Horst Carl / Hans-Jürgen Bömelburg (Hgg.): Lohn der Gewalt. Beutepraktiken von der Antike bis zur Neuzeit (= Krieg in der Geschichte (KRiG); Bd. 72), Paderborn: Ferdinand Schöningh 2011, 264 S., einige s/w-Abb., ISBN 978-3-506-77346-3, EUR 39,90
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Mit ihrem Sammelband zu Beutepraktiken von der Antike bis zur Neuzeit betreten Horst Carl und Hans-Jürgen Bömelburg zum Großteil wissenschaftliches Neuland. Die Beiträge des Bandes entstanden vor unterschiedlichen Hintergründen, wurden wegen ihrer verwandten Themen zusammengefasst und durch eine umfangreiche und vielschichtige Einleitung verbunden.
"Aufhänger" des Bandes ist der Artikel Johann Georg Krünitz' zu Beute im Krieg von 1790. [1] Er wird als diejenige Literatur zum Komplex des Beutemachens angeführt, die den größten Zeitraum abzudecken vermag. Dies allein kann das Ausmaß des Forschungsdefizites aufzeigen. Als einige der wenigen Beispiele für aktuellere Literatur, die diesem Defizit für die Zeit vom späten Mittelalter bis zur frühen Neuzeit entgegenwirken, werden Fritz Redlich und Philippe Contamine angeführt. [2] In den meisten Publikationen fristet das Thema der Beute jedoch weiterhin nur ein Schattendasein. Dennoch sei ein wachsendes Interesse nicht von der Hand zu weisen. Nach der Betrachtung der Forschungsgeschichte widmen sich die Autoren den verschiedenen Aspekten der Beute und des Beutemachens: dem rechtlichen Aspekt und der Legitimität sowie den verschiedenen Dimensionen des Nutzwertes von Beute, vom rein Ökonomischen über das Prestige bis hin zum Fetischcharakter von Beutegut. Neben der Beute selbst sind auch die beutemachenden Gewaltgemeinschaften Gegenstand der Beiträge, wodurch die Autoren beide Komplexe abzudecken versuchen. Anzumerken ist, dass das Thema der Gewalt, auf das immerhin im Titel des Bandes Bezug genommen wird, nur am Rande Erwähnung findet (24f). Die umfangreiche Einleitung liefert eine große Menge an Informationen und beleuchtet viele Aspekte zum Gegenstand der Untersuchung. Jedoch wirkt der Aufbau assoziativ und erschwert dadurch den schnellen Zugang bei spezifischen Fragen.
Die neun Aufsätze Sammelbandes fokussieren jeweils einen anderen Teilaspekt des Themenkomplexes und sind zudem auch chronologisch disparat. Michael Jucker eröffnet mit Vorschlägen zur Systematisierung des Forschungsgegenstandes "Beute". Anhand von drei Arten des Zuganges zeigt der Autor die potentiellen Möglichkeiten auf, sich dem Thema des Beutegutes zu nähern. Weiterhin stellt er Beutelisten als kaum beackertes Forschungsfeld anhand von Beispielen aus dem 15. Jahrhundert vor. Christoph Krampe betrachtet den rechtlichen Aspekt der Entschädigung bei Verlusten durch Piraterie in Antike und Neuzeit. Dabei wird an das Thema Beute aus der Perspektive der Beraubten herangegangen, wodurch sein Beitrag als Einziger die Opfer von Plünderung fokussiert. Am Beispiel von Orosius' Beschreibung des Eroberung Roms durch Alarich II. zeigt Mischa Meier die Schwierigkeiten auf, die der Verwendung historischer Quellen auf der Suche nach Informationen entgegenstehen können. Cora Dietl akzentuiert die unterschiedlichen Verwendungsweisen von Gaben im Roman "Herzog Ernst B.". Die Funktion der Gabe ist dabei oftmals als ein Element der Beute verstanden worden, das nach der Aneignung durch die Verteilung an die Gefolgschaft zum Tragen kommt. Hierbei ist die Gabenhierarchie sowie die durch Gaben geschaffene Verbindung, insbesondere die Bindung des Empfangenden, von großer Bedeutung.
Welche entscheidende Rolle Beute und Plündergut (zum Unterschied: 151) für den Unter- und Zusammenhalt von Gewaltverbänden haben kann, wird von Guido M. Berndt am Beispiel von gotischen Kriegergrupppen des 5. und 6. Jahrhunderts vorgeführt. Er zeigt, dass "Raubwirtschaft" (145) oft aus der Not heraus betrieben und bei der Möglichkeit zur Aufnahme alternativer Wirtschaftsformen auch schnell aufgegeben wurde. Stefan Xenakis stellt in seinem Beitrag das Verhältnis von Sold und Beute in Söldnerheeren im Süddeutschland des 16. Jahrhunderts vor und verdeutlicht, dass oftmals nüchterne ökonomische Abwägung von Sold und Plündergut die Entscheidung der Krieger prägte. Die Verteilung von Beute geschah vielfach nach einem festen Schlüssel, der den Kampfwert und den Stand der Personen berücksichtigte. Auch macht er deutlich, dass Plünderzüge durchaus auch von Nichtkombattanden durchgeführt wurden. Die elementare Rolle von Beute im Leben der Kosaken betrachtet Daria Starčenko für das 17. Jahrhundert im Grenzraum zum Osmanischen Reich. Dies wurde von polnischer Seite insofern genutzt, als dass die kosakischen Beutezüge gezielt zur Schwächung eingesetzt wurden. Auf der anderen Seite ließen sich die Kosaken nur zum Teil durch die polnische Verwaltung einbinden und hielten sich nicht immer an die auferlegten Beschränkungen ihrer Beutezüge zu Land und zu Wasser.
Auch Andreas Helmedach betrachtet die Grenzregion zum Osmanischen Reich. Er konzentriert sich auf die nordwestliche Balkanhalbinsel im 17. und 18. Jahrhundert. In dieser Zeit waren Überfälle von Räuberbanden auf die Zivilbevölkerung an der Tagesordnung. Auch wenn diese Gruppen auf eigene Faust agierten, scheint es, dass die lokale Administration auf osmanischer Seite dennoch gut über die Mitglieder Bescheid wusste und dem Handel mit Beutegut - und vor allem Sklaven - nicht im Wege stand. Im letzten Beitrag betrachtet Stephanie Zehnle die Rolle von Beute in der Gesellschaft der Ruga-Ruga im Ostafrika des 19. Jahrhunderts. Das Erplündern und die Vergabe von Beutegut stellten in diesen Gruppen die konstituierenden Elemente dar. In der Konsequenz wurden die Kriegsherren "Manager der Gewalt" (228) und handelten rational, um sich und ihre Leute zu versorgen. Dabei mussten sie auf den lokalen Gewaltmärkten ein Gleichgewicht finden, da allzu intensive Aktivitäten das Land dauerhaft ausgeblutet hätten.
Auch wenn mit der Zusammenstellung der Aufsätze eine große Vielfalt an Perspektiven erreicht worden ist, wird das Gesamtbild des ambitionierten Projektes durch den einen oder anderen Beitrag getrübt, der nur im entferntesten Sinne mit dem Thema Beute in Verbindung steht. Auf diese Weise wird der rote Faden, der aufgrund der thematischen und chronologischen Diversität der Aufsätze ohnehin recht dünn ist, dem Leser stellenweise verborgen bleiben müssen. Auch ist den Beiträgen anzumerken, dass sie nicht zum Zwecke einer gemeinsamen Publikation verfasst wurden, was die separate Lektüre zwar erleichtert, aber für ein zusammenhängendes Verständnis nicht förderlich ist.
Der Sammelband ist ein behutsames Herantasten an das hochkomplexe Forschungsfeld der Gewalt, Gewaltgruppen und Beute. Ein Themengebiet wie dieses vermag ein einzelner Band niemals erschöpfend zu behandeln. Allerdings können sondierende Vorstöße dokumentiert und exemplarisch kleine Teilgebiete des Feldes abgehandelt werden. Genau dies wurde durch die Aufsatzsammlung erreicht. Durch die Lektüre des Bandes wird die volle Breite des Themenbereiches bewusst und die ausführlichen Anmerkungs- und Literaturapparate ermöglichen einen raschen, tieferen Einstieg in die Thematik. Es bleibt zu hoffen, dass das dies nur die erste von mehreren Abhandlungen über und um das Thema Beute und Gewaltgruppen sein wird.
Anmerkungen:
[1] Johann Georg Krünitz' "Ökonomisch-technische Encyklopädie, oder allgemeines System der Staats- Stadt-, Haus- und Landwirtschaft und der Kunstgeschichte" ist vollständig digitalisiert und online zugänglich: http://www.kruenitz1.uni-trier.de. Der entsprechende Artikel ist unter "KRIEGS=BEUTE" zu finden.
[2] Fritz Redlich: De Praeda Militari. Looting and Booty 1500-1815, Wiesbaden 1956; Philippe Contamine: The Growth of State Controll, Practices of War, 1300-1800. Ransom and Booty, in: War and Competition between States, hg. von Philippe Contamine, Oxford 2000, 163-193.
Michael Zerjadtke