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Georg Dufner: Partner im Kalten Krieg. Die politischen Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Chile, Frankfurt/M.: Campus 2014, 420 S., ISBN 978-3-593-50097-3, EUR 43,00
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Rezension von:
Dieter Maier
Frankfurt/M.
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Dieter Maier: Rezension von: Georg Dufner: Partner im Kalten Krieg. Die politischen Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Chile, Frankfurt/M.: Campus 2014, in: sehepunkte 14 (2014), Nr. 10 [15.10.2014], URL: https://www.sehepunkte.de
/2014/10/25583.html


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Georg Dufner: Partner im Kalten Krieg

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Georg Dufner untersucht in seiner Studie die chilenisch-deutschen Beziehungen in der Zeit von 1945 bis zur Konsolidierung von Augusto Pinochets Diktatur 1980. Er folgt dabei dem Ansatz, nichtstaatliche Akteure wie Wirtschaftsunternehmen, Gewerkschaften, Kirchen, die Solidaritätsbewegung und NGOs einzubeziehen, um durch Mikroanalysen die Sichtweise zu vermeiden, "den Staat als primordiale soziale Einheit dar[zu]stellen und zum Träger eines harmonischen nationalen Willens [zu] stilisieren" (25).

Nach dem Zweiten Weltkrieg lieferten chilenische Organisationen Hilfsgüter an die verarmte deutsche Bevölkerung (49). In den Blickpunkt der Öffentlichkeit und Politik geriet das Land jedoch erst nach dem Sieg der kubanischen Revolution 1959 und dem Erdbeben in Chile von 1960 (101). Die bundesdeutsche Außenpolitik, die sich der US-amerikanischen unterordnete, wollte nun ein zweites Kuba verhindern und machte Chile zum Schwerpunkt ihrer Entwicklungshilfe, die der christdemokratischen Regierung unter Präsident Eduardo Frei zugute kam (138 ff.).

Die Wahl des Sozialisten Salvador Allende zum chilenischen Präsidenten 1970 machte die bundesdeutschen Diplomaten erst einmal unsicher. Allende hatte versprochen, die DDR anzuerkennen, was wegen der Hallstein-Doktrin früher zum Abbruch der diplomatischen Beziehungen seitens der Bundesrepublik Deutschland geführt hätte. Wegen der unter Bundeskanzler Willy Brandt einsetzenden Ostpolitik war diese Doktrin ausgehöhlt, aber die deutsche Botschaft in Santiago versuchte dennoch Zeit zu gewinnen. Allende ging taktisch vor, denn die Bundesrepublik war für Chile ein wichtiger Handelspartner (207 ff.). 1971 nahm Chile dann diplomatische Beziehungen zur DDR auf, ohne dass die Bundesrepublik hart reagierte. Bei den Verhandlungen um die chilenische Auslandsschuld 1972 nahm die Bundesregierung eine moderierende Rolle ein; dass der chilenische Außenminister Clodomiro Almeyda Medina bei dieser Gelegenheit eine "ebenso kalkulierte wie kokette Viktimisierung Chiles [...] als Opfer des internationalen Kreditwesens" herausgestellt habe (228), ist eine Wertung Dufners, die das Sachproblem der ungleichen Verhandlungsmacht zwischen reichen und armen Ländern einfach unterschlägt. Dufners Ideal sind offenbar harmonische und professionelle Beziehungen. Der Militärpusch 1973 beendete schließlich den chilenischen Weg zum Sozialismus mit friedlichen Mitteln.

Dufner wirft der Außenpolitik der Unidad Popular (UP) "ideologische Verhärtung" vor (266) und hält sein eigenes Verfahren offenbar für ideologiefrei. Dann aber unterteilt er die Akteure in links und rechts, noch weiter links und noch weiter rechts und macht den deutsch-chilenischen, von den Militärs inhaftierten Wissenschaftler Alexander Schubert zum "Anarchisten" (wohl weil die im Springer-Verlag erscheinende Tageszeitung Die Welt ihn so betitelt hat; 274, 280). Berichte der chilenischen Botschafterin in Bonn, einer Verwandten Pinochets, über Protestaktionen ("überfiel" eine Gruppe von "Randalierern" ein Konzert und "Militante demolierten die Räume eines Frankfurter Hotels"; 289) übernimmt Dufner ungeprüft. Ich selbst bin Zeuge, dass es sich um kleine Protestkundgebungen mit Sprechchören handelte.

Dufner vertritt die These: "Chile verkam während der Allende-Zeit und noch weitaus mehr unter Pinochet in der Sicht des Westens von einem echten Subjekt internationaler Beziehungen immer stärker zu einer rein politischen Referenz" (365 f.). Er beschäftigt sich mit Chile als Projektionsfläche je eigener Einstellungen. Das gab es ganz sicher, es gab aber auch das Bemühen um korrekte Informationen und angemessene Analysen. Dufner hält sich selbst offenbar für einen neutralen Beobachter, scheitert aber eben daran. Die der chilenischen revolutionären Linken zuzurechnende Organisation MIR stellt er als, wenn auch informellen, Teil der UP dar, was falsch ist, aber von Pinochet und seinen Anhängern gerne so gesehen wurde (233). Der chilenische Geheimdienst DINA, der Folter und Mord verübte, war nach Dufner "von der militärischen Hierarchie abgekoppelt" (282). Das war die von Pinochet bezweckte Außendarstellung, um nicht als verantwortlich zu erscheinen, aber in Wahrheit war die DINA eine Institution des Heeres und unterstand Pinochet unmittelbar.

Auch an die Chile-Solidaritätsbewegung legt Dufner ideologische Maßstäbe an, wobei die dogmatischen Gruppen ausführlich und die pragmatisch-pluralistischen Chile-Komitees, die die Solidaritätsbewegung hauptsächlich trugen, sehr knapp wegkommen. Und was soll man von Formulierungen halten wie der, dass "die Mehrzahl der bundesdeutschen Beobachter [...] nicht unglücklich" (270) über das Ende der UP war? Die "Mehrzahl der Beobachter" darf keine Referenzgröße einer soliden Arbeit sein. Ein Autor, der unermüdlich Ausgewogenheit einfordert, sollte Formulierungen meiden wie die, dass die "politische Hypermobilisierung" der Allende-Zeit bei deutschen Sympathisanten eine "morbide Faszination" (230) ausgelöst habe.

Dufners Buch ist ideologisch eingefärbt. In einer Fußnote sagt er zum Pinochet-Putsch: "Noch immer umstritten bleibt die Frage, ob der Putsch an sich, also zur Abwehr einer vermeintlich drohenden marxistischen Diktatur, berechtigt war." (353) Umstritten, vermeintlich - das ist nebulös. Der "Putsch an sich" soll wohl der Putsch ohne das hässliche Beiwerk von Folter und Mord sein, also ein Rettungsputsch mit Kollateralschäden, wie Pinochet (oder auch der CSU-Vorsitzende Franz Josef Strauß) ihn darstellte. Dufner kritisiert die Ideologien der Linken und sitzt denen der Rechten auf. Er hinterfragt seine ideologischen Zuordnungen nicht nach ihren realen Ursprüngen und den Interessen der Akteure und gerät selbst in einen ideologischen Zirkel. Sein Deutungsraster ist der Kalte Krieg (Titel, 353, 369). Die mikroanalytischen Funde beißen sich mit makroanalytischen Interpretationen. Nicht zuletzt hätte man sich einen kritischeren Umgang mit der verwendeten Literatur gewünscht.

Trotz aller Kritikpunkte bleibt auch folgende positive Einschätzung festzuhalten: Dufner hat ausführlich recherchiert und deutet seine zahlreichen Archivfunde in Kontexten, welche die offiziellen Lesarten unterlaufen. Seine Vergleiche zwischen den Einstellungen der bundesdeutschen Ministerien gegenüber den wechselnden Regierungen Chiles sind erhellend. Wer Außenpolitik als Funktion gesellschaftlicher Kräfteverhältnisse verstehen will, findet hier interessantes und neues Material. Das Buch "Partner im Kalten Krieg" kann zur - wenn auch kritischen - Lektüre empfohlen werden.

Dieter Maier