugos von St-Victor abermals an dessen wohlbekannte Versuche einer Synthese von Studium und Lebensführung mit Ausblicken auf den philosophisch-theologischen Kontext, wobei er freilich das Exordium magnum cisterciense als Schrift Bernhards von Clairvaux zitiert (109, Anm. 28). Boyd Taylor Coolman ("'Transgressing [its] measure ... trespassing the mode and law of its beauty': Sin and the Beauty of the Soul in Hugh of St. Victor", 186-203) stellt Zitate zur Seelenlehre Hugos zusammen, wobei "the impression emerges that for Hugh the spiritual life is to be executed in the manner of something like a singer holding a note" (196).

Der bemessene Raum eines Sammelbandes führte mitunter dazu, dass interessante Fragestellungen nicht angemessen expliziert wurden, so dass Barbara Newman ("Iam cor meum non sit suum. Exchanging Hearts, from Heloise to Helfta", 281-299) nur Lesefrüchte präsentieren konnte und Rachel Fulton Brown ("Hildegard of Bingen's Theology of Revelation", 300-327) ein großes Thema ohne Auseinandersetzung mit der wahrlich nicht unbeachtlichen Forschung skizziert.

Versuche über die Baugeschichte der ersten Stiftskirche von St-Victor, über das große Papstprivileg für Suger von St-Denis; ein Vergleich von Boethius, Hugo und Richard von St-Victor, Mutmaßungen über die Theologie des Schönen bei Hugo von St-Victor oder über Persönlichkeitsveränderungen bei Kreuzfahrern bleiben hinter dem jeweils schon erreichten Kenntnisstand zurück; der Vergleich zwischen einem Text Richards von St-Victor und einer Kantate Johann Sebastian Bachs hätte die Frage nach der Kompatibilität seiner Referenzobjekte klären müssen.

Der wichtigste Beitrag stammt vom Kurator der Abteilung "Early Books and Manuscripts" der Beinecke Rare Books and Manuscripts Library in Yale, Raymond Clemens, der sich mit dem französischen Humanisten Jacques Lefèvre, seinem durch Editionen (hier die in jüdisch-apokalyptischer Tradition stehende Offenbarungsschrift "Der Hirt" des Hermas aus dem 2. Jahrhundert, der Visio Wettini, zweier Visionstexte des Robert von Uzès OP, Hildegards von Bingen Scivias, Schriften und Briefe der Elisabeth von Schönau und Mechthilds von Hackeborn Liber specialis gratiae) verfolgten Reformprogramm sowie den zeitgenössisch möglichen Publikationswegen befaßt ("Medieval Women Visionaries in the Renaissance: Jacques Lefèvre d'Étaples' Liber trium virorum et trium spiritualium virginum [1513]", 358-383). Bemerkenswert ist die in ihrer Art und für die Zeit seltene 3:3-Parität männlicher und weiblicher Autoren, durch die der Editor die Allgemeingültigkeit spiritueller Werte unterstreichen wollte.

Wer zu einem der hier behandelten Themen forscht, kommt bis auf den Aufsatz von Raymond Clemens und die im zweiten Absatz genannten Arbeiten auch ohne diesen Band gar nicht so schlecht aus.

Joachim Ehlers