Meriem Pagès: From Martyr to Murderer. Representations of the Assassins in Twelfth- and Thirteenth-Century Europe, Syracuse: Syracuse University Press 2014, XV + 240 S., ISBN 978-0-8156-3370-9, USD 39,95
Inhaltsverzeichnis dieses Buches
Buch im KVK suchen
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Die Erforschung der Kreuzzüge und der Kreuzfahrerherrschaft im Nahen Osten erfreut sich weiterhin großer Beliebtheit. Mit ihrer 2014 erschienenen Monografie, die auf den Erkenntnissen einer 2007 an der University of Massachusetts Amherst eingereichten Dissertation basiert, wendet sich Meriem Pagès einem faszinierenden Aspekt dieses weiten Forschungsfeldes zu: der ismailitischen Sekte der Assassinen.
Der Autorin ist nicht an einer ereignisgeschichtlichen Rekonstruktion gelegen. Vielmehr untersucht Pagès die Darstellung der Assassinensekte in den historiografischen und lyrischen Werken christlicher Autoren des 12. und 13. Jahrhunderts. Das von ihr verwendete Wort "representation" rekurriert nicht - wie man annehmen könnte - auf die Selbstdarstellung der Sekte. Am Beispiel lateinischer und altfranzösischer Texte will Pagès die verschiedenen, oft legendenhaften Bilder nachvollziehen, die christliche Autoren aus Westeuropa und der Levante von den Assassinen zeichneten. Durch die Untersuchung dieser Fremdwahrnehmungen möchte die Autorin zu einem weiteren Verständnis des mittelalterlichen Islam und seiner Rezeption beitragen (15-16). Zu Recht weist Pagès darauf hin, dass die von ihr untersuchten Texte lediglich Narrative wiedergeben, die zur Rekonstruktion der historischen Assassinen kaum zu gebrauchen sind (187-189).
Mit ihrem Vorhaben betritt die Autorin keinesfalls Neuland. Schon 1994 veröffentlichte der Islamwissenschaftler Farhad Daftary ein Buch, in dem er die Legenden über die Assassinen anhand muslimischer und christlicher Texte untersucht. [1] Obgleich Pagès sich nur mit den Berichten christlicher Autoren auseinandersetzt, gehen ihre Analysen weit über die oft nur deskriptive Arbeit Daftarys hinaus. Durch Interpretation und Vergleich gelingt es ihr, eine Entwicklung des Assassinenbildes vom 12. bis zum 13. Jahrhundert aufzuzeigen. Bereits der Titel "From Martyr to Murderer" deutet eine solche Entwicklungslinie an. Er führt den Leser jedoch in die Irre, sagt die Autorin doch ausdrücklich, dass mit der Ermordung des christlichen Herrschers Konrad von Montferrat am Ausgang des 12. Jahrhunderts keineswegs eine Verdammung der Sekte als Hort blutrünstiger Meuchelmörder einsetzte. Vielmehr ist im 13. Jahrhundert eine Exotisierung der Assassinen festzustellen. Als "exotic wonder of the East" wurden sie der Stoff für unterhaltsame und gleichsam fantastische Geschichten (185).
Pagès' Detailstudie umfasst, neben Einleitung (ix-xiv) und Schluss (184-196), fünf Kapitel, die sowohl thematisch als auch chronologisch geordnet sind. Daneben liefert das Buch einen Quellenanhang mit im Text nicht berücksichtigten Auszügen und abweichenden Textversionen (199-209). Das erste Kapitel (1-28) dient vor allem der Einführung des Lesers. Neben einem obligatorischen Abriss der Ereignisgeschichte legt die Autorin den aktuellen Forschungsstand dar, wobei sie sich mit den Arbeiten ihrer Vorgänger kritisch auseinandersetzt. Kapitel 2 (29-71) untersucht vier Schriften aus der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts, darunter auch die Chronik Wilhelms von Tyrus und Walter Maps "De nugis curialium". Die Analyse gipfelt in der Feststellung, dass die Assassinen von den Autoren im Allgemeinen mit Toleranz betrachtet wurden, da man sie als potentielle Verbündete der Kreuzfahrer betrachtete. Durch Analogien zu den Templern (37-38) oder Hervorhebung des Bekehrungswillens (48-51, 60-62) versuchten die Chronisten bei ihrer christlichen Leserschaft Sympathien für die Sekte zu wecken. Im dritten Kapitel (72-102) widmet sich Pagès den Berichten über die Ermordung Konrads von Montferrat durch die Assassinen im Jahr 1192. Die Texte französischer und englischer Autoren beschäftigten sich kaum mit der Verurteilung der Attentäter, sondern ergingen sich vor allem in der Be- oder Entschuldigung des englischen Königs Richard Löwenherz, der der Urheberschaft der Tat bezichtigt wurde. Im vierten Kapitel (103-156) beschäftigt sich die Autorin mit der im 13. Jahrhundert feststellbaren Exotisierung der Assassinen. In der Rolle potentieller Bündnispartner tauchen sie nun nicht mehr auf, sondern sind ausschließlich Gegenstand von fantastischen Legenden, die der Unterhaltung des westlichen Lesers dienten (104). Als eine Art Ergänzung dazu kann das letzte Kapitel (157-183) gelten, das sich mit der Geschichte einer angeblichen Assassinenprinzessin auseinandersetzt. Pagès erweitert ihr ursprüngliches Zeitfenster um das "Chanson de geste Baudoin de Sebourc" aus der Mitte des 14. Jahrhunderts. An diesem legt sie dar, dass nach der Mystifizierung der Assassinen im 13. Jahrhundert nun jegliches Interesse an den historischen Assassinen verschwunden war (182).
Die Studie von Pagès zeigt die komplexe Wahrnehmung der Assassinen in der Lateinischen Christenheit auf. Wohlbegründet arbeitet die Autorin heraus, dass die Berichte über die Sekte zu einem großen Teil legendenhafte Züge tragen, daneben aber auch auf politische Realitäten Bezug nehmen. Pagès liefert eine fundierte Analyse der historischen Quellen und offenbart auch einen feinen Blick für Details. Ihre besonderen Stärken hat die Untersuchung in der stringenten Interpretation der einzelnen relevanten Belegstellen, durch deren Abstraktion die Autorin in einem zweiten Schritt allgemeine Wahrnehmungsmuster herausarbeitet. Eine klare und konsequente Strukturierung der Argumentation sowie die Übersetzung aller zitierten lateinischen und altfranzösischen Quellenstellen ins Englische sorgen für einen ungestörten Textfluss und erleichtern dem Leser das Verständnis. Die kleineren Defizite vermögen den positiven Gesamteindruck nur geringfügig zu schmälern. Neben der gelegentlichen Verwendung veralteter Literatur sind hier vor allem inhaltliche Ungenauigkeiten anzusprechen. Beispielsweise wird das Lösegeld Ludwigs IX. von Frankreich mit der Übergabe Damiettes und 400.000 Besantern nicht den Quellen gemäß wiedergegeben (119). Auch verschweigt die Autorin an einer für ihre Argumentation wichtigen Stelle (77), dass es vor allem Kaiser Heinrich VI. und nicht so sehr Herzog Leopold von Österreich war, der Richard Löwenherz der Beteiligung am Mord Konrads von Montferrat beschuldigte. [2]
Meriem Pagès legt eine lesenswerte Studie über das Bild der Assassinen im mittelalterlichen Europa vor, die durchaus das Potential zum Standardwerk hat. In jedem Fall stellt ihre Monografie einen wichtigen Beitrag zur Assassinen- und Islamforschung dar.
Anmerkungen:
[1] Farhad Daftary: The Assassin Legends: Myths of the Isma'ilis, London 1994.
[2] Vgl. Dieter Berg: Richard Löwenherz (= Gestalten des Mittelalters und der Renaissance), Darmstadt 2007, 195.
Janis Witowski