Rezension über:

Andrew Dowling: Catalonia since the Spanish Civil War. Reconstructing the Nation (= Sussex Studies in Spanish History), Brighton: Sussex Academic Press 2013, X + 213 S., ISBN 978-1-84519-530-4, GBP 60,00
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Rezension von:
Reiner Tosstorff
Johannes Gutenberg-Universität, Mainz
Redaktionelle Betreuung:
Empfohlene Zitierweise:
Reiner Tosstorff: Rezension von: Andrew Dowling: Catalonia since the Spanish Civil War. Reconstructing the Nation, Brighton: Sussex Academic Press 2013, in: sehepunkte 13 (2013), Nr. 11 [15.11.2013], URL: https://www.sehepunkte.de
/2013/11/23275.html


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Andrew Dowling: Catalonia since the Spanish Civil War

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Die am 11. September 2013, dem katalanischen Nationalfeiertag, nach dem baltischen Vorbild von 1989 gebildete Menschenkette parallel zur Mittelmeerküste, die größte politische Kundgebung in der Geschichte Kataloniens, hat auch international deutlich gemacht, dass der katalanische Nationalismus längst keine Minderheitsmeinung mehr ist. Die nach dem Tod Francos 1975 erreichte Autonomie wird als unzureichend empfunden; ein Referendum zur Unabhängigkeit wird gefordert. Meinungsumfragen gehen von einer Zustimmung dafür von mehr als der Hälfte der Bevölkerung aus.

Die auf seine Dissertation zurückgehende Studie des Historikers Andrew Dowling von der Universität Cardiff liefert nun den Hintergrund dazu in einer detaillierten Rekonstruktion des Wiederaufstiegs des katalanischen Nationalismus seit seiner gewaltsamen Unterdrückung nach der Errichtung der Franco-Diktatur. Vorangestellt ist ein historischer Rückgriff auf seine Entstehung in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Parallel zu ähnlichen Entwicklungen im übrigen Europa wurde die fast vergessene Schriftsprache, im Mittelalter mit eigener Staatlichkeit verbunden, wiederbelebt. Im bereits früh industrialisierten Katalonien standen dahinter auch gewichtige Teile eines starken Bürgertums, während die Madrider Zentralregierung im 19. Jahrhundert zwar das gesamtspanische "state-building" vorantreiben, dies jedoch nur unzureichend mit "nation-building" unterlegen konnte.

Die Propagierung katalanischer Eigenständigkeit wurde zu einem Druckmittel gegenüber Madrid, um Konzessionen zu erreichen. Die Unabhängigkeit blieb jedoch aus, vor allem, weil das katalanische Bürgertum zugleich einer der radikalsten europäischen Arbeiterbewegungen in Gestalt des Anarchosyndikalismus gegenüberstand. Die nach mehreren Anläufen schließlich errungene Autonomie ging mit der Niederlage der Republik im Bürgerkrieg 1939 verloren. Auch die katalanische Kultur wurde zunächst unter Ausnahmegesetz gestellt. Ausgerechnet im Rahmen der katholischen Kirche kam es dann aber schon bald wieder zur - wenn auch mit zahlreichen Beschränkungen - geduldeten Verwendung der katalanischen Sprache, gedacht als Zugeständnis zur Erleichterung der Stellung der Kirche gegenüber der Bevölkerung. Dies erwies sich als Ausgangspunkt für die langsame Wiedererweckung eines katalanischen Nationalismus zunächst in kulturellen Formen.

Dabei durchlebte Katalonien - wie das gesamte Spanien - ab den fünfziger Jahren einen großen Wandel durch einen Industrialisierungsschub. Die massive Einwanderungswelle aus Süd-Spanien führte jedoch nicht zu einem Antagonismus zwischen der neu belebten Nationalbewegung und der nun auch wieder einen Aufschwung erfahrenden Arbeiterbewegung. Diese Arbeiterbewegung fand ihren Ausdruck nicht mehr im - ja nicht zuletzt militant antiklerikalen - Anarchosyndikalismus, sondern vor allem in der KP und den mit ihr verbundenen "Arbeiterkommissionen". [1]

Nach dem Ende der Franco-Diktatur wurde die katalanische Autonomie wiederhergestellt, die aber von den bürgerlich-nationalistischen Kräften gestaltet wurde, während sich die Linke in Katalonien - von der Ausnahme 2003 bis 2010 abgesehen - nur bei den gesamtspanischen und Kommunal-Wahlen durchsetzen konnte. Im Zentrum stand die Wiederherstellung katalanischer Kultur und damit Identität mittels großzügiger Förderung der Sprache. Dieses Modell ist in den letzten ein bis zwei Jahrzehnten aufgrund der strukturellen Widersprüche der katalanischen Autonomie an seine Grenzen gestoßen. Katalonien ist auch nach jahrelangen Verhandlungen weiterhin drastisch unterfinanziert. Es erhält nur unterdurchschnittliche Investitionen aus Madrid, bezahlt aber überproportional Steuern. Daraus ergibt sich ein Finanzdefizit in Höhe von sieben bis acht Prozent des katalanischen Bruttosozialprodukts (145). [2] Gleichzeitig ist das wirtschaftliche Gewicht Kataloniens im Verhältnis zu anderen Regionen zurückgegangen. Nicht zuletzt stand Katalonien in ständiger Auseinandersetzung um die Weiterentwicklung seines Autonomiestatuts, dessen Entwurf aus dem Jahre 2005 zuerst vom gesamtspanischen Parlament und schließlich vom spanischen Verfassungsgericht stark abgeändert wurde. Begleitet war und ist dies von einem antikatalanischen Diskurs von Seiten der spanischen Rechten (die traditionell in Katalonien über keine bedeutende Wählerschaft verfügt).

Vor diesem Hintergrund arbeitet Dowling den Umschlag des katalanischen Nationalismus vom Eintreten für eine größtmögliche Autonomie des Landes, auch als Motor für die Modernisierung Gesamtspaniens, in eine Unabhängigkeitsbewegung heraus, wie sie sich in den letzten Jahren in einer Reihe von Kundgebungen und Demonstrationen mit Millionenbeteiligung und vor allem im Begehren nach einem Referendum ausdrückt. Dazu hat sich die jetzige bürgerlich-nationalistische Koalition verpflichtet, auch wenn vermutlich ein nicht unwesentlicher Teil das Referendum insgeheim eher als Druckmittel gegenüber Madrid zur Erreichung wesentlicher Zugeständnisse vor allem in der entscheidenden Finanzierungsfrage sieht. Dieser Konflikt mit Madrid hat als Nebeneffekt bisher in Katalonien die sozialen Auseinandersetzungen aufgrund der Folgen der durchaus auch von hier verfolgten Austeritätspolitik zu einem Gutteil überlagert. Die weitere Entwicklung ist in Dowlings Augen offen, auch wenn die Unabhängigkeit inzwischen als ernsthafte politische Option gilt, sich jedoch aufgrund der Umstände gegenwärtig nur in der "aspirational phase" befindet.

Dowlings Buch ist vor allem deskriptiv angelegt und folgt im Wesentlichen der Chronologie. Auf Theorien und Definitionen des Nationalismus bezieht er sich nicht. Nur auf das Schema von Miroslav Hroch mit seinen drei Stufen in der Entwicklung des Nationalismus von der "kulturellen Entdeckung" über die Formulierung einer daraus abgeleiteten Identität bis hin zur politischen Massenbewegung greift er bei seiner Darstellung des Aufkommens des katalanischen Nationalismus zurück. Gelegentlich finden sich komparative Bezüge, etwa zum Baskenland oder auch zur Entwicklung in Schottland - hingewiesen sei auf das dort für 2014 geplante Referendum -, ohne dass das allerdings systematisiert würde, um den katalanischen Fall in eine europäische Entwicklung einzuordnen. (Man denke zum Beispiel im schottischen Fall an eine gewisse Parallele in dem Gefühl der ökonomischen Übervorteilung, hier durch die fehlenden Nordseeöleinnahmen, dort durch die spanische Steueraufteilung.) Dowling stützt sich bei seiner narrativ vorgehenden Darstellung vor allem auf die breite Forschungsliteratur, zieht aber dazu, wenn auch unsystematisch, wichtige Quellen heran. Insgesamt werden die wesentlichen Eckpunkte und Tendenzen in der Entwicklung des katalanischen Nationalismus seit 1939 herausgearbeitet und dieser auch in seinen verschiedenen Varianten entsprechend dem klassischen Links-Rechts-Schema diskutiert. Bei allen erkennbaren Sympathien des Autors für die Unabhängigkeitsbewegung verhält er sich ihr gegenüber durchaus nicht unkritisch.


Anmerkungen:

[1] Zeitweise waren die katalanischen Kommunisten übrigens proportional stärker als die italienischen (auch wenn sie international nicht so deutlich wahrgenommen wurden, aber ebenfalls zu den entschiedenen Trägern des Eurokommunismus gehörten). Nicht umsonst sprach man in Katalonien einfach von "el partit".

[2] Die genauen Zahlen sind allerdings aufgrund verschiedener Berechnungsmodi umstritten, doch dürften diese Angaben die Proportionen deutlich machen, um die es geht. Das übertrifft bei weitem Transfers etwa im föderalen System Deutschlands.

Reiner Tosstorff