Johannes Christian Linnemann: Die Nekropolen von Diokaisareia (= Diokaisareia in Kilikien. Ergebnisse des Surveys 2001-2006; Bd. 3), Berlin: De Gruyter 2013, XVI + 250 S., 15 Abb., 64 Farbtafeln, 7 Beilagen, ISBN 978-3-11-025735-9, EUR 169,95
Inhaltsverzeichnis dieses Buches
Buch im KVK suchen
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Jessica Barker: Stone Fidelity. Marriage and Emotion in Medieval Tomb Sculpture, Woodbridge: Boydell Press 2020
Wolfram Hoepfner: Halikarnassos und das Maussolleion. Die modernste Stadtanlage der späten Klassik und der als Weltwunder gefeierte Grabtempel des karischen Königs Maussollos, Mainz: Philipp von Zabern 2013
Dorian Borbonus: Columbarium Tombs and Collective Identity in Augustan Rome, Cambridge: Cambridge University Press 2014
Claudia Denk / John Ziesemer: Kunst und Memoria. Der Alte Südliche Friedhof in München, Berlin: Deutscher Kunstverlag 2014
J.J. Coulton: The Balboura Survey and Settlement in Highland Southwest Anatolia. Band 1: Balboura and the History of Highland Settlement. Band 2: The Balboura Survey: Detailed Studies and Catalogues, Ankara: British Institute at Ankara 2012
Jan Kostenec / Alexander Zäh (Hgg.): Wissenschaftlicher Nachlass der deutsch-böhmischen Expedition nach Lykaonien, Ostpamphylien und Isaurien (Kleinasien) durchgeführt im Jahre 1902, Wien: Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften 2011
Zeynep Kuban: Die Nekropolen von Limyra. Bauhistorische Studien zur klassischen Epoche, Wien: Phoibos Verlag 2012
Unter der Leitung von D. Wannagat und K. Trampedach sind zwischen 2001 und 2006 Feldforschungen im klikischen Diokaisareia durchgeführt worden, in deren Rahmen J. C. Linnemann die Gräber und Nekropolen als eine der wichtigsten Befundgattungen der Stadt untersucht hat. 2009/2010 ist seine Arbeit von der Universität Rostock als Dissertation angenommen worden und liegt jetzt als großformatiger dritter Band der Reihe "Diokaisareia in Kiliken" vor.
In seiner Einleitung legt Linnemann die methodischen Grundlagen sowie die Zielsetzungen seiner Arbeit dar und geht daneben auf die Forschungsgeschichte sowohl zu Diokaisareia im Allgemeinen als auch zu den Nekropolen im Speziellen ein. Der Teil zur Methodik ist vielleicht ein wenig kurz geraten und gleicht eher einer kommentierten Inhaltsangabe (1-2). So ist er einerseits auf Angaben zur Dokumentation der Gräber und zu ihrer Kartierung beschränkt, wobei schon offen bleibt, welchen Zweck die zuletzt genannte Maßnahme über eine möglichst genaue Lokalisierbarkeit hinaus verfolgt. Andererseits wird mit diversen, hier noch gar nicht genauer erläuterten Dekorelementen im Grunde nur ein einziges Datierungskriterium geboten, das zudem lediglich auf eine sehr geringe Zahl der insgesamt 750, auf fünf verschiedene Nekropolenareale verteilten Grabanlagen anwendbar ist. Ohne genauere Erläuterungen bleiben auch die typologischen Kriterien, die Linnemann der Ordnung des Materials zugrunde gelegt hat und die offenbar allein auf dem Vergleich mit anderen kilikischen Nekropolen fußen. Es folgt ein Überblick zur Stadt selbst sowie zu deren Geschichte, der das Umland miteinbezieht und knappe Erläuterungen zum Wegenetz, einigen extramuralen Kirchenbauten und Gehöften sowie zu Faktoren für die Ortswahl der Gräber beinhaltet.
Der Kern der Arbeit umfasst die Kapitel 3 bis 7, die den Nekropolen und Gräbern gewidmet sind, wobei zunächst deren Lage und die Topographie im Vordergrund stehen. Weil er durch kleine Tabellen flankiert ist, erlaubt dieser erste Teil einen schnellen Überblick über die Verteilung der diversen Grabtypen auf die Nekropolenareale. Diese einzelnen Typen sind in Sarkophage und "Sarkophagähnliche", Felsgräber, Grabbauten und Grabaltäre unterteilt, wobei vor allem die beiden zuerst genannten Grabformen in zahlreiche weitere Gruppen aufgegliedert sind. Überschneidungen ergeben sich durch die Aufstellung der Sarkophage, die sowohl als freistehende Einzelmonumente auftreten als auch in Kombination, etwa mit Arkosolnischen- oder Felskammergräbern.
Bei den Sarkophagen offenbart sich - unabhängig davon ob sie freistehend oder aus dem Fels geschlagen sind - schon das soeben angesprochene Problem, dass konkrete Datierungsvorschläge nur für eine sehr geringe Zahl von Exemplaren angeboten werden. So betreffen sie allein jene aufwendiger gestalteten Sarkophage, die sich bekannten Typen wie Girlanden- oder attischen Sarkophagen zuweisen lassen (insgesamt drei Exemplare), deren Kästen am unteren und/oder oberen Rand Profilleisten besitzen oder anderweitigen Dekor bzw. eine Inschrift aufweisen. Die vorgenommenen zeitlichen Einordnungen erstrecken sich dabei im Wesentlichen, und wenig überraschend, auf das 2. und 3. Jh. n. Chr., was der Blütezeit von Diokaisareia entspricht. Ein einzelner Sarkophag ist überdies hervorzuheben, der aufgrund einer Inschrift in die Jahre 448/449 n. Chr. datiert werden kann und damit zu den spätesten Gräbern der Nekropole gehört. Die Masse der schmucklosen Sarkophage bleibt hingegen von der Datierung her, aber auch sonst weitgehend außen vor, und Linnemann unternimmt keinen Versuch, Kriterien für sie, etwa anhand ihrer Verteilung oder der Formen ihrer tabulae ansatae, zu erarbeiten. [1]
Arkosolnischengräber bilden in Diokaisareia mit 212 Exemplaren den häufigsten Grabtyp, werden aber auf 6 Seiten abgehandelt (73-78), wobei keine neuen Erkenntnisse zur Typologie oder Datierung vorgewiesen werden können, sondern in den Ergebnissen der bekannte Forschungsstand referiert wird. Ähnliches gilt für die Arkosolkammergräber, für die allein zu drei Exemplaren mit einer Fassade in dorischer Architekturordnung eine Datierung in die erste Hälfte des 1. Jhd. n. Chr. vorgeschlagen wird (93-97). Diese chronologische Einordnung basiert auf den geringen Resten eines Grabinventars entsprechender Zeitstellung in einem der Gräber (West N9). Sie sind nicht genauer besprochen, und der Leser erfährt auch keinen plausiblen Grund, warum es sich nicht wie bei den Resten eines aus severischer Zeit stammenden weiteren Bestattungshorizonts um Zeugnisse einer Nachbestattung handeln kann. [2] Die Behandlung der Felskammer- und Felsnischengräbern, Grabbauten und Grabaltäre verläuft in ähnlicher Weise, und wirft spätestens jetzt die Frage auf, welchen Zweck eine Dokumentation von 750 Gräbern eigentlich hat, wenn die gesammelten Daten nur in sehr begrenzten Maße genutzt werden. Hierzu ist anzumerken, dass es Linnemann zugegebenermaßen nicht einfach gehabt hat, dem Material aufgrund seiner Schmucklosigkeit und bisweilen Uniformität mehr Erkenntnisse abzuringen. Durch Detailbeobachtungen und eine Erweiterung des Vergleichshorizonts über die naheliegenden benachbarten kilikischen Nekropolen hinaus wären solche Einsichten den Gräbern, aber auch den Nekropolenarealen jedoch sicherlich abzuringen gewesen. So hätten beispielsweise die an einer ganzen Reihe von Gräbern - primär oder sekundär? - angebrachten christliche Symbole von ihrer Gestaltung und Verteilung her untersucht werden können.
Die insofern etwas hinter ihren Möglichkeiten zurückbleibende Nutzung des Materials findet ihre Fortsetzung im 8. Kapitel, das den insgesamt 45 Inschriften gewidmet ist, die an den Gräbern registriert worden sind. Sie sind allesamt bereits bekannt, und das Kapitel beschränkt sich auf ihre Wiedergabe, Übersetzung und knappe Kommentierung, die im Wesentlichen die von epigraphischer Seite längst zusammengetragenen Erkenntnisse referiert. Zu diesem Teil hat H. Elton in seiner Rezension des Buchs von Linnemann bereits wesentliche Kritikpunkte beispielhaft angesprochen, weshalb sie hier nicht wiederholt zu werden brauchen. [3]
Bestattungsbräuche und Handlungen, die im Rahmen des Totenkults an den Gräbern vollzogen worden sind, bleiben wegen der in dieser Hinsicht geringen Aussagekraft der Befunde fast völlig ausgeklammert. Nur bedingt aufschlussreich sind schließlich auch die von Linnemann in seiner Einleitung im Sinne einer sozialgeschichtlichen Perspektive angedeuteten und im 9. Kapitel auf nur wenigen Seiten gezogenen Schlussfolgerungen zur Zusammensetzung der Bevölkerung, Berufsverteilung und Religionszugehörigkeit. Im 10. und letzten Kapitel verleitet ihn das gemeinsam mit der vorherrschenden Schlichtheit und Gleichförmigkeit der Gräber zu dem Urteil, die Grabmäler hätten "nicht zu den bevorzugten Repräsentationsmedien der Polisbewohner" gehört, was er freilich mit dem Hinweis auf unsere mangelnde Kenntnis der Bestattungsfeiern und Aktivitäten im Rahmen des Totenkultes etwas relativiert. Auch hier wäre eine etwas ausführlichere Diskussion, die andere Nekropolen miteinbezogen hätte, durchaus wünschenswert gewesen.
Die Arbeit ist in weiten Teilen durchaus solide, Linnemann hat aber an keiner Stelle den Versuch unternommen, neue Wege zur Erschließung der Gräber von Diokaisareia zu eröffnen und dabei die Masse der nicht dekorierten Exemplare zu datieren oder anhand ihrer Verteilung das Entstehen sowie zeitliche Neben- oder Nacheinander der fünf Nekropolenareale nachzuvollziehen. Dass sowohl das Eine als auch das Andere schwierig ist, ist angesichts der Materialgrundlage unstrittig, aber Dissertationen sollten sich nun einmal nicht damit begnügen, den ausgetretenen Wegen der Forschung zu folgen, fast ausschließlich vorgefertigte Schubladen zur Aufteilung zu benutzen und an der einen oder anderen Stelle Nuancierungen vorzunehmen. Im Übrigen hätte eine genauere Einordnung der einzelnen Gräber, aber auch der Nekropole insgesamt in den gesamtkilikischen, vielleicht sogar überregionalen Kontext erfolgen können. Die Untersuchung bereitet insofern nur bedingt den Boden für aufbauende Studien, die demnach erneut an den Befunden selbst ansetzen werden müssen. So beschreibt Linnemann in der Einleitung seine Dokumentation zwar als detailliert, dies steht jedoch in einem gewissen Widerspruch zu den eher minimalistischen und stichwortartigen Angaben, die der in die fünf Nekropolenbereiche gegliederte Katalog zu bieten hat. Der farbig gehaltene Tafelteil ist zweifellos von hoher Qualität. Ob diese Form der Ausstattung allerdings notwendig gewesen ist, sei wegen des Charakters der Bildmotive und nicht zuletzt wegen des übertrieben hohen Verkaufspreises des Werks dahingestellt.
Anmerkungen:
[1] In der Nekropole des lykischen Kyaneai ließen sich beispielsweise anhand der diversen tabula-Formen, der Lage sowie bestimmter baulicher Charakteristika Kriterien erarbeiten, die für viele Sarkophage eine zumindest grobe zeitliche Einordnung erlaubt haben, siehe Oliver Hülden: Die Nekropolen von Kyaneai. Studien zur antiken Grabkultur in Lykien II, (= Lykische Studien; 9,2, Tübinger Althistorische Studien; 5,2), Bonn 2010. Die Ausgangsbasis für solch eine chronologische Ordnung ist in Lykien sicherlich deutlich besser als in Diokaisareia, doch hätte man es dort auf einen Versuch durchaus ankommen lassen können. Im Hinblick auf die tabula-Formen ist zudem zu erwähnen, dass sich hier durchaus noch mehr Vergleichsmöglichkeiten als die Exemplare des nordwestlichen Kleinasiens angeboten hätten und die Herkunftsfrage des so genannten tabula-Typus 1 mit dreieckigen ansae auf einer etwas breiteren Grundlage hätte diskutiert werden können als mit einem bloßen Verweis auf die fast vierzig Jahre alte Studie zu den Nekropolen von Kalchedon. Dazu s. Nuşin Asgari / Nezih Fıratlı: Die Nekropole von Kalchedon, in: Sencer Şahin / Elmar Schwertheim / Jörg Wagner (Hgg.): Studien zur Religion und Kultur Kleinasiens. Festschrift für F. K. Dörner zum 65. Geburtstag am 28. Februar 1976, Leiden 1978, Bd. 1, 1-92 bes. 37-40.
[2] Folgt man der Datierung des Grabes West N9 ins 1. Jh. n. Chr., stellt sich die Frage, warum dieser zeitliche Ansatz zwingend auf die beiden anderen Gräber übertragen werden muss. Außerdem hätte Linnemann die Inventarreste durchaus vorlegen und sich nicht mit einem pauschalen Verweis ohne Seitenangaben auf die Keramikpublikation der Diokaisareia-Reihe begnügen können (96 Anm. 1334), wo die gefundenen Münzen gar nicht behandelt sind. Auch im Katalog (227) finden die Funde keine Erwähnung.
[3] Hugh Elton: Rezension zu: Johannes Christian Linnemann, Die Nekropolen von Diokaisareia, DiK 3. Berlin, De Gruyter 2013, in: BrMaClR, 2014, Nr. 4, http://bmcr.brynmawr.edu/2014/2014-04-45.html (abgerufen am 24.11.2015).
Oliver Hülden