Rezension über:

Marco Cavarzere: La giustizia del Vescovo. I tribunali ecclesiastici della Liguria orientale (secc. XVI-XVIII) (= Quaderni del Dipartimento di Storia Università di Pisa; 6), Pisa: Pisa University Press 2012, 342 S., ISBN 978-8-8674-1036-1, EUR 20,00
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Rezension von:
Patrizio Foresta
Fondazione per le Scienze Religiose Giovanni XXIII (FSCIRE), Bologna
Redaktionelle Betreuung:
Johannes Wischmeyer
Empfohlene Zitierweise:
Patrizio Foresta: Rezension von: Marco Cavarzere: La giustizia del Vescovo. I tribunali ecclesiastici della Liguria orientale (secc. XVI-XVIII), Pisa: Pisa University Press 2012, in: sehepunkte 14 (2014), Nr. 9 [15.09.2014], URL: https://www.sehepunkte.de
/2014/09/23426.html


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Marco Cavarzere: La giustizia del Vescovo

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Entgegen einem gut etablierten historiographischen Narrativ, wonach die Pluralität der mittelalterlichen Gerichtsforen durch die ausschließliche und alleinwaltende juridische Ordnung des neuzeitlichen Staates ersetzt worden sei, richteten die jüngsten rechtsgeschichtlichen Forschungen ihr Augenmerk nicht mehr auf die Produktion von positivem Recht und die Kodifikation von Normen nach dem herkömmlichen rechtspositivistischen Muster, sondern auf die frühneuzeitliche Rechtssprechung, wie sie von den verschiedenen Rechtsakteuren in einem "Gefüge von konkurrierenden Gerichtsbarkeiten" (7) gestaltet wurde. Studien wie unter anderen jene von Paolo Grossi, Paolo Prodi, Elena Brambilla, Giovanni Romeo, Diego Quaglioni und Silvana Seidel Menchi konnten dies in vielfacher Weise belegen und das Bild des frühneuzeitlichen Rechtssystems in ein neues Licht rücken.

Dies gilt umso mehr für ein Land wie Italien, wo sich das gerichtliche Netzwerk der katholischen Kirche jedem Versuch seitens der dynastischen Territorialstaaten, ein monopolisierendes Rechtssystem aufzustellen, bis in die Mitte des 18. Jahrhunderts hinein erfolgreich widersetzen konnte. Das beste Beispiel dafür sind einerseits die Gerichte, die der römischen Inquisition unterstanden und in Mittel- und Norditalien verbreitet waren, und andererseits die bischöflichen Gerichte, die in jeder Diözese vorhanden waren. Während sich die Inquisition und ihre Gerichte bekanntlich einer regen Aufmerksamkeit erfreuen konnten, sind die bischöflichen Gerichte und ihre Geschichte bisher größtenteils im Schatten des berüchtigten Glaubens- und Gewissenstribunals geblieben.

Marco Cavarzeres Untersuchung zur "Gerechtigkeit bzw. Justiz des Bischofs" (im Italienischen enthält das Wort "giustizia" sowohl das subjektive als auch das objektive und institutionelle Element) in zwei ostligurischen Diözesen, Brugnato und Luni-Sarzana, trägt Wesentliches dazu bei, diese Forschungslücke zu schließen und neue mögliche Forschungswege aufzuzeigen, indem er die jüngsten rechtsgeschichtlichen Erkenntnisse aufgreift und auf den Gegenstand seiner Analyse, die bischöflichen Gerichte, anwendet. Dabei ist besonders hervorzuheben, dass sich Cavarzere nicht nur auf einen dem Konfessionalisierungsparadigma verpflichteten Ansatz beschränkt, wie man bei der Überschrift seines Werkes vielleicht zu vermuten geneigt wäre, sondern er zieht auch die Überschneidungen zwischen den Disziplinierungsabsichten der Richter und den gesellschaftlichen Wahrnehmungen von Disziplin in Betracht, denn das von den Bischöfen getragene Ideal von kirchlicher Ordnung musste sich mit einer Idee von gesellschaftlicher Ordnung arrangieren, die anders als die kirchliche und tief in den verschiedenen Kontexten verwurzelt war (9). Aufschlussreich in dieser Hinsicht ist der im Band behandelte Fall von zwei Anzeigen im Zeitraum 1663-1673, die sich zwar auf das moralisierende nachtridentinische Pfarrerideal gegen die üblichen Missstände des Weltklerus zu berufen schienen, in Wirklichkeit aber bewusst innergemeindliche Ziele verfolgten; die neue Disziplin wurde einfach als das beste Mittel zum Zweck angesehen, indem sich die Einzelnen oder die Gemeinden die Sprache der kirchlichen Hierarchie aneigneten, um als Gewinner in einer örtlichen Auseinandersetzung hervorzutreten (56-62).

Der Band ist in zwei Hauptabschnitte gegliedert. Im ersten, der in drei Kapitel unterteilt ist (15-118), behandelt Cavarzere sowohl die institutionelle Struktur der bischöflichen richterlichen Ordnung in den zwei Diözesen als auch das Zusammenspiel zwischen ebendieser Ordnung und den "verschiedenen Sprachen der Gerechtigkeit", wobei er erfolgreich zu verdeutlichen vermag, wie die "inquisitorische Ideologie" (55), auf der sich das juridische Wirken der bischöflichen Gerichte gründete, mit konkurrierenden gesellschaftlichen Werte- und Normensystemen zu rechnen hatte. Im dritten und letzten Kapitel entwirft Cavarzere eine zusammenfassende Darstellung eines "gerichtlichen Netzwerkes", das die territorialen Kirchengerichte sowie die zentralisierten und zentralisierenden römischen Kongregationen umspannte. Der Stoff insbesondere dieses Kapitels, aber auch des Bandes insgesamt hätte jedoch aufgrund der thematischen Fülle und Komplexität einer eingehenderen Untersuchung bedurft; ebenfalls fehlt eine Zusammenfassung, welche die einzelnen Erkenntnisse des Bandes auf einen gemeinsamen Nenner bringt. Diese Anmerkungen möchten den Wert und den wissenschaftlichen Ertrag dieses gelungenen Bandes keineswegs schmälern, ganz im Gegenteil: Es wäre in der Tat wünschenswert, wenn der Verfasser einerseits all die im dritten Kapitel dargelegten Anregungen in Zukunft vertiefen könnte; andererseits, und damit zusammenhängend, wäre für diesen Zweck sehr hilfreich, wenn er von der Fundgrube an Archivalien, die er im historischen Diözesanarchiv von La Spezia-Sarzana-Brugnato aufgefunden und im Verzeichnis der strafrechtlichen Prozesse der Diözese Brugnato aufgelistet hat (125-315, mit anschließendem Namenregister), für weitere Forschungen zu diesem durchaus wichtigen Thema Gebrauch machen würde.

Patrizio Foresta