Rezension über:

Malte Griesse (ed.): From Mutual Observation to Propaganda War. Premodern Revolts in Their Transnational Representations, Bielefeld: transcript 2014, 354 S., ISBN 978-3-8376-2642-1, EUR 29,99
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Rezension von:
Nina Schweisthal
Fachbereich III, Universität Trier
Redaktionelle Betreuung:
Matthias Schnettger
Empfohlene Zitierweise:
Nina Schweisthal: Rezension von: Malte Griesse (ed.): From Mutual Observation to Propaganda War. Premodern Revolts in Their Transnational Representations, Bielefeld: transcript 2014, in: sehepunkte 14 (2014), Nr. 11 [15.11.2014], URL: https://www.sehepunkte.de
/2014/11/25345.html


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Malte Griesse (ed.): From Mutual Observation to Propaganda War

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Unter dem Eindruck jüngerer Protestbewegungen in den arabischen Ländern, der Türkei oder Ukraine, die mitunter auch als "twitter revolutions" bezeichnet worden sind, hat sich die historisch-sozialwissenschaftliche Forschung wieder vermehrt dem Untersuchungsgegenstand "Revolten" zugewandt. Ausgehend von exemplarischen Analysen wurde dabei bisher meist ein besonderer Schwerpunkt auf die mediale Darstellung von Revolten sowie deren mehr oder weniger unmittelbare Einwirkung auf die Erhebungen selbst gelegt.

Vor diesem Hintergrund ist auch der von Malte Griesse edierte Sammelband zu lesen, der aus einem im Juni 2009 am "Center for Interdisciplinary Research" an der Universität Bielefeld veranstalteten Workshop hervorgegangen ist. Im Zentrum der Publikation steht die vergleichende Analyse der primär von "observers abroad" entworfenen Narrative vormoderner Revolten beispielsweise in England, Frankreich, Russland, der Ukraine oder Polen-Litauen. Die somit transnationalen Repräsentationen dieser äußerst unterschiedlich gearteten politisch-sozialen Aufstände wandelten nicht selten - und hierin liegt der Kern des aus fünf Sektionen bestehenden Bandes - "From Mutual Observation to Propaganda War".

Das Untersuchungsspektrum des Sammelbandes integriert mit der Historischen Anthropologie sowie der Transnational History gleich zwei verschiedene Richtungen der historiografischen Forschung, die besonders durch ihre Kombination zur Erweiterung und schließlich Neubewertung der bisherigen Erforschung von Revolten beitragen sollen. Laut Herausgeber repräsentiert die Monografie demnach "a first attempt to examine the 'transnational representation' of pre-modern revolts, to explore perceptions and descriptions of revolts across borders" (13).

Der erste Teil des Buches widmet sich der transnationalen Darstellung von Revolten vor der sowohl zeitlich als auch räumlich nicht gleichförmigen Verbreitung des Buchdruckes. Anhand der Beispiele des Hundertjährigen Krieges (Bettina Bommersbach und Helmut Hinck) sowie diverser Revolten im Russland des 17. Jahrhunderts (Maureen Perrie) wird gezeigt, dass die transnationale Darstellung von Revolten durchaus schon vor dem Einsatz der Druckerpresse existierte, jedoch weitaus weniger umfangreich war als zur Zeit des Buchdruckes und der im 17. Jahrhundert aufkommenden periodischen Presse (18).

Die Überschrift des zweiten Abschnittes avisiert den Entwurf einer für die Frühe Neuzeit zutreffenden "Anthropologie von Revolten". Mittels mehrerer Fallbeispiele wird in diesem Kapitel vorgeführt, dass vor allem ein von den Zeitgenossen als solches wahrgenommenes Machtvakuum (Yves-Marie Bercé) oder aber der sich ausweitende, "grenzüberschreitende" Kommunikationsraum und die dadurch beeinflusste Dynamik der Massen (André Berelowitch) zu maßgeblichen Einflussfaktoren von Revolten werden konnten (21).

Die dritte und vierte Sektion des Buches beschäftigen sich mit der transnational-medialen Darstellung vormoderner Revolten sowie den Reaktionen der jeweiligen Autoritäten nicht nur auf die internen Konflikte, sondern auch auf deren auswärtigen Repräsentationen (24, 27). Der geografische Schwerpunkt der Einzeluntersuchungen liegt dabei auf Osteuropa, speziell dem Chmelnyzkyj-Aufstand 1648-1657 in der Ukraine (Frank Sysyn), der Lubomirski-Rebellion 1665-1666 in Polen-Litauen (Angela Rustemeyer) sowie Moskau bzw. Russland (Ingrid Maier und Stepan Shamin, Malte Griesse), für das als zentrales Beispiel vor allem der Aufstand Stenka Rasins 1670-1671 angeführt wird.

Im fünften Abschnitt des Sammelbandes erfolgt schließlich eine Einbettung des Phänomens "Revolten" in den zeitgenössischen juristischen und damit eng verbundenen öffentlichen Diskurs (30). In diesem Sinne beschäftigen sich die beiden letzten Beiträge mit dem im Rechtsdenken des 16. und 17. Jahrhunderts entstehenden Konzept der Revolte als politisches Verbrechen (Fabrizio dal Vera) sowie dessen Darstellung in zeitgenössischen illustrierten Flugblättern (Karl Härter).

Zusammenfassend betrachtet bietet der Sammelband besonders durch die Konzentration auf weniger bekannte Revolten im frühneuzeitlichen Osteuropa sowie seine interdisziplinären Forschungsansätze neue Perspektiven auf die bisherige Analyse vormoderner Protestbewegungen und ihrer Repräsentationen. Die einzelnen Beiträge stellen dabei den Versuch dar, "klassische" Themen der Revoltenforschung in einer kulturell-individuellen Dimension zu fassen und durch neue Fragestellungen zu erweitern. Ob in diesem Kontext allerdings tatsächlich von "early-modern or even transhistorical anthropologies of revolt" (21) die Rede sein kann, muss nach derzeitigem Stand der Forschung noch dahingestellt sein. Voraussetzung eines solchen Konzeptes wäre es zunächst einmal, einen konkreten Ansatz sowie spezifische Analysekategorien zu entwerfen und die heuristischen Möglichkeiten auf Ebene der Quellen auszuloten.

Auch wenn die Sammelbandbeiträge in Summe gesehen zwar nicht als systematisch oder gar vollständig betrachtet werden können, vermögen sie dennoch der aktuellen Revoltenforschung in eine neue Richtung Antrieb zu geben und womöglich in ein neues Forschungsdesign einzumünden.

Nina Schweisthal