Rezension über:

Jörg Lauster: Die Verzauberung der Welt. Eine Kulturgeschichte des Christentums, München: C.H.Beck 2014, 734 S., 25 Farb-, 64 s/w-Abb., ISBN 978-3-406-66664-3, EUR 34,95
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Rezension von:
Hanns Christof Brennecke
Friedrich-Alexander-Universität, Erlangen-Nürnberg
Redaktionelle Betreuung:
Johannes Wischmeyer
Empfohlene Zitierweise:
Hanns Christof Brennecke: Rezension von: Jörg Lauster: Die Verzauberung der Welt. Eine Kulturgeschichte des Christentums, München: C.H.Beck 2014, in: sehepunkte 15 (2015), Nr. 7/8 [15.07.2015], URL: https://www.sehepunkte.de
/2015/07/26427.html


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Jörg Lauster: Die Verzauberung der Welt

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Der Marburger systematische Theologe Jörg Lauster hat das Wagnis unternommen, auf knapp 700 Seiten eine Kulturgeschichte des Christentums zu erzählen.

Der Titel "Verzauberung der Welt" führt etwas in die Irre, geht es nicht vielmehr um eine "Entzauberung der Welt" durch das Christentum? Auch der Untertitel weckt falsche Erwartungen - es handelt sich ausschließlich um eine Kulturgeschichte des abendländischen Christentums mit einem deutschen Schwerpunkt. Die byzantinisch-orthodoxen und orientalischen Christentumskulturen fehlen weitgehend, was zumindest als Problem angesprochen werden sollte. Sein eigener Standort in der Tradition eines Kulturprotestantismus wird allerdings auf sympathische Weise deutlich benannt. Ganz klar wird nicht, was eine "Kulturgeschichte des Christentums" sein soll. Wesentlich für die Kultur des Christentums ist, dass es vor allem in der Sozialform "Kirche" begegnet, was zu undeutlich bleibt.

In elf Kapiteln erzählt Lauster die Kulturgeschichte des Christentums, in der Gliederung dabei durchaus konventionell.

Auf ca. 70 Seiten wird die Geschichte der Anfänge bis zur konstantinischen Wende eher knapp behandelt. Die Geschichte des Christentums beginnt mit dem Auferstehungsglauben, der sich auch historisch aufzeigen lässt. Die erstaunlich schnelle, aber geografisch sehr unterschiedliche Ausbreitung des Christentums wird kurz gestreift. Dabei erstaunt die konventionelle Terminologie (so kann Lauster ganz traditionell vom "apostolischen" oder "nachapostolischen" Zeitalter sprechen). Den "Wanderradikalismus" der Frühzeit überschätzt er etwas. Für die Herausbildung einer eigenen christlichen Kultur hätte die Bedeutung des griechischen Judentums stärker betont werden müssen. Die Ablösung vom Judentum bei Beibehaltung vieler jüdischer Traditionen (die griechische jüdische Bibel ist die wichtigste) lässt sich auf dem Hintergrund des Selbstverständnisses der Christen als "neues" oder "wahres" Israel verständlich machen. Die Schaffung eines Kanons aus der Tradition Israels und eigener christlicher Schriften ist in Anlehnung an Assmann als Ausbildung eines kulturellen Gedächtnisses unzureichend erklärt. Ob man die tastenden Versuche des 2. Jahrhunderts, christlichen Glauben auch einer heidnischen Umwelt verständlich zu machen, als Krisenphänomene beschreiben muss (z.B. Gnosis, Montanismus, Marcion) erscheint eher fraglich. Die sehr unterschiedlichen Versuche, mit der zeitgenössischen philosophischen Weltdeutung ins Gespräch zu kommen, und die Ausbildung einer christlichen Theologie hätten gerade unter kulturhistorischem Aspekt stärker betont werden können.

In Nacherzählung und Beurteilung des vielschichtigen Prozesses der sogenannten "konstantinischen Wende" bis zur Herausbildung einer Reichskirche folgt Lauster weitgehend den neueren Darstellungen von Brandt und Wallraff. Ob das Konzil von Nicaea eine Wende in der Stellung des Christentums zu Bildern eingeleitet hat, wie Lauster annimmt, kann man bezweifeln. Die Herausbildung von Dogmen als verbindlichen Lehrentscheidungen von Synoden und die Rolle der Kaiser dabei wird nicht wirklich deutlich.

Gelegentlich erliegt Lauster der Verführungskraft beliebter Klischees, z.B. der weit verbreiteten Auffassung, dass es in vorkonstantinischer Zeit keine christlichen Soldaten gab. Dass Augustin vor allem mit seiner Schrift "de civitate Dei" im Unterschied etwa zu Euseb (den man allerdings nicht "Hoftheologen" nennen sollte) eine Profanisierung der Welt und der Sicht der Geschichte ermöglicht hat, ist gut beobachtet, auch wenn man sich über die Bedeutung Augustins für die abendländische Kulturentwicklung bis in die Neuzeit etwas mehr gewünscht hätte. Mit Augustin beginnt dann die ausschließliche Konzentration der Darstellung auf den Westen. Die zunehmende auch kulturelle Entfremdung zwischen Osten und Westen wird nicht genügend thematisiert.

Den sich über das ganze 6. Jahrhundert hinziehenden Prozess der Konversion der germanischen Reiche und ihrer Kirchen vom "Arianismus" zu einem romtreuen Katholizismus ist ebenso ein verbreitetes Klischee. In ihrer Selbstwahrnehmung wandten sich die germanischen Reiche nicht etwa Rom, sondern dem Glauben der ökumenischen Konzile zu. Der Islam, seine weithin kriegerische Ausbreitung und die damit verbundenen Eroberungen werden etwas romantisch verklärt. Kann man die Eroberungen (bis zur Eroberung Spaniens) wirklich nur als "militärische Absicherung der arabischen Halbinsel" interpretieren?

Deutlich zeigt Lauster die Bedeutung des Mönchtums für die abendländische Kulturentwicklung. Ob man die Entstehung des Mönchtums allerdings als Protestbewegung ansehen kann, erscheint fraglich. Die irische und die etwas jüngere angelsächsische Reformbewegung mit ihren Ausstrahlungen auf das Frankenreich werden zu sehr harmonisiert, sodass die großen Gegensätze nicht deutlich werden. Gerade für eine kulturgeschichtliche Sicht wäre interessant, wie im 7. Jahrhundert die gerade missionierten Angelsachsen, dann seit dem 9. Jahrhundert die von Karl dem Großen eroberten und (zwangs-)missionierten Sachsen zu den wichtigsten Tradenten christlicher Überlieferung und neuen Trägern einer christlicher Kultur werden. Die Rolle des Papsttums in vorkarolingischer Zeit wird von Lauster überschätzt; die nicht glücklich so benannte "Zweigewaltenlehre" des Gelasius (nicht "Zweischwerterlehre"!) hat über Jahrhunderte keinerlei Bedeutung gehabt. Deutlich zeigt Lauster, wie die Kreuzzüge mit den von Cluny ausgehenden Reformbewegungen verbunden sind.

Der italienischen Renaissance widmet Lauster ein umfangreiches Kapitel, das ihn als Kenner und Liebhaber dieser Epoche ausweist. Im Verhältnis dazu wird die Reformation, die er mit Recht als "die Reformationen" interpretiert, außerordentlich knapp und mit deutlicher Distanz behandelt, was angesichts einer etwas ausufernden Reformationsdekade zwar verständlich ist, aber nicht ganz angemessen erscheint. Einige seiner Urteile fordern zum Widerspruch heraus. Kann man Luthers Abendmahlslehre einfach "traditionell" nennen? Auch Städte wie Zürich oder die Reichsstädte, auf die er leider nicht eingeht, haben Obrigkeiten, die wie die Fürsten bei der Durchsetzung der Reformation eine wichtige Rolle spielen. Das Neue am "Augsburger Religionsfrieden" von 1555 wird nicht klar, nämlich der Verzicht auf einen letzten Wahrheitsanspruch und die sich so eröffnende Möglichkeit einer Mehrkonfessionalität im Reich. Die weitgehende Beschränkung auf Deutschland und die Schweiz macht gerade die ganz unterschiedlichen Entwicklungen in Europa nicht deutlich genug.

Sehr gut dagegen beobachtet und beschrieben werden die mentalen und kulturellen Folgen der Konfessionalisierung. Das Zeitalter des Barock wird ausgesprochen kenntnisreich und mit viel Sympathie in vielen Facetten vorgestellt. Sehr gelungen erscheint, die Kultur des Protestantismus als eine des Hörens, die des tridentinischen Katholizismus als eine des Sehens zu charakterisieren. Die weitgehende Beschränkung auf Deutschland und Italien hat leider zur Folge, dass der französische Jansenismus oder auch die Kultur des multikulturellen Polens vor der Rekatholisierung nicht in den Blick kommen.

Bei Lausters Erzählung der Kulturgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts findet man immer wieder faszinierende Einzelbeobachtungen wie z.B. über die Entstehung des Romans aus dem Geist des Pietismus. Aber die Darstellung hat im Ganzen etwas Zufälliges. Es handelt sich eher um durchaus hochinteressante Essays. Was Lauster nach Kosellek als "Sattelzeit" (ca. 1770-1830) behandelt, ist dabei kenntnisreich und nicht selten originell. Die Kulturgeschichte des Christentums wird hier fast zu einer allgemeinen europäischen Kulturgeschichte mit einem deutlichen Schwerpunkt in Deutschland. Interessant ist, wie dabei die christlich geprägte Kultur Nordamerikas als eigene Weiterentwicklung der europäischen Kulturgeschichte einbezogen wird. Angesichts vieler interessanter Entdeckungen gerät der Zusammenhang etwas aus dem Blick. Karl Barths Äußerungen über Mozart kann man originell finden, über Mozart sagen sie eigentlich nichts. Gelungen ist dagegen die als Säkularisierungsprozess gedeutete Loslösung der Kirchenmusik aus ihrem bisherigen liturgischen Rahmen. Leider fehlt eine ausführlichere Behandlung des Themas "Christentum und Nationalismus", das gerade bei einer kulturgeschichtlichen Sicht der Geschichte des Christentums für das 19. Jahrhundert unbedingt hätte angesprochen werden müssen.

Ein glänzend geschriebenes Buch, das viele Entdeckungen bereithält, aber immer wieder auch zur Diskussion und manchmal zum Widerspruch reizt.

Hanns Christof Brennecke