Rene Pfeilschifter: Der Kaiser und Konstantinopel. Kommunikation und Konfliktaustrag in einer spätantiken Metropole (= Millennium-Studien zu Kultur und Geschichte des ersten Jahrtausends n. Chr.; Bd. 44), Berlin: De Gruyter 2013, XVI + 722 S., Einlegekarte, ISBN 978-3-11-026590-3, EUR 129,95
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Seit sich Konstantin der Große am Goldenen Horn eine Residenzstadt geschaffen hatte, wurde das Band zwischen Konstantinopel und den ihm folgenden Kaisern immer fester geschnürt. Diese Verbindung intensivierte sich noch, als der Kaiser die Stadt nicht mehr verließ, sehr wohl aber innerhalb der Stadt öffentlich auftrat. Diese Zeit, von Theodosius I. bis Heraclius (395-624), bildet den Rahmen von Rene Pfeilschifters Habilitationsschrift, die nun in einer "überarbeiteten und leicht erweiterten" Fassung vorliegt. In ihr unterzieht der Autor die Verzahnung der spätantiken Kaiser mit der östlichen Hauptstadt einer umfassenden wie detailreichen Analyse, die zukünftig niemand, der sich mit dem spätantiken Kaisertum beschäftigt, unberücksichtigt lassen kann.
Ausgehend von Egon Flaigs Modell versteht Pfeilschifter "die spätrömische Monarchie als Akzeptanzsystem" (so der Titel der Einleitung). Danach ist der Kaiser dazu verdammt, die "Akzeptanz" verschiedener Gruppen zu erhalten, da ihr Entzug seinen Thronverlust - und damit zumeist seinen Tod - bedeutete. Daher gewinnt die Untersuchung von Usurpationen, als Beispiele für den Verlust von Akzeptanz, besondere Bedeutung (9-14). Da das Akzeptanzmodell den Grundpfeiler der vorliegenden Studie darstellt, widmet ihm der Autor eine ausführliche Einleitung (1-40), in der zunächst die Möglichkeit aufgezeigt wird, das genannte Modell auf die Spätantike und speziell die Verhältnisse im Osten des Reiches anwenden zu können (18-24).
Bei der Analyse der Akzeptanzgruppen geht Pfeilschifter von der schon beinahe klassisch zu nennenden Trias aus, bestehend aus plebs urbana, Senatoren und Heer, stellt ihr aber mit der Geistlichkeit einen "neue[n] soziopolitische[n] Faktor" an die Seite (29). [1] Die Geistlichkeit wird wiederum gegliedert in hohen Klerus, verkörpert insbesondere durch den Patriarchen von Konstantinopel, sowie niedereren Klerus und in der Hauptstadt ansässige Mönche (32-35).
Allen vier Gruppen werden in der Folge ausführliche Kapitel gewidmet (Armee: 29. 211-251; Volk: 29-31. 294-354; Geistlichkeit: 32-35. 355-451; Eliten 31-32. 452-510), hinzu kommen vier Kapitel, die "Interpretationen einzelner, wichtiger Krisen oder Zeitabschnitte" bringen, "in denen mehrere oder sogar alle Akzeptanzgruppen zusammenwirken." (38) Dieses Phänomen untersucht Pfeilschifter - jeweils in ausführlichen Analysen - anhand des in den letzten Jahren mehrfach untersuchten Nika-Aufstandes (178-210), des Sturzes Kaiser Mauricius' 602 (252-293), der unsicheren Situation der Kaiser Leo I. und Zeno in den Jahren 457-491 (511-561) sowie den geglückten Usurpationen des Basiliscus und des Phocas (562-605).
Nicht nur die schiere Zahl der konsultierten Quellen weiß zu beeindrucken, auch die Benutzung teilweise entlegener chronologischer und hagiographischer Werke ist bemerkenswert. Bei einem Buch solchen Umfangs, das eine Vielzahl unterschiedlichster Aspekte beleuchtet, fehlende Literatur anzumahnen, wirkt, vor allem bei einem Literaturverzeichnis von 36 Seiten (630-666), schnell kleinlich. Trotzdem sei auf Claudia Sodes detailreiche Analyse der Krönung Justins (165-172) ebenso hingewiesen wie auf Rafał Kosińskis wichtige Monographie über Kaiser Zeno. [2]
Insgesamt legt der Autor zu allen behandelten Bereichen sehr selbstständige Interpretationen vor, die stets auf einer breiten Quellenbasis ruhen und zugleich eine intensive Auseinandersetzung mit der Forschung zeigen, so etwa die ausführliche Diskussion über die Isaurier (540). Der Autor kann glaubhaft machen, dass die bisherigen Untersuchungen die isaurischen Großen der Zeit vom 1. bis 6. Jahrhundert - qualitativ unverändert - als Warlords deklariert haben, "die ihre archaischen Verhaltensweisen und Prioritäten auf Konstantinopel übertragen, [...] in der Sache unverändert, nur ins Übergroße gesteigert." [3] Dagegen zeigt Pfeilschifter, dass es im Laufe der Spätantike einen "qualitativen Sprung" gegeben hat: Die Kämpfe zur Zeit Zenos waren "in erster Linie [...] Auseinandersetzungen um die Kontrolle des Staates zwischen römischem Kaiser und römischer Oberschicht" und nicht Kämpfe "barbarischer" Halbwilder gegen Rom.
Eine der zahlreichen Stärken des Buches - die eigenständigen, oftmals herausfordernden Interpretationen - wird in manchen Punkten Kritik hervorrufen. So der Befund, "die vornehmsten Träger des Christentums" hätten im "soziopolitischen System" der Hauptstadt nur eine "Nebenrolle" gespielt (450). Da nur besonders charismatische Bischöfe ihren Einfluss hätten geltend machen können, bilde die Geistlichkeit letztlich keine Akzeptanzgruppe (451).
Da der Senatorenstand nur zum Teil in der Hauptstadt vertreten war, greift Pfeilschifter die "Eliten" weiter. Entscheidendes Kriterium ist für ihn vor allem Kaisernähe: "Eliten sind all jene, die mit dem Kaiser wenigstens gelegentlich als Individuen in Kontakt treten konnten." (31. 452) Für den Fokus des Buches, der auf dem Zusammenspiel von Kaiser und Hauptstadt liegt, ist dies ein nachvollziehbarer Ansatz. Doch werden auf diese Weise Personen sehr unterschiedlicher Provenienz und gesellschaftlicher Stellung zusammengefasst. Auf diese Weise entsteht der Eindruck einer "Vereinzelung der Aristokraten" (452-465): "Die Eliten waren mehr mit dem Kaiser als untereinander verbunden." (507) Nicht nur Pfeilschifters eigene detaillierte Analyse der Usurpation des Basiliscus zeigt jedoch, dass die sich bekämpfenden Mitglieder der Elite oftmals eng verwandt, zumindest aber seit langem miteinander vertraut waren. Denn nicht nur dieses "Komplott war eine Familienangelegenheit." (539) Auch weitere Verschwörungen - genannt seien nur die letztlich gescheiterten Usurpationen des Marcianus 479 (551-554) oder des Illus 484-488 (557-560) - zeigen, wie eng vernetzt die Mitglieder der hauptstädtischen Eliten waren.
Doch all dies schmälert nicht den Wert dieser beeindruckenden Studie. Mit "Der Kaiser und Konstantinopel" liegt ein Werk vor, das seinem anspruchsvollen Titel vollends gerecht wird, da es dem Verfasser durchweg gelingt, das immense Material in eine sinnvolle Ordnung zu bringen. Hervorzuheben sind zudem die immer eigenständigen und scharfsinnigen, manchmal brillanten Interpretationen, die die gesamte Forschungsliteratur berücksichtigen und doch mit eigenen Deutungen aufwarten - leider können diese hier nur erwähnt, nicht aber näher vorgestellt werden. Die Frische der Gedanken spiegelt sich zudem in einer unverbrauchten, klaren, manchmal etwas flapsigen Sprache. Abgerundet wird der vorzügliche Gesamteindruck durch sehr ausführliche und - soweit die Stichproben einen solchen Schluss zulassen - zuverlässige Register (Stellen: 667-702; Sachen: 703-706; Personen und Orte: 707-722). "Der Kaiser und Konstantinopel" ist ein Buch, das die Wissenschaft auf Jahre hin mit unzähligen Impulsen, im Großen wie im Kleinen, befruchten wird.
Anmerkungen:
[1] Ähnlich jetzt auch ders.: Die Spätantike. Der eine Gott und die vielen Herrscher, München 2014, 196-197, 199-205.
[2] Claudia Sode: Die Krönung des Kaisers Justin I. im Zeremonienbuch Konstantins VII. Porphyrogennetos, Mediterraneo Antico 12 (2009), 429-448; Rafał Kosiński: The Emperor Zeno. Religion and Politics (= Byzantina et Slavica Cracoviensia; Bd. 7), Krakau 2010.
[3] Hier vermisst man ausführliche Diskussion bei Karl Feld: Barbarische Bürger. Die Isaurier und das römische Reich, Berlin / New York 2005, 207-338, ein Werk, das Pfeilschifter im Literaturverzeichnis aufführt und an verschiedenen Stellen (e. g. 513, Anm. 6; 560, Anm. 84) zitiert.
Christoph Begass