Basil Dufallo: The Captor's Image. Greek Culture in Roman Ecphrasis (= Classical Culture and Society), Oxford: Oxford University Press 2013, XIV + 280 S., 15 Abb., ISBN 978-0-1997-3587-7, GBP 45,00
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"Sowie es erobert war, eroberte Griechenland seinen rohen Bezwinger und brachte die Künste ins ländliche Latium" (Graecia capta ferum victorem cepit et artis / intulit agresti Latio, Horaz, Episteln 2.1.156-57) - dies berühmte horazische Diktum, welches dem Titel von Basil Dufallos neu erschienener Monographie zugrunde liegt ("The Captor's Image"), versinnbildlicht auf prägnante Weise den Einfluss hellenischer Kultur auf Rom. Die imitatio und aemulatio griechischer Vorbilder durchzieht in der Tat wie ein Leitfaden die Geschichte der lateinischen Literatur, und spielt, folgt man Dufallo, auch und gerade bei der Beschreibung griechischer Kunstwerke durch römische Autoren eine herausragende Rolle. Der Verfasser begreift Ekphrasis dementsprechend als "a site of cultural competition [...] both in the way that various Roman and Hellenic cultures themselves can be said to compete, through ecphrasis, for influence over a Roman sense of self and in the way that Roman ecphrastic authors vie to display their receptivity to Greek culture" (4). Bei diesem kulturellen Agon gehe es den Römern jedoch nicht einfach darum, die eigene Überlegenheit geltend zu machen, sondern ihre Identität immer wieder neu mit Blick auf die andere Kultur zu verhandeln: "to construct Roman identity as Greek, ambiguously, and with varying purposes, in social, cultural, and political terms" (2).
In jüngerer Zeit sind eine ganze Reihe exzellenter Studien zum Phänomen der Ekphrasis und zu Text-Bild-Relationen entstanden, die aufzuzählen den Rahmen der vorliegenden Besprechung sprengen würde (für einen guten Überblick der relevanten Sekundärliteratur, vgl. S. 2, Anm. 2). Dufallo erhebt den Anspruch, mit seiner Studie als erster eine systematische diachrone Darstellung von Ekphrasis in der römischen Literatur zu liefern; anhand exemplarischer Analysen ausgewählter Passagen versucht er, jenen transkulturellen Diskurs als deren wesentliches Charakteristikum herauszuarbeiten. Nach einer kurzen, sein Projekt in der aktuellen Forschungsdiskussion verankernden Einleitung betrachtet der Autor Kunstwerksbeschreibungen in verschiedenen Texten unterschiedlicher Gattungsprovenienz von der republikanischen bis in die flavische Zeit: Das erste Kapitel beschäftigt sich mit einer Gigantomachie-Darstellung in Naevius' Punica (von der jedoch nur drei Verse überliefert sind) sowie der verbalen Evokation von Gemälden auf der römischen Bühne (in Plautus' Menaechmi und Terenzens Eunuch). Auf die Analyse von Catulls carmen 64 (Kapitel 2) folgt eine Untersuchung zweier Texte, in denen ländliche Kunstobjekte (zwei aus Buchenholz gefertigte Becher in Ekloge 3 und eine Priapstatue in Horaz, Satire 1.8) als mögliches remedium gegen die in Rom herrschende Bürgerkriegsgefahr präsentiert werden (Kapitel 3). Während im Zentrum von Kapitel 4, das den Sonderstatus religiöser Bilder reflektiert, zwei Tempelbeschreibungen stehen (Georgica, 3.13-36; Properz 2.31), wendet sich Kapitel 5 heroischen Objekten in Vergils Aeneis und Ovids Metamorphosen zu. Hieran schließt sich ein Kapitel zu Petrons Satyrica (Kapitel 6) an sowie ein weiteres zu Statius und Martial (Kapitel 7), worin ein besonderes Augenmerk auf die Verbindung von Ekphrasis mit Panegyrik gerichtet ist. Die Studie wird durch einen kurzen, nicht sonderlich ergiebigen Epilog zu Apuleius' Goldenem Esel und Philostrats Imagines (dem einzigen näher betrachteten griechischen Text) abgeschlossen.
Insgesamt hat Dufallo eine konzeptuell ehrgeizige Arbeit vorgelegt, die ein weites Spektrum an Textmaterial behandelt und eine beeindruckende Kenntnis an Sekundärliteratur zu verschiedensten Autoren voraussetzt. Als besonders lobenswert ist hervorzuheben, dass der Verfasser durchaus nicht dem beklagenswerten Trend zeitgenössischer anglophoner Forschung folgt, primär oder ausschließlich auf Englisch publizierte Beiträge zu zitieren, sondern zahlreiche Arbeiten in anderen modernen Sprachen herangezogen hat. Auch verfügt er offensichtlich über ein gutes Sensorium für die Subtilität und Polyphonie der besprochenen Texte. Dennoch hat mich die Lektüre des Buches letztendlich enttäuscht und die hohen Erwartungen, welche seine Einleitung weckt, nicht erfüllt. Es drängt sich nämlich wiederholt die Frage auf, worin denn nun eigentlich der spezifisch innovative Beitrag des Autors zu den oftmals vieldiskutierten Passagen liegt (dass Dufallo immer wieder am Anfang eines Kapitels ganz einfach summarisch die Literatur nennt, von der er besonders profitiert habe - so zum Beispiel S. 116 Anm. 26, S. 142 Anm. 9 oder S. 152 Anm. 49 -, erschwert es gerade dem mit der jeweiligen Bibliographie weniger vertrauten Leser, wirklich neue Beobachtungen, falls vorhanden, als solche zu identifizieren). Das Kapitel zu Catulls carmen 64 etwa liest sich auf den ersten Blick sehr gut, aber das hier zum Beispiel zur Inkonsistenz des Erzählers, zum komplexen Spiel des Gedichts mit Zeitlichkeit sowie zu seinen Querverbindungen mit anderen Texten des Korpus Gesagte enthält nicht viel Neues (einschlägige Beiträge zum Thema erscheinen in Dufallos Bibliographie). Sein Versuch, die narrative Technik des Epyllions mit dem zweiten Stil römischer Wandmalerei in Analogie zu setzen, wirkt zudem gezwungen (so etwa: "Just as Catullus has his narrator, a product of his poetic art, issue a qualified invitation to enter into an archaic Greek world received through earlier literary treatments, so the anonymous painters of the Second or "Architectural" Style produced artworks that invite the viewer beyond the immediate space of viewing into a world of the imagination, sometimes a world centered in Greek myth and literature", 40).
Zu Beginn wendet sich Dufallo dezidiert gegen die weit verbreitete Auffassung, die Beschreibung von Kunstobjekten diene den Dichtern als Medium für die Reflexion ihrer eigenen Kunst (und nur um Kunstgegenstände geht es ihm hier, wenngleich Ekphrasis als solche, wie Ruth Webb 2009 in ihrer Studie "Ekphrasis, Imagination and Persuasion in Ancient Rhetorical Theory and Practice" klar gezeigt hat, in der Antike ein viel weiteres Feld umfasste). Ja, er möchte sein Buch sogar als Polemik gegen diese Auffassung verstanden wissen ("this book is therefore polemical", 2) und seine eigene These von der Zentralität des kulturellen Agons an deren Stelle setzen. Zugleich kann er selbst jedoch des Öfteren das Moment dichterischer Selbstreflexion kaum leugnen (wenn er etwa den Tempel zu Beginn von Georgica 3 als "undeniably a symbol for a poem" [116] bezeichnet). Und warum sollte das eine das andere auch ausschließen?
Problematisch scheint mir überdies die etwas schwammige Definition dessen, was der Verfasser unter dem Begriff griechischer Kunst subsumiert: "what follows, however, is not primarily about actual Greek art, but rather about literary descriptions of art that is somehow Greek [meine Hervorhebung], whether in provenance, subject matter, embodied ideals, or intertextual allusion" (1). Denn irgendwie griechisch ist römische Literatur und das in ihr Dargestellte doch immer irgendwie. Während es also durchaus schlüssig erscheint, Martials Epigramme auf eine Herkulesstatue mit Domitians Zügen in diesem Sinne zu untersuchen (die auf S. 219-28 gebotene Analyse ist sehr lesenswert), darf man sich fragen, inwiefern zum Beispiel die von Aeneas betrachteten karthagischen (!) Tempelgemälde als griechisch zu begreifen sind (142-47). Dass der trojanische Held hier in den Fußstapfen von Odysseus wandelt, der am Hof der Phäaken in ähnlicher Weise mit einer Darstellung des eigenen Schicksals konfrontiert wird, trifft sicherlich zu. Aber kann man daraus folgern, dass er sich bei Betrachtung von Didos Tempel sowohl als Nicht-Grieche erhöht fühle als auch vor jenem intertextuellen Hintergrund mehr zum Griechen werde ("he both feels himself elevated as non-Greek and becomes more Greek", 142)? Ist Horazens von einem faber aus einem Stück Holz gefertigter Priap griechisch, weil er kallimacheisch, aristophaneisch und sokratisch spricht? Wie gesagt, irgendwie Griechisches lässt sich überall in der römischen Literatur finden; als hermeneutisches Werkzeug scheint mir dieses "Irgendwie" jedoch nicht gerade geeignet. Hier hätte es einer eingehenderen Diskussion und Reflexion bedurft - auch mit Blick darauf, wie sich die römischen Beschreibungen von Kunstobjekten zu vergleichbaren Ekphraseis in der griechischen Literatur verhalten (denn eben dadurch hätte sich möglicherweise spezifisch Römisches herausarbeiten lassen).
Insgesamt wird Dufallos Studie meines Erachtens kaum zu einem grundsätzlich neuen Verständnis von römischer Ekphrasis führen. Trotz der genannten Mängel hat das intelligent geschriebene und gut recherchierte Buch jedoch durchaus lohnende Einzelbeobachtungen zu bieten.
Regina Höschele