Alexander Jürgen Flechsig: Frühneuzeitlicher Erfindungsschutz. Eine Untersuchung unter besonderer Berücksichtigung der Reichsstadt Augsburg (= Augsburger Schriften zur Rechtsgeschichte; Bd. 23), Münster / Hamburg / Berlin / London: LIT 2013, L + 182 S., ISBN 978-3-643-12213-1, EUR 34,90
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Patente sind ein klassischer Gegenstand der im Schnittfeld von Technik- und Wirtschaftsgeschichte angesiedelten historischen Innovationsforschung. Das Thema ist insofern von breitem Interesse, als sich Patente leicht quantitativ auswerten lassen und sich damit als objektive Parameter für die Innovationsfähigkeit von Ökonomien anzubieten scheinen. Welche Rolle dem Patentschutz als staatlichem Steuerungsinstrument für die ökonomische Verwertung technischer Innovationen allerdings tatsächlich zukommt, ist umstritten. Aus historischen Fallbeispielen sind hierzu durchaus unterschiedliche Schlüsse gezogen worden.
Forschungen zur Geschichte des Patentschutzes setzen meist erst mit der Industrialisierung ein. Viel Aufmerksamkeit haben frühe Patentstreitigkeiten wie die um Boulton und Watt's Optimierung der Dampfmaschinentechnologie mit ihren deutlich erkennbaren ökonomischen Auswirkungen gefunden. Die Quellengrundlage der vorliegenden Dissertation ist ebenfalls im 18. Jahrhundert angesiedelt, betrifft allerdings ganz andere Kontexte. Die hier diskutierten, kaiserlichen Erfinderprivilegien insbesondere auf Heilmittel hatten letztlich nur indirekte Bezüge zu technischen Innovationen der Frühindustrialisierung. Vielmehr stehen sie in der Tradition des bis in das Mittelalter zurückreichenden, gewerblichen Privilegienwesens, das dazu diente, spezialisierten auswärtigen Handwerkern beispielsweise durch den Schutz der exklusiven Vermarktung ihrer Produkte attraktive Arbeitsbedingungen zu bieten.
Solche gewerblich-technischen Privilegien stellen ein vergleichsweise abgelegenes Spezialthema der vorindustriellen Technik- und der Rechtsgeschichte dar. Die ältere Forschung zum modernen Patentwesen beurteilte diese in zahlreichen europäischen Territorien etablierte Rechtspraxis als reine Günstlingswirtschaft. Sie deklarierte erst die Neuordnung des englischen Privilegienwesens 1624 als Geburtsstunde des modernen Patentwesens, insofern hier erstmals ein Rechtsanspruch für Erfinder neuer Technologien formuliert schien. Wie auch der Autor der vorliegenden Arbeit argumentiert, ist diese These höchst problematisch. Speziell Privilegien für die exklusive Verwertung neuartiger maschinentechnischer Anlagen wie Mühlwerke und Wasserhebeanlagen, wie sie im 15. Jahrhundert erstmals in Bergbaugebieten nördlich der Alpen und italienischen Territorien vergeben wurden, hatten doch recht ähnliche Funktionen wie die späteren englischen Regelungen.
Löst man sich von der wenig erkenntnisfördernden Frage, wann denn nun genau aus den zahlreichen Beispielen für diese Rechtspraxis das moderne Patentwesen hervorblitzt, lassen sich viele interessante Fragen an entsprechende Quellenbestände formulieren: Die nach dem Sinn des Schutzes technischer Anlagen vor unbefugtem Nachbau in einer Zeit, die eine standardisierte Produktion noch gar nicht kannte; die symbolische Dimension der Auszeichnung der Empfänger entsprechender Privilegien durch die Obrigkeit; die Bedeutung dieses Rechtsinstrumentes für den Status des "Erfinders" in der frühneuzeitlichen Öffentlichkeit und natürlich weiterhin die Umstände der konkreten Umsetzung dieser Privilegien.
Die vorliegende Dissertation bietet zu diesen übergeordneten Fragen kaum neue Erkenntnisse, wobei allerdings in Rechnung zu stellen ist, dass es sich nicht um eine technik- oder wirtschaftshistorische, sondern um eine rechtshistorische Dissertation handelt. Zudem ist der Weg zur Identifikation dieser Privilegien in den Archiven oft schwierig genug, Quellenbestände, die über ihre konkreten Auswirkungen informieren, sind darüber hinaus in der Regel in ganz anderen Beständen zu konsultieren.
In dem so gesteckten Rahmen gibt die Arbeit im ersten Teil einen umfassenden Überblick über die Geschichte von Erfinderprivilegien bis etwa 1800, der letztlich mehr als die Hälfte der Untersuchung einnimmt. Dabei fasst der Autor den Stand insbesondere der verstreuten älteren historischen Forschung zu diesem Thema systematisch und umfassend zusammen. Er bleibt damit jedoch auch den Fragestellungen dieser Arbeiten aus den 1930er- bis 1960er-Jahren verhaftet. Aus der seitdem erschienenen Literatur finden vor allem formale Aspekte dieser Privilegien Beachtung. Die in der neueren Forschung zunehmend erreichte wirtschafts- und sozialhistorische Kontextualisierung in die frühneuzeitliche Gewerbegeschichte, wie sie insbesondere in den Arbeiten von Luca Molà geleistet worden ist, bleibt ausgeblendet. [1] Im zweiten Teil wird der bislang unbeachtete Bestand von etwa fünfzig kaiserlichen Privilegien vornehmlich aus dem 18. Jahrhundert untersucht, die sich, wie erwähnt, fast ausschließlich auf Heilmittel beziehen. Der Autor konzentriert seine Analyse dabei auf die Ebene des entsprechenden Schriftverkehrs. Breitere medizinhistorische Kontexte werden nicht in die Untersuchung einbezogen.
Die vorliegende Arbeit liefert eine solide Zusammenfassung der älteren Forschung zu den formalen Kennzeichen frühneuzeitlicher Erfinderprivilegien und bietet erstmals einen Einblick in den genannten Bestand der Augsburger Privilegien zu neuen Heilmitteln des 18. Jahrhunderts. Mit diesen letztlich doch etwas divergierenden Schwerpunkten ist der Titel "Frühneuzeitlicher Erfindungsschutz" etwas hoch gegriffen. Für eine Gesamtdarstellung bleiben allzu viele aktuelle Fragestellungen der Technik- und Wirtschaftsgeschichte an dieses Thema unberücksichtigt.
Anmerkung:
[1] Vgl. zuletzt zusammenfassend Luca Molà: Inventors, Patents and the Market for Innovations in Renaissance Italy, in: History of Technology 32 (2014), 7-34.
Marcus Popplow