Tobias Winnerling: Vernunft und Imperium. Die Societas Jesu in Indien und Japan, 1542-1574, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2014, 397 S., 2 Diagramme, ISBN 978-3-525-30065-7, EUR 69,99
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Die Jesuitenmission in Übersee gehört zu den bemerkenswertesten religionspolitischen Initiativen der katholischen Kirche in der Frühen Neuzeit. Sie stand einerseits im Zeichen der Glaubenskriege in Europa und damit im Kontext der Gegenreformation, deren Verfechter den wachsenden Einfluss des Protestantismus in Europa nicht zuletzt durch die Ausweitung der katholischen Ökumene nach Übersee kompensieren wollten. Zum anderen war die christliche Mission historisch eng mit der europäischen Expansion verbunden und ist daher auch Teil der Geschichte des Kolonialismus. Sie existierte also, wie jede christliche Missionsinitiative der Kolonialzeit, im Spannungsfeld spiritueller und weltlicher imperialer Macht.
Die Düsseldorfer Dissertation von Tobias Winnerling führt in die Frühzeit der jesuitischen Missionsgeschichte zurück und untersucht die Aktivitäten des Ordens in Indien und Japan während der mittleren Dekaden des 16. Jahrhunderts. Damit nimmt sie einen Zeitabschnitt in den Blick, der vor der Implementierung jener systematischen Missionsmethoden liegt, die später unter dem Begriff der "Akkommodation" bekannt werden sollten. Winnerling schildert nicht in erster Linie die Geschichte eines geistig-religiösen Verflechtungsprozesses zwischen Asien und Europa, wie es in der neueren Forschung häufig im Zusammenhang mit der Jesuitenmission in China geschieht. Vielmehr versteht er die Entfaltung der Missionen in Indien und Japan, die sich u.a. mit dem Namen des jesuitischen Missionars Franz Xaver verbinden, als eine Form imperialer Durchdringung. Das christliche Sendungsbewusstsein war, so Winnerling, seinem Charakter nach ebenso expansiv wie der Entdeckungs- und Eroberungswille der Kaufleute und Konquistadoren, auf deren Schiffen die Geistlichen nach Asien reisten und deren koloniale Strukturen und Handelswege sie für ihre eigenen Zwecke nutzten.
Auch wenn das Reich, das den Missionaren vor Augen stand, nicht von dieser Welt war, so zeigt Winnerling an diversen Beispielen, betrieben die Jesuiten ihr spirituelles empire building mit sehr irdischen Mitteln. Die überall in Asien verbreitete Sklaverei wurde von ihnen geduldet, wenn nicht gar durch den Unterhalt eigener Sklavenhaushalte befördert. Sie waren sich auch nicht zu schade dafür, im vor allem in Japan florierenden Handel mit europäischen Feuerwaffen als Vermittler aufzutreten. Ihre anthropologischen Grundannahmen und Erklärungsversuche für die kulturelle und religiöse Vielfalt, denen sich die Jesuiten in Asien unausweichlich gegenüber sahen, trugen manchmal offen rassistische Züge. Die Padres waren zudem, jedenfalls an heutigen Maßstäben gemessen, religiöse Extremisten, die ihren Glauben auch mit Feuer und Schwert zu verbreiten bereit waren und innerhalb ihrer Gemeinden (soweit sie konnten) auf die strikte Befolgung der Regeln christlicher Lebensführung achteten. Winnerling entfaltet - vorwiegend auf der Grundlage der bereits im 16. Jahrhundert sehr ergiebigen jesuitischen Literatur - das Panorama eines spirituellen Imperiums, in dem christliche Mission und koloniale Herrschaft oftmals Hand in Hand gingen.
Diese Erkenntnisse sind nicht neu, sondern wurden seit den einschlägigen Studien etwa von C.R. Boxer immer wieder einmal formuliert. Doch Winnerling zeichnet ausführlich und auf dem aktuellen Stand der Forschung die Entwicklungslinien der Jesuitenmission in Asien in ihren sozialgeschichtlichen und religionspolitischen Dimensionen für einen Zeitraum nach, der gegenüber späteren Entwicklungen noch vergleichsweise wenig Aufmerksamkeit erfahren hat. Winnerling behandelt die Strukturen des jesuitischen Missionsapparates und die Entwicklung seiner weltweiten Kommunikationsnetze (Kap. 3), und geht danach ausführlich auf die Entwicklung der Jesuitenmissionen in Indien und Japan ein (Kap. 4 und 5).
An vielen Stellen geht sein Buch stärker in Tiefe, als es frühere Studien getan haben. Dies gilt vor allem für die Auseinandersetzung mit den philosophischen und religiösen Voraussetzungen der Mission im 16. Jahrhundert. Die Jesuiten bekamen es in Japan und Indien mit einer Vielzahl an philosophischen Systemen, religiösen Lehren und rituellen Praktiken zu tun, die sie in ihrer Komplexität und Vielschichtigkeit noch nicht überschauen konnten. Winnerling betont daher vor allem die Schwierigkeiten und das Scheitern interkultureller Verständigung zwischen Christen und Andersgläubigen.
Um den Ursachen transkulturellen Nichtverstehens auf den Grund zu gehen, wechselt Winnerling im 6. Kapitel die Untersuchungsebene und eröffnet eine vergleichende Sicht auf asiatische und europäische Konzeptionen von "Vernunft" und "Logik". Es fallen nun viele Namen indischer und ostasiatischer Philosophen, von Gaṅgeśa Upādhyāya und seinem Navya-Nyāya (12. Jahrhundert) bis zu Zhu Xi (13. Jahrhundert) und den Texten des chinesisch-japanischen Neokonfuzianismus, die den europäischen Denktraditionen des 16. Jahrhunderts gegenübergestellt werden. Es kann nicht überraschen, dass der Verfasser am Ende seiner Ausführungen zu dem Ergebnis kommt, dass es viele Wege gebe, vernünftig und logisch zu denken, ohne dass diese Wege notwendig aufeinander zurückführbar sein müssen. "Wir haben die Suche nach der adamitischen Sprache aufgegeben. Es ist Zeit, auch den Glauben an die adamitische Logik abzulegen", lautet daher sein Resümee (290). Damit philosophiert Winnerling ein wenig über die Köpfe seiner frühneuzeitlichen Akteure hinweg, doch es ist richtig, daran zu erinnern, dass Philosophie und Erkenntnistheorie keine europäischen Erfindungen sind, sondern vielfältige historische Ursprünge und Ausprägungen haben.
Zu fragen bleibt hingegen, ob mit der Feststellung dessen, was die Jesuiten in Indien oder Japan noch nicht verstanden haben, wirklich alles Notwendige über die Mission gesagt ist. Eher irritierend sind auch gelegentliche Sprachspielereien im Buch, wie das notorisch mit Bindestrich geschriebene Wort "tat-sächlich" oder Neologismen wie "AnthropoLogik", die verzichtbar erscheinen, weil sie meines Erachtens keine neuen Einsichten vermitteln. Zudem hätte insgesamt deutlicher herausgearbeitet werden können, wie weit die Jesuiten in Wahrheit davon entfernt gewesen sind, in ihren asiatischen Ordensprovinzen kleine Gottesstaaten zu errichten. Verglichen mit dem Islam war die Verbreitung des Christentums in den meisten Teilen Asiens (die Philippinen ausgenommen) jedenfalls ein grandioser Misserfolg. Und gerade weil die Missionare im 16. Jahrhundert in fast jeder Hinsicht auf die kolonialen Strukturen des portugiesischen Estado da Índia angewiesen waren, mussten ihre eigenen Organisationsstrukturen vor Ort ebenso fragil bleiben wie das koloniale Gehäuse, das sie beherbergte. Der "Estado do Jesus" (so die Überschrift des Abschlusskapitels) war weithin nur ein jesuitischer Wunschtraum.
Mit Vernunft und Imperium hat Tobias Winnerling trotz vereinzelter Schwächen eine anregende Studie über die Anfangsphase der jesuitischen Mission in Indien und Japan vorgelegt, die sich bemüht, die eurozentrischen Befangenheiten mancher früherer missionsgeschichtlicher Arbeiten zu überwinden.
Sven Trakulhun