Rolf Hammel-Kiesow / Matthias Puhle / Siegfried Wittenburg: Die Hanse, Darmstadt: Primus Verlag 2009, 216 S., ISBN 978-3-89678-356-1, EUR 39,90
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Ein großformatiges Buch mit vielen Abbildungen, einfach als "Die Hanse" betitelt und explizit an einen "möglichst großen Leserkreis" gerichtet, weckt sofort Befürchtungen, hier könnte, wie kürzlich in einer Fernsehserie, mal wieder die Supermacht Hanse auferstehen. Der Band von Rolf Hammel-Kiesow und Matthias Puhle räumt jedoch mit der Annahme auf, dass Bücher für ein breites Publikum notwendigerweise recht vereinfachend mit dem aktuellen Forschungsstand umgehen müssten. Zwar arbeiten die Autoren hier keine eigenen Thesen heraus, flechten jedoch die aktuellen Debatten der Hanseforschung immer wieder verständlich in die Erzählung ein.
Hammel-Kiesow und Puhle präsentieren die Hanse nicht als schlagkräftige Einheit, die sich die Ostsee handstreichartig unterwarf. Gleich im Vorwort stellen sie fest, dass es keine hansischen Interessen als solche gab, sondern dass wirtschaftliches Interesse an florierenden Handelsgeschäften bisweilen zu engerer Kooperation der Kaufleute und Städte führte, bisweilen jedoch auch ein Vorgehen auf eigene Faust gewinnbringender erschien. Die Autoren begnügen sich nicht damit, an die narrativ eingängigere Erzählung der früheren Forschung anzuknüpfen und die Entstehung der Hanse mit der Gründung und dem Ausgreifen Lübecks gleichzusetzen. Stattdessen wird die Abhängigkeit Lübecks von der Nachfrage im Binnenland und seinen Verbindungen nach Westfalen betont und zugleich dargestellt, dass die Stadt keinesfalls besonders schnell eine dominante Stellung im Ostseeraum erreichen konnte.
Ganz im Trend der aktuellen Forschung, die Hanse weniger als Ausnahmeerscheinung denn als europäisches Phänomen wahrzunehmen, umreißt sowohl das erste als auch das letzte große Kapitel die europäischen Zusammenhänge der hansischen Früh- respektive Spätzeit. Das Präludium bewegt sich gleichsam wie die niederdeutschen Kaufleute im 11./12. Jahrhundert von Westen nach Osten und schildert das Niederrheingebiet als Wiege des hansischen Handels, dessen Kaufleute im Zuge des Wirtschaftsaufschwungs des 12./13. Jahrhunderts an die Ostsee zogen, um das Bedürfnis der wachsenden Bevölkerung nach Massen- und Luxusgütern zu befriedigen. Das folgende erste große Kapitel beschreibt die Veränderungen im Ostseeraum, die die Handelsmöglichkeiten der niederdeutschen Kaufleute vergrößerten. Langsam und keinesfalls irreversibel fanden die Heimatstädte der Kaufleute zu regionaler, bisweilen auch überregionaler Kooperation, vornehmlich um die Sicherheit der Handelswege zu Wasser und zu Land zu verbessern.
Das letzte große Kapitel zeigt, dass sich die Hanseforschung bisher intensiver mit dem Aufkommen als mit dem Vergehen hansischen Handels beschäftigt hat. Das wird allein in den Überschriften deutlich: Während das erste Kapitel den Untertitel "Wie die Hanse entsteht" trägt, heißt das Parallelkapitel, das sich mit der Abnahme hansischen Handels beschäftigt, einfach "Im europäischen Kontext". Die Autoren führen einige Faktoren auf, die den Ablauf hansischen Handelns und Verhandelns störten: Die burgundischen und englischen Herrscher statteten zunehmend die eigenen Kaufleute und nicht die hansischen mit Privilegien aus. Die Handlungsautonomie der niederdeutschen Städte geriet zudem unter den immer stärkeren Druck der Fürsten. Diese Veränderungen in der politischen Landschaft aber als Ursachen für einen Niedergang der Hanse anzusehen, scheuen sich die Autoren. So könne man nicht behaupten, den hansischen Kaufleuten hätte ein starker Herrscher im Rücken gefehlt. Vielmehr hätten ausländische Herrscher den hansischen Kaufleuten wohl schon viel früher ihre Privilegien entzogen, wenn sie einer bestimmten Nation angehört hätten. Von einem Niedergang "der Hanse" könne nicht gesprochen werden, da sich verschiedene Facetten der wirtschaftlichen und politischen Kooperation unterschiedlich verändert hätten. Die differenzierte Darlegung, die immer wieder betont, dass hansischer Handel und Kooperation der Städte lange noch gut funktionierten, lässt den Leser allerdings etwas ratlos zurück: Warum es im 17. Jahrhundert keinen hansischen Handel mehr gab, bleibt rätselhaft. Hammel-Kiesow und Puhle stellen hier keine eigene These zu einer Frage auf, die auch in der aktuellen Hanseforschung noch offen ist.
Zwischen Werden und Vergehen der Hanse stehen zwei Kapitel, die sich mit der Organisation und dem Handel beschäftigen. Der Übergang von der abwägenden Erörterung der Entstehungsbedingungen frühhansischen Handels im ersten Kapitel zur Beschreibung der Organisationsstrukturen der städtischen Kooperation gestaltet sich etwas abrupt: Nun ist die Hanse einfach da. "Die Hanse" und "Hansestädte" treten auf, die eine "Gemeinschaft" (54), ja sogar eine "Organisation" (83) bilden. Hier hätte es sich wohl angeboten, auf die Geschehnisse im Zuge der Flandernblockade 1358/60 einzugehen, in deren Verlauf die Namen Hanse und Hansestadt erstmals als Zeichen für ein geschlossenes Auftreten verwendet wurden.
Das folgende Kapitel über das Netzwerk des hansischen Handels nimmt angemessenerweise den größten Raum im Buch ein. Auch hier wirkt Hammel-Kiesow dem populären Bild eines prototypischen Hansekaufmanns entgegen, indem er gleich feststellt: "Den hansischen Kaufmann gab es nicht" (92). Das Spektrum hansischen Handels erstreckte sich von Großkaufleuten und Ratsherren zu Detail- und Kleinkaufleuten. Die Gemeinsamkeit hansischer Kaufleute lag in der Vielfalt ihres Handels: Kaufleute waren im Eigen-, Gesellschafts- und Kommissionshandel zugleich tätig. Sie waren jeweils eingebunden in Netzwerke verschiedenster Verbindungen zu anderen Kaufleuten, in denen verwandtschaftliche Beziehungen, Bekanntschaften im Rat, in Bruderschaften oder bei diplomatischen Missionen die wirtschaftlichen Beziehungen förderten. Der Leser wird nicht nur mit dem Konzept des Netzwerks vertraut gemacht, sondern auch darauf hingewiesen, dass man den Erfolg des hansischen Handels darin begründet sehen kann, dass die Kooperation der Kaufleute die Transaktionskosten senkte.
Die hansische Art, Handel zu treiben, passte demnach zu den europäischen Rahmenbedingungen vom 13. bis zum 16. Jahrhundert, das heißt: zu dieser Zeit versprach sie wirtschaftlichen Erfolg. Den Fokus auf Europa mag man nun dem heutigen Zeitgeist zuschreiben. Auch diese Perspektive ermöglicht das Buch, indem im Schlusskapitel auf die politische Instrumentalisierung der Hanseforschung seit dem Ende des 19. Jahrhunderts eingegangen wird. Leider fehlt hier allerdings die Reflexion darüber, dass auch die eigene, auf Europa ausgerichtete Sichtweise vielleicht zu gut zu dem politischen Programm unserer Zeit passt.
Zahlreiche Abbildungen zieren den Band, die einen gelungenen Versuch darstellen, der Reduktion des hansischen Bildprogramms auf Koggen und Seeleute gegenzusteuern. Insgesamt 17 doppelseitige "Exkurse" erzählen jeweils kurz die Geschichte und die heutige Bedeutung einer ehemaligen Hansestadt, wobei eventuell die Konzentration auf jeweils ein herausragendes Charakteristikum die Einprägsamkeit erhöht hätte. Die Doppelseiten geben ein anschauliches Beispiel für die Vielfalt der Städte von Zwolle bis Danzig, von Soest bis Reval, in denen die hansischen Kaufleute Handel trieben.
Insgesamt bietet der Band einen in Bild und Text anschaulichen Überblick über die hansische Geschichte. Wer einen verlässlichen Einstieg in die Hansegeschichte sucht, aber nicht jede der vergangenen und noch andauernden Forschungsdebatten im Einzelnen nachverfolgen möchte, dem sei dieses Buch empfohlen.
Ulla Kypta