Rezension über:

Christine Brocks: Bildquellen der Neuzeit (= Historische Quellen Interpretieren), Paderborn: Ferdinand Schöningh 2012, 171 S., ISBN 978-3-8252-3716-5, EUR 16,99
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Rezension von:
Eveline Bouwers
Leibniz-Institut für Europäische Geschichte, Mainz
Redaktionelle Betreuung:
Sebastian Becker
Empfohlene Zitierweise:
Eveline Bouwers: Rezension von: Christine Brocks: Bildquellen der Neuzeit, Paderborn: Ferdinand Schöningh 2012, in: sehepunkte 14 (2014), Nr. 6 [15.06.2014], URL: https://www.sehepunkte.de
/2014/06/22506.html


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Christine Brocks: Bildquellen der Neuzeit

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Dass sich auch Bilder für die Analyse historischer Ereignisse eignen, ist längst kein Novum mehr. Gerade im deutschsprachigen Raum, wo sich mit Warburg cum suis vergleichsweise früh eine Sensibilität für das Kommunikationspotenzial von Bildern - und somit für deren historische Aussagekraft - entwickelte, hat seit letzter Zeit die Idee, dass Bilder nicht nur als Illustrationen der Geschichte, sondern als deren Instrumentarium, und somit als gleichwertiger Bestandteil des Quellencorps, zu verwenden seien, an Popularität gewonnen. Dass dennoch viele Historiker zögerlich mit Bildern umgehen, mag als Anstoß für Christine Brocks Bildquellen der Neuzeit gedient haben. Auf 140 Seiten fragt die Autorin nach Wesen, Form und Geschichte unterschiedlicher Bildgattungen, vor allem aber nach dem geschichtswissenschaftlichen Umgang mit und Zugang zu Bildquellen. Bildquellen der Neuzeit ist systematisch angelegt und zugänglich geschrieben, was besonders Neulinge der historischen Bildkunde erfreuen wird.

Die Einführung erläutert das Ziel des Buchs und dessen Gegenstand. Angestrebt wird eine Zusammenfassung der "wichtigsten theoretischen, methodischen und praktischen Aspekte rund um die historische Bildinterpretation" (7); durchgeführt wird diese anhand einer Analyse reproduzierbarer visueller Medien, die nach der Mitte des 18. Jahrhunderts entstanden sind - der Schwerpunkt liegt also auf "der 'Sattelzeit' der modernen Bildpublizistik" (7). Es werden drei Funktionen des Bildes erläutert: das Bild als historischer Beweis; als Repräsentation einer historischen bzw. Konstrukt einer erfundenen Wirklichkeit; als Bildakte, d.h. als Objekt, das seine Umgebung mitgestaltet. Es folgt ein, mithilfe der Frage "Was ist ein Bild?" strukturierter, methodischer Überblick, welcher sich auf eine zwangsläufig knappe Besprechung einiger theoretischer Ansätze wie die der Bildsemiotik (das Bild als Zeichen), der Bildphänomenologie (als autonomes Objekt) und die der, von Brocks bevorzugten, Bildfunktionalität (als Instrument zur Herstellung von Praktiken und Sichtbarmachung von Unsichtbarem) beschränkt. Abschließend werden die Schritte der Bildanalyse vorgestellt. Die sechs Kapitel, die den Hauptteil formen, sind Bildgattungen gewidmet: Plakate; Bilderbogen, Karikatur und illustrierte Zeitschrift; Postkarten und Sammelbilder; Fotografie; Film; Fernsehen. In jedem Kapitel wird die jeweilige Gattung begrifflich erklärt, ihre Entstehung sowie förmliche/funktionalistische Differenzierung erläutert, einschlägige Sekundärliteratur zitiert und einige Beispiele exemplarisch ausgearbeitet. Am Ende folgen stets 'Leitfragen für die Interpretation' des Bildes: eine didaktisch-konzipierte Liste mit Schritten, wie an die Bildquelle einer jeweiligen Gattung herangetreten werden soll. Auf die Einzelkapitel folgen ein knappes Fazit, eine hilfreiche Bibliografie und Linksliste, sowie ein Glossar.

Mit Bildquellen der Neuzeit schließt Brocks an, wo Wegbereiter der historischen Bildkunde aufgehört haben; hat z.B. Peter Burke einst zum Gebrauch von Bildquellen überhaupt aufgerufen [1], ist Brocks Buch nicht länger als "Plädoyer" (143) für die geschichtswissenschaftliche Betrachtung des Mediums Bild gedacht, sondern als Hilfe bei dessen Analyse. Zentral steht hier also nicht im Fokus, dass überhaupt mit Bildquellen zu arbeiten sei, sondern vielmehr 'wie'. Zwar betritt Brocks dabei kein Neuland, es gelingt ihr aber mehrere Forschungsstränge zusammenzuführen. Bisher richteten sich Studien zu Bildquellen oft entweder auf methodische bzw. theoretische Überlegungen [2] oder auf Einzelbeispiele, die entweder aufgrund ihrer Gattungsspezifika [3] oder ihrer thematischen [4] oder epochalen [5] Kohärenz verbunden sind. Der programmatische Ansatz von Bildquellen der Neuzeit, das systematische Zusammendenken von Theorie und Praxis, die Heterogenität der Bildgattungen und deren epochenübergreifender Charakter sowie Brocks zugänglicher Schreibstil sind die Unterscheidungsmerkmale dieses Buches.

Brocks gelingt eine knappe Einführung zu einem bekanntlich differenzierten Forschungsfeld. Der Knappheit des Textes sei es geschuldet, dass der theoretische Bezug eher oberflächlich und die Analyse der Beispiele stichprobenartig bleiben. Problematisch ist aber, dass sich hinter dem Titel Bildquellen der Neuzeit ein Buch versteckt, dass ausschließlich Bilder, die nach 1750 entstanden sind, eine zweidimensionale Form haben und für die Öffentlichkeit konzipiert wurden, betrachtet. Die Begründung Kunstwerke auszuklammern, weil ihre Quellenfunktion schon andernorts [6] diskutiert wurde, überzeugt kaum; mit Blick auf den von Brocks privilegierten funktionalistischen Bildbegriff wäre gerade ein Vergleich von Bildern, die ursprünglich für ein privates bzw. öffentliches Publikum gedacht waren, interessant gewesen. Auch wird das Problem vom zweiten Bildniveau - ein Abbild/Abdruck vom Bild [7], z.B. wie es bei William Prices inszenierter Fotografie "Don Quixote in his study" (89) der Fall ist - nicht genügend thematisiert. Unzureichend ist auch, dass die Autorin nur Beispiele aus Deutschland (Kaiserreich und BRD), Österreich, Großbritannien und den USA heranzieht. Für die Karikatur wären der Franzose Honoré Daumier, für den Film die italienische kinematografische Tradition Schlüsselbeispiele gewesen - geschweige denn die Inklusion von nicht-westlichen Beispielen.

Auf die Frage, ob das Buch von Christine Brocks neue theoretische Erkenntnisse oder praktische Ansätze für die historische Bildkunde enthält, ist die Antwort schlichtweg nein. Das ist aber auch nicht Brocks' Anliegen. Vielmehr leistet sie den Versuch, einen zusammenfassenden Überblick über die jetzige Forschungsliteratur und den Lesern eine Art 'toolkit' für die historische Analyse von Bildquellen zu liefern. Und dieser Versuch ist ihr zweifellos gelungen. Bildquellen der Neuzeit ist ein guter Einstieg für jeden, der mehr über das Potenzial des Mediums Bild als historische Quelle wissen möchte.


Anmerkungen:

[1] Peter Burke: Augenzeugenschaft. Bilder als historische Quellen, Berlin 2003.

[2] Gerhard Paul: Visual History. Ein Studienbuch, Göttingen 2006; Jens Jäger / Martin Knauer (Hgg.): Bilder als historische Quellen? Dimension der Debatten um historische Bildforschung, München 2009.

[3] Jens Jäger: Fotografie und Geschichte, Frankfurt am Main 2009.

[4] Uwe Fleckner / Martin Warnke / Hendrik Ziegler (Hgg.): Handbuch der politischen Ikonographie, 2 Bde., München 2011.

[5] Gerhard Paul (Hg.): Das Jahrhundert der Bilder, 2 Bde., Göttingen 2008/2009.

[6] Bernd Roeck: Das historische Auge. Kunstwerke als Zeugen ihrer Zeit. Von der Renaissance zur Revolution, Göttingen 2004.

[7] Peter Geimer: Bilder aus Versehen: Eine Geschichte fotografischer Erscheinungen, Hamburg 2010.

Eveline Bouwers