René Schlott: Papsttod und Weltöffentlichkeit seit 1878. Die Medialisierung eines Rituals (= Veröffentlichungen der Kommission für Zeitgeschichte. Reihe B: Forschungen; Bd. 123), Paderborn: Ferdinand Schöningh 2013, 270 S., 5 Farb-, 5 s/w-Abb., ISBN 978-3-506-77361-6, EUR 39,90
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Gleich zu Beginn der Dissertationsschrift von René Schlott heißt es: "Als Johannes Paul II. am 2. April 2005 starb, schaute die Welt nach Rom. Tageszeitungen erschienen in Extraausgaben, Radio- und Fernsehsender unterbrachen ihr laufendes Programm. Das Ereignis des Papsttodes wurde durch die mediale Inszenierung und Berichterstattung zu einem grenzüberschreitenden Medienereignis mit weltumspannender Wirkung". (12) Und obwohl dieses konkrete Ereignis der Auslöser für Schlott war, die vorliegende Qualifikationsarbeit zu verfassen, geht er erst wieder gegen Ende nur kurz, einem Exkurs gleich, auf den Tod von Johannes Paul II. ein.
Aber genau das macht Sinn, will Schlott doch den bereits nicht wenigen Studien zum Tod von Johannes Paul II. keine weitere anfügen, sondern durch die Untersuchung von neun vorangegangenen Papsttoden ein besseres historisches Verständnis für dieses Medienereignis schaffen. (12) Damit erstreckt sich der Untersuchungszeitraum genau über 100 Jahre, vom Tod Pius IX. im Jahre 1878 bis zum Tod von Johannes Paul I. im Jahre 1978. Während sich der Schlusszeitpunkt von alleine ergibt, ist der Beginn des Untersuchungszeitraums dadurch bedingt, dass es sich um die Zeit handelt, zu der sich die Presse endgültig als Massenmedium durchgesetzt und sich zudem ein ausreichendes Netz von Auslandskorrespondenten und Nachrichtenagenturen etabliert hatte. (27)
Dem "ersten Medienpapst" (Schlott) Pius IX., mit dem sich kirchenpolitisch das Papstamt stark personalisierte und individualisierte (41), was wiederum den auf Personalisierung ausgerichteten Massenmedien zugutekam, widmet der Autor eines seiner vier Hauptkapitel. Ebenso ein ganzes Kapitel bestimmt er für den Tod des letzten Pius-Papstes, also Pius XII., da sich auch in seinem Falle "die Kennzeichen des Medienereignisses Papsttod in besonderer Weise verdichteten und konzentrierten" (28): So wie sich beim Tode Pius IX. die Zeitungen und Illustrierten als Leitmedien durchgesetzt hatten, waren es 1958 das Radio und Fernsehen. Die vier dazwischenliegenden Papsttode werden wie die drei Pius XII. folgenden dem chronologischen Aufbau der Arbeit entsprechend in Überblickskapiteln dargelegt.
In den vier Kapiteln ist die Binnengliederung stets dieselbe: "Zur Medialität des Papsttodes", "Der Ritualablauf und seine Veränderungen", "Zur Visualisierung des Papsttodes", "Diskurse und Narrative in den Nachrufen", "Aspekte des Transnationalen" und ein "Zwischenfazit". Mit dieser Einteilung orientiert sich Schlott nicht nur an den etablierten kulturwissenschaftlichen Leitbegriffen Medialität, Performativität, Visualität, Narrativität und Transnationalität, sondern ermöglicht auch ein thematisches Querlesen, das insbesondere Medien- und Kommunikationswissenschaftlern oder entsprechend interessierten Historikern zu empfehlen ist.
Schlott schließt mit seiner Arbeit eine, wenn nicht gar mehrere, Forschungslücken. Denn auch wenn die Beschäftigung mit der Geschichte der Massenmedien mittlerweile ein etabliertes und anerkanntes Arbeitsfeld der Geschichtswissenschaft ist [1], wurde das neuzeitliche Papsttum in dieser Hinsicht bisher zumindest nicht systematisch untersucht. Hingegen interessieren sich die durchaus vorhandenen kommunikationswissenschaftlichen Untersuchungen kaum für diachrone Aspekte des Papsttums. [2] Biographien von Päpsten widmen sich weder dem Ableben noch der Funktion der Medien und der Öffentlichkeit ausführlich. [3]
Schlott jedoch fragt genau danach, und zwar (15): Wie gelang es den Medien, aus dem Ereignis des Todes eines Papstes das Medienereignis Papsttod zu formen? Welche Semantiken vom Papst und von der Kirche, vom Tod und vom Sterben werden durch die Medien konstruiert? Welche Folgen hatte diese enorme Medienaufmerksamkeit sowohl für die den Papsttod begleitenden Rituale als auch für den generellen Umgang des Vatikans mit den Medien? Welche medialen Konstanten lassen sich trotz 130-jähriger Berichterstattung feststellen und welche Änderungen müssen konstatiert werden?
Die Ergebnisse sind verblüffend, spannend und unterhaltsam zugleich. Hier kann nur auf einige hingewiesen werden: So bildeten die Medien trotz nie fehlender Betonung der Einmaligkeit des jeweiligen Papsttodes immer wiederkehrende Berichterstattungsmuster und -motive heraus: ein gottgefälliges Sterben, der Einsatz für Frieden, aber auch die visuelle Fokussierung auf den Körper des Papstes einerseits und die Masse der Trauernden andererseits. Trotz Medienwechsels vom Telegraphen bis hin zum Internet waren vorzeitige Todesmeldungen und weitere sensationsheischende Falschmeldungen stets an der Tagesordnung. Obschon die Medien von Anfang an eine globale Dimension des Papsttodes postulierten, kann nur eine schrittweise Zunahme an Gläubigen und Repräsentanten bei den Feierlichkeiten festgestellt werden. Das Ritual wurde kontinuierlich auf die Medien hin verändert bzw. weiterentwickelt. Nicht zuletzt wirkte das Medienereignis Papsttod stets als eine Art Katalysator für die Entwicklung der Medienstrukturen des Vatikans.
Kritisch anzumerken wäre zu Schlotts Studie allenfalls, dass er sich letztlich auf die westliche Sicht konzentriert. Zwar geht er immer wieder auch auf Osteuropa und den Ostblock ein, insbesondere beim Tod des antikommunistischen Pius XII. (147) oder des für die Öffnung des Vatikans gegenüber den kommunistischen Staaten verantwortlichen Johannes XXIII. (208), doch bleiben diese Passagen weniger detailreich. Das wiederum überrascht nicht, kann doch Schlott nur auf Berichte der Ostblock-Presse durch Berichte der westlichen Presse zurückgreifen. Zu seinem Quellenmaterial gehören keine slawischsprachigen Medien, was gerade im Falle des katholischen Polens von Interesse hätte sein können.
Doch Schlott diesen Vorwurf zu machen, wäre in Bezug auf die Gesamtleistung nicht gerecht: Für seine Untersuchung, wenn auch auf neun bzw. zehn konkrete Zeitpunkte verteilt, so doch über 100 bzw. fast 130 Jahre hinweg (wenn man den Tod von Johannes Paul II. mitrechnet), wertet er in vorbildlicher Weise eine enorme Quellen- und Datenmenge aus. Allein an säkularen Printmedien, die seinen Schwerpunkt bilden, sind das vierzehn deutsche, elf französische und zwölf britische Zeitungen und Illustrierte. Hinzu kommen noch eine Unzahl an Archivakten des Vatikans, die Vatikanmedien sowie Leserbriefe, Tagebücher von Journalisten und Aufzeichnungen von und Interviews mit Vertretern des Vatikans.
Anmerkungen:
[1] Vgl. Frank Bösch: Mediengeschichte im 20. Jahrhundert. Neue Forschungen und Perspektiven, in: Neue Politische Literatur 52 (2007), 409-429.
[2] Nur ein Beispiel: Christian Klenk: Ein deutscher Papst wird Medienstar. Benedikt XVI. und der Kölner Weltjugendtag in der Presse, Berlin 2008.
[3] Ebenfalls nur ein Beispiel: Jean Mathieu-Rosay: Die Päpste im 20. Jahrhundert, Darmstadt 2005.
Peter Klimczak