Uwe Bahnsen: Hanseaten unter dem Hakenkreuz. Die Handelskammer Hamburg und die Kaufmannschaft im Dritten Reich, Neumünster: Wachholtz Verlag 2015, 379 S., ISBN 978-3-529-05261-3, EUR 29,90
Inhaltsverzeichnis dieses Buches
Buch im KVK suchen
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Das Buch "Hanseaten unter dem Hakenkreuz" wurde im Auftrag der Handelskammer Hamburg verfasst, mit dem Ziel, deren eigene Rolle und Situation zwischen 1932 und 1948 monografisch in den Blick zu nehmen. Uwe Bahnsen, Publizist und Journalist, ist bereits als Autor verschiedener populärwissenschaftlicher Werke über die Geschichte Hamburgs in Erscheinung getreten und wählte auch hier eine Darstellungsform, die sich eher an ein breiteres Publikum richtet.
Die Handelskammer Hamburg in der NS-Zeit war in der Vergangenheit schon mehrfach Gegenstand historischer Analysen, die auf ihre teilweise tiefe Verstrickung in NS-Herrschaft und -Verbrechen hinwiesen. Zu nennen wäre hier etwa Frank Bajohrs Studie über die "Arisierungen" in Hamburg, in der das Verhalten der Handelskammer bei diesen Vorgängen herausgearbeitet wurde. [1] Auch auf ihre Rolle bei der "Betreuung" der Zwangsarbeiter in Hamburg wurde aufmerksam gemacht. [2] Außerdem haben Karl Heinz Roth und Karsten Linne ihre Funktion in Zusammenhang mit der Tätigkeit hamburgischer Wirtschaftsfirmen im besetzten Osteuropa zwischen 1939 und 1945 hervorgehoben. [3] Wer nun eine gründliche Aufarbeitung dieser Fragen erwartet hat, wird allerdings enttäuscht, was nicht nur daran liegt, dass der Autor Forschungsliteratur nur selektiv wahrgenommen zu haben scheint.
In siebzehn Kapiteln wird die Geschichte der Handelskammer chronologisch in die Geschichte der Stadt Hamburg in der NS-Zeit eingebettet, inklusive Einblicken in deren Vor- und Nachgeschichte. In der Einleitung betont der Autor, seine Darstellung erhebe keinen Anspruch auf Vollständigkeit, sondern wolle die "vorherrschenden Tendenzen herausarbeiten" (10). Der Aufgabe der Handelskammer entsprechend kommen im weitesten Sinne ökonomische Aspekte zur Sprache, darunter die Situation der Hansestadt während der Weltwirtschaftskrise, der Kriegswirtschaft und Zwangsarbeit sowie der Arisierung jüdischer Firmen. Der Hamburger Gauleiter und Reichsstatthalter Karl Kaufmann und die Entstehung "Groß-Hamburgs" behandelt Bahnsen ebenso wie die Situation Hamburgs im Bombenkrieg oder die kampflose Übergabe der Stadt an die Briten im Mai 1945.
In der Einleitung betont der Autor, dass zwar "bedrückende Beispiele fehlender Zivilcourage", aber "genauso [...] erhebende Beweise für Mut und Verantwortungsbewusstsein" zu finden seien (11). Es folgt ein Hinweis darauf, dass heutige Betrachter die "damaligen Entscheidungsträger" nicht beurteilen sollten, ohne zu überlegen, wie wohl ihr eigenes Handeln ausgesehen hätte (11). Außerdem solle man sich die Kaufmannschaft im "schicksalhaften Jahr 1945 [...] genau ansehen" (11), bevor man ihre heutigen Handlungsmöglichkeiten beschneiden oder gar die Existenzberechtigung der Handelskammer infrage stellen wollte. Es bleibt offen, wer dies überhaupt versucht haben soll. Diese Passagen sagen alles - vor allem über die einigermaßen distanzlose Haltung Bahnsens zu seinem Untersuchungsobjekt, die die gesamte Darstellung durchzieht.
Mehrfach fallen grobe Widersprüche in der Argumentation des Autors auf. So beschreibt er beispielsweise den Rauswurf der jüdischen Mitglieder nach der Gleichschaltung im Sommer 1933, der nur auf "politischen Druck" (37) erfolgt sei, obwohl er gleichzeitig berichtet, dass der Hamburgische Senat in dieser Frage ausdrücklich auf die Entscheidungsfreiheit der Handelskammer verwiesen hatte. Um den angeblichen Widerwillen der Handelskammer zu illustrieren, zitiert Bahnsen dann Äußerungen, die aus dem April 1933 stammen, also vor deren Gleichschaltung. Er behauptet in diesem Zusammenhang weiter, die Handelskammer sei trotz Gleichschaltung kein "willfähriges Instrument" (38) der NS-Regierung gewesen, und verweist auf eine Abstimmung im Kammerplenum, in der eine pro-nationalsozialistische Eingabe abgelehnt wurde. Die Abstimmung fand laut Quellenangabe jedoch im März 1933 statt, also mindestens drei Monate vor der Gleichschaltung.
Regelmäßig verzichtet der Autor bei seinen Deutungen auch auf untermauernde Argumente und Quellenbelege, wobei Fußnoten überhaupt nur selektiv zur Anwendung kommen und vieles daher nicht nachvollzogen werden kann. So schlussfolgert Bahnsen aus der Tatsache, dass der Kammerpräses am 30. Dezember 1933 den Boykott jüdischer Geschäfte vom 1. April nicht erwähnte, dass sich "offenkundig" die Kammer "aus der Judenpolitik heraushalten wollte" (64). Was für Bahnsen "offenkundig" ist, erschließt sich dem Leser leider nicht. Besonders problematisch sind die vielen unbelegten wie unbelegbaren Behauptungen des Autors. So ist es etwa für ihn eine Tatsache, dass die Kaufleute der Handelskammer die Kriegslage "sehr realistisch" sahen und darüber "freimütig diskutierten", "aber ohne jeglichen schriftlichen Niederschlag" (243).
Am meistens krankt die Studie aber an der unausgewogenen thematischen Gewichtung, wobei Bahnsen solchen Themen deutlich weniger Platz einräumt, die der Handelskammer vermutlich eher unangenehm sein könnten. Das Kapitel über die "Arisierungen" umfasst beispielsweise beinahe 30 Seiten. Den größten Teil des Kapitels nehmen jedoch die Beschreibung der Situation einzelner jüdischer Hamburger und die Novemberpogrome 1938 ein. Die Rolle der Handelskammer bleibt hingegen vage. Sie habe weder mit den "Exzessen" noch mit den "Arisierungen" "in Verbindung gebracht werden" wollen (131). Dass die Handelskammer sich spätestens ab 1938 aktiv an den "Arisierungen" beteiligte, wird schließlich auf etwa einer halben Seite nur lapidar abgehandelt.
Auch die Tätigkeit der Hamburger Wirtschaft im besetzten Europa kommt nur sehr kurz und oberflächlich zur Sprache. Hier stellt der Autor vor allem die Rolle Karl Kaufmanns deutlich in den Vordergrund, obwohl die Handelskammer in dieser Angelegenheit eine zentrale Koordinierungsinstanz gewesen ist. [4] Das Kapitel über Zwangsarbeit in Hamburg ist ebenfalls relativ kurz. Die Handelskammer nahm auch hier eine wichtige Funktion ein, die Bahnsen jedoch durch den Hinweis zu relativieren versucht, dass sich die Handelskammer im Jahr 2000 für Entschädigungszahlungen an ehemalige Zwangsarbeiter engagiert habe. Die kampflose Übergabe der Stadt Hamburg an die britische Armee beschreibt Bahnsen hingegen sehr detailliert, ihr widmet er zwei Kapitel. Hier spielten mehrere Hamburger Kaufleute und Industrielle, in Bahnsens Sicht "mutige Männer" (300), eine wichtige Rolle.
Auch sprachlich und stilistisch vermag das Buch nicht zu überzeugen. Häufig fehlt den Kapiteln der rote Faden, Bahnsen verwendet regelmäßig ausufernd lange wörtliche Zitate, die mitunter nur aneinandergereiht werden. Das Kapitel über Hamburg nach der "Operation Gomorrha" gibt hauptsächlich Sitzungsprotokolle im Wortlaut wider, in denen dem Leser allerhand nebensächliche Details präsentiert werden, während eine historische Einordnung weitgehend fehlt.
Dass "Hanseaten unter dem Hakenkreuz" einem nichtwissenschaftlichen Publikum eine eingängige Einführung in die Geschichte Hamburgs im Nationalsozialismus bieten kann, verbessert den Gesamteindruck nicht. Weder ist Bahnsen in der Lage, die "vorherrschenden Tendenzen herauszuarbeiten", noch wartet er überhaupt mit neuen Erkenntnissen auf.
Anmerkungen:
[1] Frank Bajohr: "Arisierungen" in Hamburg. Die Verdrängung der jüdischen Unternehmer 1933-1945 (= Hamburger Beiträge zur Sozial- und Zeitgeschichte; Bd. 35), Hamburg 1997.
[2] Friederike Littmann: Zwangsarbeiter in der Kriegswirtschaft, in: Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg (Hg.): Hamburg im "Dritten Reich", Göttingen 2005, 225-245.
[3] Karl Heinz Roth: Ökonomie und politische Macht. Die "Firma Hamburg" 1930-1945, in: Angelika Ebbinghaus / Karsten Linne (Hgg.): Kein abgeschlossenes Kapitel. Hamburg im Dritten Reich, Hamburg 1997, 15-176; Karsten Linne: Deutsche Afrikafirmen im "Osteinsatz", in: 1999, 16 (2001), Nr. 1, 49-90.
[4] Karl Heinz Roth: Ökonomie, hier 63-82.
Felix Matheis