Werner Plumpe (Hg.): Unternehmer - Fakten und Fiktionen. Historisch-biografische Studien (= Schriften des Historischen Kollegs; Kolloquien 88), Berlin / Boston: De Gruyter Oldenbourg 2014, XII + 380 S., ISBN 978-3-486-71352-7, EUR 79,95
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Unternehmer zählen zweifellos zu den anerkannten Schlüsselfiguren der Wirtschaftsgeschichte. Die empirische wie theoriegeleitete Forschung setzt sich bis in die Gegenwart hinein vor allem mit den Funktionen dieser Akteure auseinander oder versucht, "Profile des modernen Unternehmers" [1] zu entwickeln. Ein solches Unterfangen steht vor dem grundsätzlichen Problem, dass es keinen Idealtypus des Unternehmers gibt und sich unternehmerisches Handeln auf unzählige, auch ambivalente Weise niederschlägt. Mit Blick auf die jüngere Vergangenheit setzt sich offenbar die Überzeugung durch, dass Unternehmer im Zuge der Globalisierung von "Titanen" im (zugespitzten) Sinne des Ökonomen Joseph A. Schumpeter zu bloßen "Statisten" [2] bzw. Erfüllungsgehilfen einer alles überformenden Bürokratisierung degenerierten.
Der nun von Werner Plumpe herausgegebene Sammelband "Unternehmer - Fakten und Fiktionen", der auf eine gleichnamige Konferenz im Historischen Kolleg München aus dem Jahr 2011 zurückgeht, weist eine differenziertere Sichtweise auf: Basierend auf der These des Herausgebers, dass "Unternehmerschaft sowohl historisch als auch gegenwärtig große Bedeutung besitzt" (3), entwirft Plumpe in der Einleitung ein unternehmertheoretisches Modell. In diesem hat der Unternehmer als "schöpferischer Zerstörer" nach Joseph Schumpeter einen festen Platz. Diesen Unternehmertypus macht Plumpe am Beispiel des rheinischen Chemieindustriellen Carl Duisberg empirisch anschaulich.
Zudem plädiert der Herausgeber dafür, den "Kapitalismus" als zwischenzeitlich ausgemusterten Forschungsbegriff zu reaktivieren, um die Bedeutung, die Struktur und den Wandel von Unternehmerschaft im Kapitalismus erfassen zu können. Dieser Aufgabe widmen sich anschließend drei übergeordnete Beiträge von Alfred Kieser, Sebastian Fischer / Michael Frese und Jürgen Kocka aus betriebswirtschaftlicher, wirtschaftspsychologischer und sozialhistorischer Sicht. Dabei steht die Leitfrage im Vordergrund, inwieweit der Kapitalismus erfolgreiche Unternehmer braucht. Dass die Ergebnisse, zu denen die Autoren dieser drei Beiträge gelangen, sehr unterschiedlich sind, ist beileibe keine Schwäche des Bandes. Sie sind vielmehr eine Bereicherung, da durch den Rückgriff auf methodische Ansätze aus den jeweiligen Disziplinen eine größere Bandbreite an Interpretationsangeboten und Argumentationslinien präsentiert wird, die in sich stimmig sind und trotz ihrer Gegenläufigkeit überzeugen.
Für Kieser steht fest, dass durch die zunehmende Institutionalisierung des Unternehmertums und die Routinisierung der Unternehmerfunktionen in der sich verändernden kapitalistischen Wirtschaftsordnung persönliche Dispositionen wirtschaftlicher Akteure massiv an Bedeutung eingebüßt hätten. Daher habe sich Unternehmertum zu einer in den Medien und in Teilen der Wissenschaft verbreiteten "Ideologie" (55) entwickelt. Diese schreibe erfolgreichen Unternehmern vor allem "Charisma" zu, das Menschen bräuchten, um eine Firma zu gründen und diese fortzuentwickeln. Im Umkehrschluss seien die Leistungen von Wirtschaftsakteuren, die nicht auf diese Weise hervorgehoben würden, "immer schwerer auszumachen" (56).
Diese pessimistische Sichtweise überzeugt ebenso wie die gegenläufige These Jürgen Kockas, dass der Kapitalismus stets auf erfolgreiche Wirtschaftsakteure angewiesen sei. Unternehmer müssten jedoch nicht nur im Schumpeterschen Sinne wagemutig und dynamisch, sondern zudem "mit unterschiedlichen Wissensbeständen und Fertigkeiten" sowie der Bereitschaft zu "Systemverantwortung" (93) ausgestattet sein. Allerdings bleiben beide Beiträge etwas blass hinsichtlich der Frage, unter welchen Voraussetzungen Erfolg in Misserfolg umschlagen kann. Somit wäre es durchaus reizvoll gewesen zu skizzieren, inwieweit der Kapitalismus für sein Fortbestehen nicht auch "Pleitiers und Bankrotteure" [3] benötigt. Zwar weist Kocka selbst darauf hin, dass unternehmerisches Scheitern häufig sei und es daher verdiene, "auch historisch genauer untersucht zu werden" (93). Der Tagungsband leistet dies allerdings nicht.
Vielmehr greifen die elf (kollektiv-)biografischen Beiträge in unterschiedlicher Intensität und Perspektivität die Frage nach unternehmerischem Erfolg auf. Dabei wird vorrangig das Ziel verfolgt, "nach den Bedingungen der Möglichkeit von Unternehmerschaft empirisch zu fragen", um ein bisher von der Forschung nicht erreichtes "generalisierungsfähiges Bild" (24) zu erzeugen.
Dabei wird rasch deutlich, dass generalisierbare Aussagen angesichts des höchst individuellen Verständnisses von Erfolg und des in der Analyse einzubeziehenden "persönlichen Faktors" [4] von Unternehmern kaum möglich sind. So attestieren etwa Jürgen Finger und Sven Keller dem hoch umstrittenen, weil eng mit dem NS-Regime kooperierenden Oetker-Firmenlenker Richard Kaselowsky zumindest eine erfolgreiche Rolle als "Treuhänder-Unternehmer" (166). Damit sehen die Autoren das von Kaselowsky an sich selbst gestellte Ziel erfüllt, das ihm auf Zeit anvertraute Unternehmen zu erhalten.
Demgegenüber schreibt Jan-Otmar Hesse dem Schweizer Verlagserben Hans Ringier die von Erfolg gekrönte Fähigkeit zu, im Sinne Mark Cassons in entscheidenden Situationen rechtzeitig judgemental decisions (289, 290) zu treffen - und diese gewinnbringend für sein geräuschloses, geradezu "anti-Schumpetersches" Unternehmertum zu nutzen. Cornelia Rauh und Hartmut Berghoff, die sich mit der Karriere des Mittelständlers Fritz Kiehn befassen, nennen wiederum ein ganzes Set an Faktoren für dessen erfolgreiches Wirken: Neben dem viel beschworenen Charisma und der Führungsstärke zählen sie hierzu auch vermeintlich unwissenschaftliche Kategorien wie "Zufall und Glück, Instinkt und Cleverness" (275).
Generell hätte man sich - über die in der Einleitung genannte unbestrittene unternehmerische Evidenz hinaus - mehr Aufschluss über die Auswahlkriterien der biografischen Beiträge gewünscht. Mithin bleibt offen, warum neben deutschen Unternehmern - darunter die "erwartbaren" montanindustriellen Konzernlenker Friedrich Flick, Paul Reusch, Paul Silverberg und August Thyssen - der erwähnte Schweizer Hans Ringier sowie niederländische und französische Unternehmer als internationale Beispiele Eingang fanden.
Andererseits liefert allein der Beitrag von Ben Wubs über die drei niederländischen Unternehmer Henri Deterding, Frits Fentener van Vlissingen und Paul Rijkens wichtige, auf die Urzellen des Kapitalismus USA und Großbritannien übertragbare Erkenntnisse über Unternehmer an der Schwelle vom Eigentümer- zum Managerunternehmer-Kapitalismus: Diese Akteure mussten, um erfolgreich zu sein, "administrative, organisatorische und politische Qualitäten und Innovationsgeist" (354) mitbringen, kurzum "good at multi-tasking" (352) sein.
Die Vorzüge des Bandes liegen, erstens, in der hohen, theoretisch und empirisch fundierten Qualität der auch überwiegend gut lesbaren Einzelbeiträge. Zweitens werden - sozusagen ganz im Sinne Schumpeters - auf der Suche nach Deutungs- und Erklärungsmustern für unternehmerischen Erfolg "neue Kombinationen" unterschiedlicher Ansätze geschaffen. Obwohl, wie der Herausgeber selbst einräumt (24), keine generalisierbaren Aussagen für erfolgreiches Unternehmertum gewonnen werden können, liefert die Publikation zweifellos genügend Denkanstöße für künftige interdisziplinäre Forschungen: Dabei könnte u.a. auch der im Band ausgeblendeten Frage nachgegangen werden, worauf sich Erfolg von Unternehmerinnen gründet und welche (abweichenden) Dispositionen hierfür evident waren und sind.
Anmerkungen:
[1] Thomas Küster: Patriarchen und Manager. Profile des modernen Unternehmers, in: Westfalen in der Moderne 1815-2015. Geschichte einer Region, Münster 2015, 289-309.
[2] Hartmut Berghoff: Moderne Unternehmensgeschichte. Eine themen- und theorieorientierte Einführung, Paderborn u.a. 2004, 31-41.
[3] Ingo Köhler / Roman Rossfeld (Hgg.): Pleitiers und Bankrotteure. Geschichte des ökonomischen Scheiterns vom 18. bis 20. Jahrhundert, Frankfurt / New York 2012.
[4] Johannes Bähr: Paul Reusch und Friedrich Flick. Zum persönlichen Faktor im unternehmerischen Handeln der NS-Zeit, in: Hartmut Berghoff u.a. (Hgg.): Wirtschaft im Zeitalter der Extreme. Beiträge zur Unternehmensgeschichte Deutschlands und Österreichs. Im Gedenken an Gerald D. Feldman, München 2010, 275-297.
Thomas Urban