Jesús Astigarraga (ed.): The Spanish Enlightenment revisited (= Oxford University. Studies in the Enlightenment), Oxford: Voltaire Foundation 2015, IX + 313 S., 10 Abb., ISBN 978-0-7294-1160-8, GBP 65,00
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Das Anliegen des vorliegenden Bandes ist ehrgeizig: er möchte die spanische Aufklärung und die dazugehörige Historiografie aus der Marginalisierung befreien, in der sie sich seit langem befinden. Die Gründe für diese Marginalisierung sind vielfältig. Entscheidend dabei ist, dass eine veritable "schwarze Legende" um die Ereignisse des 18. Jahrhunderts gewoben wurde, die größtenteils bis in die Franco-Zeit Bestand hatte. Bereits im Zuge der Restauration der Bourbonen nach der napoleonischen Invasion, die zum Sturz des Königs und die Ausarbeitung einer Verfassung durch die Cortes von Cádiz geführt hatte, erschien es der Regierung Ferdinands VII. opportun, sämtliche Ideen, die zu dieser Entwicklung geführt hatten, als "unspanisch" zu verurteilen. Dieses Bild, in Spanien untrennbar mit dem pejorativen Schlagwort der "afrancesados" verbunden, fand zu Ende des 19. Jahrhunderts noch einmal nachhaltige Verbreitung durch das katholisch geprägte Werk Marcelino Menéndez Pelayos. [1]
Erst seit dem Tod Francos suchte man wieder verstärkt für Belege, dass der Weg Spaniens nicht immer ein Sonderweg gewesen war und konzentrierte sich auf die "liberaleren" Vorläufer der Republik. José Antonio Maravall, Gonzalo Anes und Antonio Domínguez Ortiz sind nur einige Namen, die die Forschung zur spanischen Aufklärung vor allem seit den 1980er-Jahren prägten. So sehr sie sich bemühten, die Protagonisten dieser Zeit aus der Vergessenheit zu holen, so wenig Beachtung fanden ihre Werke, wohl wegen der Sprachbarriere, im Ausland. Noch in jüngster Zeit kommt etwa Jonathan Israels monumentale Auseinandersetzung mit der Aufklärung ohne positive Erwähnung Spaniens aus.
Demgegenüber plädiert Jesús Astigarraga im Vorwort des vorliegenden Bandes für einen weiter gefassten Begriff der Aufklärung und eine Abkehr von der Konzentration auf die "radikale Aufklärung" und ihre Vertreter, in deren Reihen, das muss er zugeben, keiner der führenden spanischen Aufklärer einen Platz hätte. Zu pragmatisch, zu eklektisch und wohl auch zu unfrei war das spanische Geistesleben des 18. Jahrhunderts dafür. Dennoch wendet sich Astigarraga dagegen, der spanischen Aufklärung, und auch den entsprechenden Bewegungen in anderen "moderateren" Ländern, ihre Bedeutung und Modernität abzusprechen. Die Artikel des vorliegenden Sammelbandes - etwa über die Entstehung einer kritischen Öffentlichkeit, die Reform des spanischen Weltreiches, die Bedeutung der politischen Ökonomie, die Reform des Strafrechts oder über Verfassungsprojekte - sollen dabei das überkommene Bild des spanischen 18. Jahrhunderts zurechtrücken.
Vor allem drei Maximen weiten den herkömmlichen Blickwinkel erheblich aus: zum einen die Abkehr von der Konzentration auf die "großen" Protagonisten der Zeit Karls III. Zum anderen ein verstärkter Blick auf die Vorgänge in der Peripherie des Reiches, wo das Geistesleben nicht immer mit dem offiziell propagandierten Reformwillen des Hofes in Einklang stand und wo bis dato weniger bekannte Namen das Bild der spanischen Aufklärung erheblich differenzieren und bereichern. Zudem greift der Band die seit langem gestellte, aber immer noch zu wenig erfüllte Forderung nach einer stärkeren Berücksichtigung der "longue durée" für das spanische 18. Jahrhundert auf. Die überwältigende Dominanz der Zeit Karls III. (1759-1788) und seiner Minister in der Forschung steht quantitativ in keinem Verhältnis zu der Literatur über die Zeit nach dem Tod des Monarchen, der aufgrund der schwächeren Herrschaftspersönlichkeit Karls IV., aber auch aufgrund der Abwehrhaltung Spaniens gegenüber der Französischen Revolution eine Abschwächung des Reformeifers folgte. Die dann wieder einsetzende Betrachtung der "liberalen" Cortes de Cádiz von 1812 erscheint daher weitgehend losgelöst von den Ereignissen des 18. Jahrhunderts, deren zukunftsweisende Elemente damit in erheblicher Weise minimiert werden.
Die Autoren der vorliegenden zwölf Beiträge haben sich in den vergangenen Jahren durchweg in dieser Hinsicht einen Namen gemacht [2] und fassen nun auf je etwa zwanzig Seiten übersichtlich und fundiert zugleich ihre Erkenntnisse und den neuesten Forschungsstand zusammen. Das Bild des spanischen 18. Jahrhunderts, das dabei entsteht, ist überzeugend und wird dieses Buch zu einer unverzichtbaren Lektüre für alle machen, die sich mit dem Thema beschäftigen: demnach ist es unbestritten, dass die Impulse für eine Veränderung der spanischen Gesellschaft ursprünglich von der Krone ausgingen. Die einflussreichsten Vordenker waren eng mit dem Hof verbunden und übten meist selbst ein hohes Amt aus, man denke etwa an Campomanes. Gelehrte, die sich dieser offiziellen Linie nicht anschlossen oder sich zu sehr außerhalb der Orthodoxie bewegten, hatten es schwer, das wird nicht verschwiegen. Und auch nicht, dass sich durch die konkrete Konzentration auf das unmittelbar Notwendige und in Spanien Machbare die philosophischen Höhenflüge in Grenzen hielten.
Das Bewusstsein der Rückständigkeit gegenüber den führenden Handelsmächten war prägend für die spanischen Reformer und so verwundert es nicht, dass die eher junge Wissenschaft der politischen Ökonomie das Terrain war, auf dem sich der spanische Reformwille vorwiegend manifestiert und historisch analysieren lässt. Von großer Bedeutung war dabei der Schritt an die Öffentlichkeit: vor allem die Gründung der Ökonomischen Gesellschaften ab Mitte der 1770er-Jahre war ein Mittel der Regierung, den ökonomischen Reformwillen und die konkreten Kenntnisse in diesem Gebiet in die Provinzen zu tragen. Verbunden mit einer Bildungsreform und einer ausgeprägten Publikationstätigkeit trug die Regierung in diesen Jahren erheblich zur Entstehung einer kritischen Öffentlichkeit bei. Javier Fernández Sebastián untersucht dabei die Ambivalenz, die diese Entwicklung in sich trug: von dem aufklärerischen Glauben an die eine Wahrheit entwickelte sich nach dem Tod Karls III. unter dem Eindruck der Wirren innerhalb und außerhalb Spaniens zunehmend eine regierungskritische Öffentlichkeit, deren Vertreter - etwa Jovellanos, Foronda, Cabarrús oder Arroyal - eine neue Generation von Gelehrten bildeten. Diese haben im Vergleich zu den Reformern im Umfeld Karls III. bisher weniger Aufmerksamkeit erfahren, obgleich sich in ihren Schriften wesentlich weitreichendere Ideen finden und sie das Bindeglied zwischen der spanischen Aufklärung und dem frühen Liberalismus der Cortes von Cádiz bilden.
Eine zunehmende Betrachtung dieser späteren Autoren sowie der Blick weg von Madrid, wobei vor allem Aragón mit seinem Lehrstuhl für politische Ökonomie ein lohnendes Beispiel ist (siehe den Beitrag von Javier Usoz), eröffnen der Forschung zur spanischen Aufklärung neue Felder, wozu der vorliegende Band wichtige Impulse gibt. Durch die überzeugende Hervorhebung der zukunftsweisenden Elemente des spanischen Denkens des 18. Jahrhunderts erreicht er zudem das Ziel, das der Herausgeber sich gesetzt hat, nämlich die Auflösung des recht statischen Bildes der spanischen Aufklärung. Und vielleicht trägt der Band zudem dazu bei, sein weiteres Anliegen zu erfüllen, nämlich ein etwas differenzierteres, vielfältigeres Bild der europäischen Aufklärung zu zeichnen und auch den "gemäßigteren" Reformbewegungen etwa in Ländern wie Spanien, Neapel und Schottland zu mehr Aufmerksamkeit zu verhelfen.
Anmerkungen:
[1] Marcelino Menéndez Pelayo: Historia de los heterodoxos españoles, 3 Bde., Madrid 1880/1881.
[2] Etwa: Jesús Astigarraga: Los ilustrados vascos: ideas, instituciones y reformas económicas en España, Barcelona 2003; ders.: Luces y republicanismo: economía y política en las "Apuntaciones al Genovesi" de Ramón de Salas, Madrid 2011; Gabriel Paquette: Enlightenment, Governance, and Reform in Spain and its Empire, Basingstoke / New York 2008; Juan Pimentel: La física de la monarquía: ciencia y política en el pensamiento colonial de Alejandro Malaspina, 1754-1810, Madrid 1998.
Alexandra Gittermann