Rezension über:

Marie Bunatová: Die Prager Juden in der Zeit vor der Schlacht am Weißen Berg. Handel und Wirtschaftsgebaren der Prager Juden im Spiegel des Liber albus Judeorum 1577-1601, Kiel: Solivagus Verlag 2011, 341 S., 1 Kartenbeilage, ISBN 978-3-9812101-6-3, EUR 49,90
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Rezension von:
Tobias Weger
Bundesinstitut für Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa, Oldenburg
Redaktionelle Betreuung:
Christoph Schutte
Empfohlene Zitierweise:
Tobias Weger: Rezension von: Marie Bunatová: Die Prager Juden in der Zeit vor der Schlacht am Weißen Berg. Handel und Wirtschaftsgebaren der Prager Juden im Spiegel des Liber albus Judeorum 1577-1601, Kiel: Solivagus Verlag 2011, in: sehepunkte 14 (2014), Nr. 2 [15.02.2014], URL: https://www.sehepunkte.de
/2014/02/24652.html


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Andere Journale:

Diese Rezension erscheint auch in der Zeitschrift für Ostmitteleuropa-Forschung.

Marie Bunatová: Die Prager Juden in der Zeit vor der Schlacht am Weißen Berg

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Prag als Residenzstadt Kaiser Rudolfs II. war in den vergangenen Jahren, mit besonderer Berücksichtigung seiner künstlerischen und wissenschaftlichen Ausstrahlung, mehrfach Objekt geschichtswissenschaftlicher Überblicks- und Detailstudien, aber auch viel beachteter kulturhistorischer Sonderausstellungen in Prag. Auch das mannigfaltige Leben der damals bedeutenden jüdischen Gemeinde um das Jahr 1600 ist bereits vielfach beachtet worden. Zumeist standen dabei kulturelle Aspekte - etwa die Errichtung neuer Synagogen, die Philosophie, Fragen der Gemeindeverfassung oder der Buchdruck - im Vordergrund. Die vorliegende Studie von Marie Buňatová, zugleich ihre an der Universität Wien betreute Doktorarbeit, erweitert unsere Kenntnis von der jüdischen Gemeinde Prags um wichtige strukturelle, rechtliche und wirtschaftliche Aspekte, indem die ökonomischen Aktivitäten der Prager Juden auf einer soliden Quellengrundlage und unter Einbeziehung von wirtschafts- und kulturhistorischen Forschungsansätzen analysiert und dargestellt werden.

Die Autorin, die bereits vergleichbare Untersuchungen, etwa zu den wirtschaftlichen Aktivitäten der Juden im mährischen Nikolsburg (Mikulov), vorgelegt hat, beginnt mit einem für das Verständnis ihrer nachfolgenden Ausführungen wichtigen Abriss der Rechtsstellung der Juden in Prag und in den Böhmischen Ländern vom ausgehenden 15. Jahrhundert bis zum Jahre 1620. Im folgenden Kapitel wird veranschaulicht, welche steuerlichen Pflichten den Prager Juden auf unterschiedlichen Ebenen (Stadt, Land) auferlegt waren. Sehr einprägsam zeichnet der Text den Konkurrenzkampf zwischen städtischen und landesherrlichen Stellen nach, in dessen Mühlen die Juden in Prag gerieten, was zu einer überproportional hohen Besteuerung führte.

Ein besonderes Augenmerk widmet die Verfasserin dem Geldgeschäft, das in der stereotypen Vorstellung am ehesten mit Wirtschaftsaktivitäten von Juden in Verbindung gebracht wird. Vor dem Hintergrund zeitgenössischer Beurteilungen aus der allgemeinen Literatur, der Rechtslage und der wirtschaftlichen Praxis in den Böhmischen Ländern stellt sie dar, wie die Legalisierung des Kreditgeschäfts für Christen in der Frühen Neuzeit zu einer ernsthaften Konkurrenz, aber auch zu verstärkten Interaktionen geführt habe. Im Einzelnen werden die Kreditbeziehungen zum Herrscher, zum hohen und niederen Adel sowie zum Bürgertum nachvollzogen.

Die veränderten Bedingungen bewirkten eine Schwerpunktverlagerung auf den Warenhandel, aber auch auf spezialisierte Handwerkszweige. Der Handel bediente sowohl die lokalen und regionalen als auch die internationalen Märkte. Aufschlussreich sind die Ausführungen zum Fernhandel der Prager Juden. Vor dem geistigen Auge des Lesers lässt Buňatová ein weit gespanntes wirtschaftliches Beziehungsgeflecht aufscheinen, aus dem Märkte in Schlesien, Polen, Österreich und Sachsen besonders hervorragen. Auf diesem Sektor erwiesen sich auch jüdische Frauen als professionelle Akteurinnen - ein Befund, den die Autorin mit dem Hinweis auf vergleichbare Tendenzen bei christlichen Unternehmerinnen jener Zeit relativiert. Buňatová zufolge erwiesen sich die Prager Juden als anpassungsfähige Händler, die in der Lage waren, sich bei ihrem Angebot rasch an aktuellen Bedürfnissen zu orientieren. Handwerklichen Aktivitäten, sieht man einmal von Luxusgewerben wie Goldschmied oder Juwelier ab, widmeten sich insbesondere die weniger wohlhabenden Schichten der Prager jüdischen Bevölkerung.

Einige der vorgestellten Einzelpersönlichkeiten wie der Unternehmer Markus Mordechai Meisl (1528-1601), an den noch heute eine Straße in der Prager Judenstadt (Josefov) erinnert und dessen Grabmal sich auf dem Alten Jüdischen Friedhof erhalten hat, sind bereits in der Vergangenheit in biografischen Studien untersucht worden. Ihr vielschichtiges Wirken in Wirtschaft, Politik, Mäzenatentum und Geistesleben erfährt durch Buňatová Monografie eine neue Kontextualisierung und wird damit noch plastischer. Verdienstvoll sind aber auch die am Ende der Arbeit aufgeführten, nach wie vor existierenden Desiderata der Forschung.

Neben dem Liber albus Judeorum, einer ab 1577 geführten Aufzeichnung von Rechtsakten, an denen Juden beteiligt waren, nutzte die Autorin eine Vielzahl weiterer Quellen aus dem Archiv der Hauptstadt Prag, dem Nationalarchiv in Prag und dem Hofkammerarchiv in Wien. Außerdem konnte sie auf einen breiten Fundus an Forschungsliteratur zurückgreifen, die in einer ausführlichen Bibliografie aufgeführt wird. Ein dem Band angefügtes Faksimile eines Prag-Plans von 1816, bei dem die Judenstadt vergrößert gezeigt wird, erleichtert die topografische Orientierung, zumal sich nach der Ende des 19. und Anfang des 20. Jh. vollzogenen "Sanierung" dieses Stadtviertels dessen Straßenzüge und Bebauungsstruktur grundlegend verändert haben.

Die Lesefreude wäre perfekt, hätte man den Text an manchen Stellen noch einer sorgfältigen sprachlichen Endredaktion unterzogen, für die wohl kein Budget vorgesehen war. Infolgedessen stößt der Leser leider auf unglückliche, wenngleich auch in der heutigen deutschen Geschichtswissenschaft und Publizistik noch anzutreffende Adjektivverbindungen wie "jüdischer Kredit", "jüdischen Handel" oder "jüdisches Geschäft". Indirekt tragen solche Formulierungen (die bei manchem Leser unbewusst eine Ethnisierung und Charakterologie der Juden evozieren) zu einer erneuten Stereotypisierung bei und wirken sich damit gegenüber der Intention des Buches, zur geschichtlichen Aufklärung beitragen zu wollen, kontraproduktiv aus. Kleine Artikelfehler oder Bohemismen können den positiven Gesamteindruck nicht einschränken - Marie Buňatová Buch wird mit Sicherheit verdientermaßen einen bleibenden Platz unter den Judaica Pragenses erhalten.

Tobias Weger