Rezension über:

Holger Löttel (Bearb.): Adenauer und die FDP (= Adenauer. Rhöndorfer Ausgabe), Paderborn: Ferdinand Schöningh 2013, 1090 S., 33 s/w-Abb., ISBN 978-3-506-77874-1, EUR 128,00
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Rezension von:
Udo Wengst
München
Empfohlene Zitierweise:
Udo Wengst: Rezension von: Holger Löttel (Bearb.): Adenauer und die FDP, Paderborn: Ferdinand Schöningh 2013, in: sehepunkte 13 (2013), Nr. 12 [15.12.2013], URL: https://www.sehepunkte.de
/2013/12/24215.html


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Holger Löttel (Bearb.): Adenauer und die FDP

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Die FDP hat in der Ära Adenauer eine herausragende Rolle gespielt. Bis auf einen kurzen Zeitraum von gut einem Jahr gehörte sie immer der Bundesregierung an, und Adenauer hatte auf die Belange des liberalen Koalitionspartners stets mehr oder weniger Rücksicht zu nehmen. Das war auch deshalb schwierig, wie der Bearbeiter der Edition, Holger Löttel, in der Einführung mit Recht betont, weil die FDP "konstant unberechenbar" blieb (8). So ist der Fokus der Edition nicht auf die Inhalte der Politik in der Ära Adenauer und die Einflussnahme der Liberalen darauf gerichtet. Stattdessen sollen die zahlreichen Dokumente die "Bildung, Funktionsweisen und Krisen von Regierungsbündnissen in der Bundesrepublik" unter Bundeskanzler Adenauer beleuchten (7).

Abgedruckt sind 238 Briefe, Vermerke und Protokolle, davon 188 erstmals. Ein sehr großer Teil dieser Aktenstücke, nämlich 86, entstammt dem Nachlass Adenauer. Groß ist auch die Zahl der Dokumente aus den Nachlässen der führenden FDP-Politiker Franz Blücher - 28 - und Thomas Dehler - 29 - sowie von Adenauers Staatssekretär Hans Globke - 22. Ein zentraler Stellenwert kommt den Informationsberichten des Journalisten Robert Strobel zu, von denen 40 meist in Auszügen zum Abdruck kommen. Strobel stand in ständigem Kontakt zu zahlreichen einflussreichen Bonner Politikern und verfasste über alle Gespräche und Informationen, die ihm zugetragen wurden, ausführliche, nicht zur Veröffentlichung bestimmte Informationsberichte, deren Quellenwert - wie Vergleiche belegen - sehr hoch zu veranschlagen ist. Daneben kommen noch Dokumente aus weiteren zahlreichen Beständen zum Abdruck. Dem Bearbeiter gelingt es auf diese Weise, das Verhältnis von Adenauer zur FDP detailliert zu dokumentieren.

Im Zentrum der Edition stehen drei Wortprotokolle von Koalitionsbesprechungen zwischen führenden Unionspolitikern und FDP-Politikern im Dezember 1955 (484-704). Die Koalition befand sich damals in einer tiefen Krise, die insbesondere durch Reden des FDP-Partei- und Fraktionsvorsitzenden Thomas Dehler zur Außenpolitik ausgelöst worden war - Reden, die das persönliche Verhältnis zwischen Dehler und Adenauer zutiefst erschütterten. Hierzu ist das Wesentliche bereits in den Biografien über Adenauer [1] und Dehler [2] nachzulesen. Die Lektüre der Wortprotokolle erlaubt darüber hinaus eine Einsichtnahme in die Methoden des Bundeskanzlers im Umgang mit Politikern, die er "erledigen" wollte. So trieb er Dehler "mit brachialer Gewalt in die Enge" (75) und kanzelte ihn wie einen Delinquenten "in einem östlichen Schauprozess" ab. [3] Eine sachliche Diskussion lehnte der Bundeskanzler wiederholt mit dem Argument ab, dass diese "keinen Zweck" habe (562). Mit dieser Feststellung beendete er auch das Treffen am 7. Dezember und machte eine Fortsetzung des Gesprächs von der Klärung der Frage abhängig, "ob wir noch eine Koalition sind oder nicht" (632). Als nach einer Woche die Delegationen zu einem weiteren Treffen zusammentrafen, war die Stimmung nicht besser geworden. Dehler hatte wieder drei Wahlkampfreden gehalten, die von Adenauer heftig moniert wurden. Versuche Dehlers, diese zu erklären und sich zu verteidigen, wies Adenauer zurück. Ihm ging es darum, Dehler aus der Führung der FDP zu entfernen. Dehler wirkte in allen drei Diskussionsrunden mehr oder weniger hilflos, und am Ende stellte der Kanzler im Hinblick auf eine weitere Zusammenarbeit mit Dehler fest, er sei "hoffnungslos" (704). Hatte es demnach den Anschein, dass das Band zwischen Adenauer und Dehler endgültig zerschnitten sei, so zeigten Fühlungsnahmen zwischen beiden im Jahr 1956 das Gegenteil.

Nach der Spaltung der FDP-Fraktion im Februar 1956 war nur noch eine Minderheit in der Bundesregierung verblieben, die sich wenig später als Freie Volkspartei konstituierte. Da sich diese Gründung schon bald als wenig erfolgreich erwies und Dehler im März mit dem "Wunsch nach einer Generalbereinigung aller persönlichen und sachlichen Differenzen" an Adenauer herantrat (761), ergab sich eine neue Konstellation. Adenauer reagierte grundsätzlich positiv und war offensichtlich bereit, die Koalition mit der FDP wiederherzustellen und Dehler gar als Vizekanzler in die Regierung aufzunehmen. Dies knüpfte er jedoch an eine Reihe von Bedingungen, insbesondere die Wiederherstellung der CDU-FDP-Regierung in Nordrhein-Westfalen, die sich trotz aller Bemühungen Dehlers letztlich nicht erfüllen ließen. Gleichwohl zeigt dieser Vorgang, dass Adenauers Verhältnis zu Dehler hauptsächlich durch machtstrategische Überlegungen bedingt war.

Auch nach Dehlers Ausscheiden aus den führenden Parteiämtern und deren Übernahme durch Reinhold Maier und Erich Mende blieb das Verhältnis zwischen Adenauer und der FDP schwierig. Besonders in den Tagen vor und nach den Bundestagswahlen von 1961 kam es zu großen Spannungen, da die FDP-Führung unter Mende einen Wahlkampf führte, der auf eine Fortsetzung der Koalition mit der CDU ausgerichtet war, aber auf eine Ablösung Adenauers als Bundeskanzler abzielte. Auch diese Vorgänge, in denen Adenauer mit großem Geschick agierte und seine erneute, zwar zeitlich befristete Kanzlerschaft durchzusetzen wusste, werden durch zahlreiche Dokumente verdeutlicht. Das Gleiche trifft für die Spiegel-Affäre ein Jahr später zu.

Als Resümee kann festgestellt werden, dass die Beziehungen zwischen der Union und der FDP während der Kanzlerschaft Adenauers noch nie so detailliert dokumentiert worden sind wie in dieser Edition. Der Bearbeiter hat sie mit einer umfangreichen Kommentierung versehen, die ihre Benutzung sehr erleichtert. Zu loben ist auch die 100 Seiten umfassende inhaltliche Einleitung, die dem Leser eine eingehende Orientierung ermöglicht. Auch wenn die Edition keine grundlegend neuen Erkenntnisse vermittelt, so macht sie doch eine Fülle von Quellen erstmalig zugänglich, mit deren Hilfe das Funktionieren der Kanzlerdemokratie unter Adenauer in einer Art und Weise dokumentiert wird, wie das bisher nicht der Fall war.


Anmerkungen:

[1] Vgl. Hans-Peter Schwarz: Adenauer. Der Staatsmann: 1952-1967, Stuttgart 1991, 249-264.

[2] Vgl. Udo Wengst: Thomas Dehler 1897-1967. Eine politische Biographie, München 1997, 277 f.

[3] Hans-Peter Schwarz: Adenauer. Der Staatsmann: 1952-1967, Stuttgart 1991, 256.

Udo Wengst